Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)


Hochleistungssport ist per se ungerecht. Länder mit starken industriellen Ressourcen sind im Vorteil. Deutschland hat bessere biomechanische Labors, besseres Wachs oder bessere Bobs als Entwicklungsländer. Es gibt auch Ungleichheit bei den Betrugsmitteln, also bei der Frage, wer sich welche leistungssteigernden Substanzen leisten kann. Und, ja, es gibt ungleiche Kontrollsysteme. Es ist utopisch zu glauben, dass es global gleiche Standards gibt, in Deutschland wie in Zimbabwe. Wenn man vergleichbare Aufdeckungswahrscheinlichkeiten haben wollte, müsste man die Kontrollen vertausendfachen. Ich illustriere Ihnen das mal an einem Beispiel.

Bitte.


Bei den Olympischen Spielen von Peking starteten circa 10.000 Athleten, mehr als 70.000 hatten versucht, sich zu qualifizieren. Wenn Doping ein unkalkulierbares Risiko sein soll, müsste ich jeden dieser Athleten im Vorfeld mindestens dreimal unangemeldet kontrollieren, das sind 210.000 Kontrollen. Die Welt-Antidopingagentur führt derzeit etwa 6000, die deutsche Nada um die 7000 Kontrollen durch. Vergleichbar viele Kontrollen wie bei uns gibt es in weniger als zehn Ländern. Daran erkennt man, welcher Illusion wir hinterherlaufen, wenn wir von einem global gerechten Kontrollsystem sprechen oder das fordern.

Das heißt also, dass deutsche Sportler auf gewisse Art benachteiligt werden.


Ich höre diesen Vorwurf immer wieder. Aber wir haben kein Recht, auf andere zu zeigen. Im Ausland wird Deutschland als große Sportnation wahrgenommen, aber auch als Land mit herausragenden Verfehlungen. Katrin Krabbe, Grit Breuer, Jan Ullrich, die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Wir haben enorme Fortschritte erzielt, aber das Problem ist nicht gelöst. Und lassen Sie mich eines hinzufügen.

Gerne.


Außerhalb des Sports wird überall danach geforscht, wie man den menschlichen Körper optimieren kann: das Aussehen, die Intelligenz, sogar die Gene und Organe. Bei dieser Entwicklung darf man sich nicht wundern, dass die Naturwissenschaft den Sport als optimales Laborfeld für sich entdeckt hat. Die Interessen beider sind in hohem Maße deckungsgleich, deshalb gehen Netzwerke der Wissenschaft mit Netzwerken im Sport eine Symbiose ein. Vor diesem Hintergrund ist es verkürzt, nur über Kontrollen zu debattieren. Wir müssen uns auf eine neue Debatte über die Zukunft des Hochleistungsports einlassen.

Und die wäre?


Ich kann keine Lösung anbieten, aber ich möchte, dass wir uns damit auseinandersetzen, was in der Welt außerhalb des Sports passiert. Die Verführungen werden immer größer, wenn sich um den Hochleistungssport herum eine Enhancement-Philosophie durchsetzt. Der Mensch ist demnach ein Mängelwesen und hat sich zu optimieren. Der Sport definiert sich hierzu als eine Gegenwelt. Es geht wohl um die Optimierung der sportlichen Leistung, aber jegliche Form der medikamentösen Manipulierung ist verboten. Das kann den Sport stärken – aber es wird zukünftig noch viel gefährlichere Formen des Betruges geben.