Forscher belegen Vorteile der Sprachbeherrschung: Wer zwei Sprachen fließend spricht, erkrankt später an Alzheimer als Einsprachige.  

Stuttgart - Wer zwei Sprachen fließend beherrscht, erkrankt später an Alzheimer als Einsprachige. Das hat die kanadische Psychologin Ellen Bialystok herausgefunden. Sie untersuchte 450 Patienten, deren Demenz zum Zeitpunkt der Diagnose gleich weit fortgeschritten war. Die Hälfte der Studienteilnehmer sprach zwei oder mehr Sprachen und war bei der Diagnose vier bis fünf Jahre älter als die übrigen Probanden. "Wer zweisprachig ist, funktioniert noch, wenn längst Alzheimersymptome vorhanden sind", sagt Bialystok.

 

Forschern zufolge steigert die Mehrsprachigkeit die Konzentration und verbessert Lernen, Erinnerung, Planung und Kreativität. So berichtet die US-Sprachforscherin Karen Emmorey von einem Experiment, in dem die Teilnehmer in einem Muster aus geometrischen Formen erkennen sollten, in welche Richtung ein darin verborgener Pfeil zeigt. Wer nur eine Sprache beherrschte, machte zwar genauso wenig Fehler wie die zweisprachigen Probanden, benötigte aber für die Aufgabe rund 20 Prozent mehr Zeit. Emmorey setzte auch Versuchspersonen ein, bei denen die Zweitsprache die Gebärdensprache war. Diese Probanden schnitten nicht besser ab als jene, die nur eine Sprache beherrschen.

Emmoreys Erklärung: "Anders als Menschen, die zusätzlich eine Gebärdensprache beherrschen, kann jemand mit zwei gesprochenen Sprachen ein Wort nicht in beiden Sprachen gleichzeitig ausdrücken. Das Gehirn muss immer eine Sprache unterdrücken." Dadurch trainieren Mehrsprachige ihr Gehirn darauf, Dinge zu ent- und unterscheiden. Dolmetscher sind deshalb sehr gut darin, ihre Aufmerksamkeit aufzuteilen und mehrere Dinge gleichzeitig zu tun.

Mehrsprachigkeit steigert die Konzentration

Die Grundlagen dafür können im Säuglingsalter gelegt werden. Eben erst veröffentlichte eine Forschergruppe um Angela Friederici vom Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften im Fachmagazin "Plos One" Erstaunliches: Nach nur einer Viertelstunde "Italienisch für Anfänger" können vier Monate alte deutsche Säuglinge erkennen, ob im italienischen Satz die Grammatik stimmt.

Zunächst hörten die Säuglinge drei Minuten lang einfache Sätze mit zwei grammatischen Konzepten, entweder in der Form "Der Bruder kann singen" oder in der Form "Die Schwester singt gerade". Danach sprachen die Forscher den Kindern falsche Sätze vor, etwa "Der Bruder ist singen". Den Vorgang wiederholten sie viermal und maßen dabei die Hirnströme der Säuglinge. Dabei zeigte sich, dass die Kinder mit fortschreitender Übung auf richtige Grammatik anders reagierten als auf falsche. Bereits mit vier Monaten stellten sie den Bezug her zwischen der italienischen Entsprechung des Hilfsverbs kann und der typischen Infinitivendung - obwohl es sich um eine Fremdsprache handelte.

"In einer zweisprachigen Umwelt kann auch schon ein Neugeborenes zwischen beiden Sprachen unterscheiden", berichtet Janet Werker, Psychologin an der kanadischen Universität von British Columbia. Die Babys bevorzugen offensichtlich auch beide Muttersprachen gleichermaßen gegenüber einer unbekannten Fremdsprache. Aber woran erkennen Kinder mit wenigen Monaten den Unterschied?

