Ein neues System zur Spracherkennung hilft Behinderten beim Autofahren. Mit knappen Befehlen lassen sich die so genannten Sekundärfunktionen wie Türöffner und Scheibenwischer steuern.

Heidelberg - Autofahren ist für die meisten Menschen hierzulande eine Selbstverständlichkeit. Eine Hand am Steuer, die andere an der Gangschaltung, die Füße auf Kupplung, Gaspedal oder Bremse, so geht es normalerweise einfach und flott voran. Komplizierter wird es, wenn man körperlich eingeschränkt ist; etwa, wenn jemand nur ein Bein hat oder beide Beine gelähmt sind, wenn jemand ohne Arme auf die Welt gekommen ist oder seine Hände bei einem Unfall verloren hat. Doch auch für Menschen mit solchen Behinderungen haben findige Techniker seit Jahrzehnten immer wieder neue Lösungen entwickelt, damit sie Auto fahren können. So können Conterganopfer mit den Füßen steuern, Querschnittgelähmte mit der Hand Gas geben, und Menschen mit einer angeborenen Muskelschwäche beherrschen ihr Auto mit dem Joystick.

 

Eine zusätzliche Hilfe bietet schwerbehinderten Fahrern seit Kurzem ein neues Spracherkennungssystem. Es nimmt ihnen zwar nicht das eigentliche Fahren und die wichtigsten Aufgaben – etwas das Lenken oder Bremsen ab; dafür lassen sich mit ihm sogenannten Sekundärfunktionen durch einfache, knappe Sprachbefehle steuern. Nicht nur der Türöffner, sondern auch der Blinker und der Scheibenwischer, der Fensterheber und die Klimaanlage gehorchen dem Chauffeur sozusagen „aufs Wort“ – ebenso wie die Hupe, die Sonnenblende und das Fernlicht. „Ich habe das Fahren ohne die Sprachsteuerung gelernt“, erklärt Josef Fleischmann, einer der ersten Nutzer des neuen Systems. „Auch das ist gegangen – aber mit ihr ist es deutlich komfortabler, weil ich mich ganz auf das Fahren konzentrieren kann“, sagt er.

20 000 Kilometer hat der 22-Jährige, der in Stuttgart an der Dualen Hochschule studiert und dessen Eltern in Nürnberg wohnen, inzwischen in seinem Auto mit Hilfe der Sprachsteuerung absolviert. „Und ich habe mich immer darauf verlassen können. Ich komme gut damit zurecht, ich kann selbstständig fahren“, sagt der junge Mann, der aufgrund einer angeborenen Muskeldystrophie im Elektrorollstuhl sitzt und im Auto beide Hände am Joystick hat.

Die Firma Zawatzky und die Klaus-Tschira-Stiftung arbeiteten zusammen

Entwickelt wurde das System vom EML-Laboratorium der Klaus-Tschira-Stiftung in Heidelberg und dem Mobilcenter der Firma Zawatzky in Meckesheim (Rhein-Neckar-Kreis), die sich schon vor gut 50 Jahren auf den behindertengerechten Ausbau von Autos und die Fahrschulausbildung für Menschen mit Handicaps spezialisiert hat. Gefördert wurde das Projekt über ein Innovationsprogramm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.

Die Idee dafür hatte Andreas Zawatzky nach dem Besuch bei einem „Tag der offenen Tür“ des Heidelberger Instituts vor einigen Jahren, an dem auch die Forschungen des EML zur Spracherkennung vorgestellt wurden. „Da dachte ich, das könnte auch für unsere Kunden interessant sein, die keine freie Hand mehr haben“, erklärt er. Vor einem Jahr war das neue System dann marktreif, und inzwischen sind 30 behinderte Fahrer und Fahrerinnen damit unterwegs. „Es funktioniert gut, die Spracherkennung ist akkurat, und die Rückmeldung ist schnell und sicher“, fasst Siegfried Kunzmann, der Leiter der Forschung und Entwicklung bei EML, die bisherigen Erfahrungen zusammen. „Wir sind wirklich glücklich, wie es läuft“. Der Diplom-Ingenieur befasst sich seit 15 Jahren mit dem Thema Spracherkennung und kennt die leidvollen Erfahrungen, die viele Nutzer mit solchen Systemen gemacht haben – etwa bei der Störungsstelle der Telekom oder bei Zugauskünften der Bahn, deren Sprachautomaten oft mehr schlecht als recht verstanden haben, was die Kunden wollten und sie mit unzähligen Aufforderung zur Wiederholung ihrer Fragen auf die Palme getrieben haben.

Der kleine Wortschatz war am Anfang besonders wichtig

Für die Anwendung im Auto sei klar gewesen: „Wir müssen das gut entwickeln“, sagt Kunzmann. „Wenn ich sage, Blinker rechts an, muss das funktionieren, schnell und sofort, im Fokus steht die Fahrsicherheit.“ Und Zawatzky ergänzt: „Wenn man das fünfmal wiederholen muss, ist man auch so um den Kreisverkehr rum.“

„Ein kleiner Wortschatz“ sei daher am Anfang das Wichtigste gewesen, erklärt Kunzmann. Nur 200 bis 300 Begriffe muss das System verstehen, damit bietet es aber schon jetzt, zusätzlich zu den Kernfunktionen weiter gehende „Komfortfunktionen“ über das Internet – von der Navigation bis zur Abfrage des Anrufbeantworters im Auto. Viele weitere Angebote seien denkbar, erläutert Kunzmann: „Wir stehen erst am Anfang des Weges.“ Zunächst gehe es nun darum, die Sprachsteuerung mit Hilfe der bisher gesammelten Daten und der Rückmeldung der Nutzer weiter zu verbessern. „Am wichtigsten für uns ist dabei der Kundennutzen“, erläutert Andreas Zawatzky. „Wir könnten sicher schon jetzt viel mehr machen, aber das System muss praktikabel bleiben, wir wollen, dass die Akzeptanz hoch ist.“

Wie funktioniert das System zur Sprachsteuerung?

Das System zur Sprachsteuerung für barrierefreies Autofahren kann Schalter und Tasten ersetzen, welche die Fahrer von Hand entweder nur schwer oder aber überhaupt nicht bedienen könnten. Sie wurden deshalb früher beispielsweise auch in der Kopfstütze eingebaut oder mussten mit dem Ellbogen betätigt werden. Während mechatronische Systeme die primären Fahrfunktionen – wie Lenken, Gasgeben und Bremsen – ermöglichen, übernimmt die Sprachsteuerung praktisch alles, was darüber hinaus nötig ist, um sicher zu fahren. Das System erkennt bis zu 50 Sprachkommandos, von „Abblendlicht“ bis zu „Zentralverriegelung“. Sein Herzstück ist ein kleiner Computer mit einem Mikrofon. Die Kosten für den Einbau liegen bei 3000 bis 4000 Euro. Wenn das Auto für die Fahrt zur Arbeit genutzt wird, werden sie, wie andere behindertengerechte Anpassungen des Fahrzeugs, von der Bundesagentur für Arbeit übernommen.