Was vor 30 Jahren seinen Lauf nahm, macht nun Schule. Bundesligisten, wie der VfB und der SC Freiburg engagieren sich gesellschaftlich, gehen in Kitas und Schulen. Nur beim Thema Bolzplätze sind die Südbadener einen Schritt weiter, wie auch Dominik Hermet vom Sportkreis Stuttgart findet.
Stuttgart/Freiburg - So genau lässt sich der Tag nicht datieren. Aber es muss an einem Donnerstagmittag im Jahr 1993 gewesen sein, als Volker Finke, der Baumeister des heutigen Erfolges beim Fußball-Bundesligisten SC Freiburg, vor einem Ligaspiel wieder einmal laut dachte. Er sprach von Bolzplätzen, jungen Kickern, sozialer Verantwortung und gesellschaftlichem Engagement. Seine Idee war, dass Zivildienstleistende auf Bolzplätzen, aber auch auf lange Zeit verwaisten Vereins- und Schulgeländen, dem freien Spiel der Kinder einen gewissen Rahmen geben. Etwa als Schiedsrichter, Schlichter oder einfach als Wächter, dass der Übermut der Kinder nicht zu Zerstörung führe. Umgesetzt hat es der SC Freiburg damals nie, dafür war keine Zeit in der Ära der Breisgau-Brasilianer und ihrem Star Rodolfo Esteban Cardoso. Der Argentinier war so etwas wie das Sinnbild des kreativen, wilden und unorthodoxen Bolzplatzkickers.
Pionierrolle des SC Freiburg
Doch nun, fast 30 Jahre später, scheint sich der SC Freiburg an die Idee von Volker Finke zu erinnern. Der SC, mit langem S und kurzem C, wie er in Freiburg genannt wird, sucht Trainer für „Gesellschaftliches Engagement“. Unter dem Motto „SC Freiburg – mehr als Fußball“ bündelt der Verein bereits seit November 2015 seine Aktivitäten in den Bereichen Bewegung, Bildung, Umwelt und Solidarität. Aber jetzt wollen die Freiburger die ganze Region in Bewegung bringen. Das wichtigste Ziel sei es, für Sportbegeisterung in Freiburg und der Region zu sorgen. Dazu geht der Club in Kitas, Grundschulen und macht ein Fußball-Angebot auf Bolzplätzen. Er verknüpft die unterschiedlichen Träger und tritt als Impulsgeber auf. Der Bundesligist setzt das um, was seinem Ex-Trainer 1993 vorschwebte. „Ja, von Volker Finke und Achim Stocker profitieren wir heute noch, sie haben die Basis gelegt“, sagt Tobias Rauber, beim SC Freiburg für gesellschaftliches Engagement zuständig.
Obwohl der SC Freiburg auf diesem Spielfeld offenbar eine Pionierrolle einnimmt, muss sich der VfB Stuttgart mit seinen Aktivitäten auf diesem Feld nicht verstecken. „In Freiburg gibt es fast nichts, was es bei uns nicht gibt“, sagt Steffen Lindenmaier, bei dem die gesellschaftlichen Aktivitäten der Roten zusammenlaufen. Auch der VfB gehe an Schulen oder in Kitas. Er nennt unter anderem „PFIFF – Projekt für inklusive Fußball-Förderung“, „Unvergessen – ein Projekt für Menschen mit Demenz“, das Integrationsprojekt „Fußball verbindet“ oder die Initiative „Mit Spaß und Spiel gegen Drogen und Gewalt“. Allerdings ist der SC Freiburg beim Thema Bolzplätze ein wenig weiter. Zusammen mit einer Stiftung werden in Freiburg regelmäßig zwei Plätze angefahren. Dort gibt es dann entweder die Möglichkeit, bei kleinen Übungsformen mitzumachen oder das freie Spiel zu genießen. „Wir bieten dort auch andere Sportarten an, wenn einer mal keine Lust auf Kicken hat“, sagt Tobias Rauber. Hauptsache sei jedoch, man bringe die Kinder wieder in Bewegung.