Babys merken, dass etwas Neues geschieht

Säuglinge sind Erwachsenen gegenüber im Vorteil

Neben Rhythmus, Lauten und Fonotaktik, also den Möglichkeiten der Lautkombination, nutzen Babys die Stellung der Lippen und der Gesichtsmuskulatur, um Sprachen zu erkennen. Janet Werker wollte wissen, ob Neugeborene Sprachen auch ohne deren Klang unterscheiden können. Sie ließ philippinische Neugeborene zuerst Sprecher dabei beobachten, wie sie stumm mit den Lippen Sätze in Englisch formten, bis die Babys wegsahen. Fingen die Sprecher wenig später in derselben Sprache wieder an stumm zu reden, sahen die Neugeborenen nur kurz hin. Wechselten die Sprecher jedoch zu Tagalog, einer philippinischen Sprache, blieben die Babys wesentlich länger aufmerksam.

Psychologen werten die erhöhte Aufmerksamkeit als Hinweis darauf, dass die Babys gemerkt hatten, dass etwas Neues geschah. Isabell Wartenburger von der Uni Potsdam sieht Säuglinge bei dem Experiment Erwachsenen gegenüber im Vorteil: In den ersten sechs bis neun Monaten seien die Laute aller Sprachen unterscheidbar, später trenne das Gehirn nur noch Laute, deren Unterscheidung in der Muttersprache relevant sind.

Hat also nur eine Chance auf verlängerte geistige Gesundheit, wer zweisprachig aufwächst? Bereits 1996 zeigten die US-Forscherinnen Christine Weber-Fox und Helen Neville bei Untersuchungen von Gehirnströmen, dass vom dritten Lebensjahr an erlernte Grammatik anders verarbeitet wird als die Regeln der Muttersprache. Für den Erwerb des Wortschatzes hingegen fanden sie keine Unterschiede.

Einige Forscher haben mit Sprachtests versucht, Unterschiede beim Lernerfolg zwischen Kindern und Erwachsenen sowie Ein- und Mehrsprachigen aufzuzeigen. Die Ergebnisse sind durchwachsen, weil objektive Kriterien für Sprachkompetenz insbesondere über verschiedene Sprachen hinweg schwierig aufzustellen sind. Eine Altersschwelle, ab der das Gehirn Sprachen plötzlich anders verarbeitet, konnte bisher keine Forschergruppe plausibel belegen.

Ein Auslandsaufenthalt ist sinnvoll

Um als Erwachsener eine Fremdsprache zu erlernen, ist das Eintauchen in die neue Sprache sinnvoll, etwa beim Auslandsaufenthalt. Steht niemand mit gleicher Muttersprache zur Verfügung, ist der Lernerfolg deutlich höher als in Kursen, hat Jared Linck von der Uni Maryland in einer Studie gezeigt. Hielten sich englischsprachige Studienteilnehmer in Spanien auf, unterdrückte ihr Gehirn die Muttersprache und erleichterte das Spanischlernen.

Weil es Erwachsene gibt, die neue Sprachen auf hohem Niveau erlernen, glaubt Ellen Bialystok nicht an eine Einschränkung des erwachsenen Gehirns. Erwachsene würden vielmehr in den seltensten Fällen dieselbe ungeteilte Aufmerksamkeit dem Spracherwerb widmen, wie Kinder es tun. Sicher sei hingegen, so Bialystock, dass es sich auch lohne, mit 50 Jahren noch eine neue Sprache zu erlernen.

Die Gesetze der Sprache

Fonotaktik: Jede Sprache hat bestimmte Regeln, wie ihre Laute zu Wörtern kombiniert werden können – die Fonotaktik. „Skrultz“ könnte dem Gefühl nach ein deutsches Wort sein, „Mnlutps“ lässt sich hingegen intuitiv ausschließen. Babys nutzen unter anderem die Fonotaktik, um Sprachen voneinander zu unterscheiden.

Fonem: Ein Laut ist ein sogenanntes Fonem, wenn er die Bedeutung einer Lautfolge von der einer anderen Lautfolge unterscheidet, die ihr bis auf die Position, wo er steht, völlig gleich ist. So sind beispielsweise die Wörter Bein und Pein nur durch die Foneme b und p unterschieden; sie bilden damit ein Minimalpaar. Allgemein wird das Fonem als die kleinste, bedeutungs- unterscheidende Einheit der Sprache definiert.