Plätze der Vereine als Option?
Soweit die Pläne und Aktivitäten der großen Clubs. Aber hier sterben die Träume aufgrund der Finanzkraft nicht an der Kasse oder am guten Willen, sondern unter anderem am Platzmangel. Wo können Jugendliche heute schon noch nach Herzenslust bolzen? Oft sind es Anwohner, die sich gestört fühlen oder aber auch Hausmeister von Schulsportplätzen, die für Recht und Ordnung sorgen. Vom typischen Platzwart eines Vereins nicht zu reden. Sie hüten in der Regel den Rasenplatz beim FC Hinterkleckersheim besser als der Greenkeeper von Wimbledon den Center Court. Der Sport-Club Freiburg hat daher sogar schon im Verbund mit der Stadt einen Bolzplatz saniert.
Beispiele für zu wenig Spiel-Raum gibt es genug. In Freiburg und Stuttgart. Wer den eingezäunten Kunstrasenplatz des Königin-Katharina-Stifts am Eckensee mehr unbespielt als genutzt sieht, mag sich fragen: Wäre das nicht ein guter Ort für Junge Wilde? Wäre hier nicht auch das möglich, was etwa auf dem Platz neben dem Züblin-Parkhaus täglich passiert: Bewegung, (Selbst-)Bestätigung, Bolzen in kultureller Buntheit? Und Fachleute wissen: Nie waren derlei Dinge wichtiger. Die integrative Macht des Fußballs könnte just in dieser Zeit gesellschaftlich und gesundheitlich wirken.
In diese Richtung gehen auch die Gedanken von Dominik Hermet, dem Geschäftsführer des Sportkreises Stuttgart: „Wir alle wissen, viele Kinder und Jugendliche bewegen sich zu wenig und wir wissen auch, dass sich diese Situation während der Pandemie noch verschärft hat. Und leider hat das Virus in dieser Altersgruppe in den Sportvereinen auch am stärksten zugeschlagen, sprich wir haben bei den Kindern und Jugendlichen die größten Rückgänge zu verzeichnen.“ Aus diesem Grund wagt Hermet einen Vorstoß, der an die Ideen von Freiburgs Trainer-Legende Volker Finke anknüpft: „Nun gilt es Kinder und Jugendliche wieder in Bewegung und zum Sport zu bringen und dann idealerweise auch in die Sportvereine.
Sportkreis Stuttgart sorgt sich um Jugend
Neben den Vereinsanlagen und Sportstätten in Stuttgart haben wir unter anderem eine ganze Menge an Bolzplätzen.“ Tatsächlich war der Sportkreis bislang nicht untätig gewesen: „Im öffentlichen Raum sind über das Projekt Urbane Bewegungsräume zum Beispiel schon einige Calisthenics-Anlagen entstanden oder in Planung.“
Freilich ist das Street-Workout Calisthenics eine wachsende Sportart, doch an die Breitenwirkung des Fußballs dürfte es nicht herankommen. „Daher könnten wir identifizieren, welche Bolzplätze und weitere Orte für Angebote geeignet sind“, schlägt Hermet vor und wird konkret: „Wir haben in Stuttgart 90 Fußballvereine oder Sportvereine mit Fußballabteilungen. Ich bin zuversichtlich, dass sich viele dieser Vereine an so einem Projekt mit dem Arbeitstitel ,Angebote im öffentlichen Raum‘ beteiligen und Trainer oder Übungsleiter bereitstellen würden.“ Hermet weiter: „Damit würde der organisierte Sport sein Engagement zeigen und hätte gleichzeitig auch die Möglichkeit, über die Angebote neue Mitglieder zu bekommen. Dieser Gedanke muss natürlich nicht auf den Fußball beschränkt sein.“
Was Hermet nicht ausspricht, seiner Initiative aber gehörigen Rückenwind gäbe, darf er lediglich hoffen: Vielleicht ergänzt auch der VfB seine breite Palette des gesellschaftlichen Engagements nach dem Vorbild des SC Freiburg mit einem Bolzplatzprojekt.