Im Pallotti-Kindergarten in Birkach haben 18 der 22 Knirpse ausländische Wurzeln. Sprachförderung ist deshalb Alltag in der Einrichtung.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Birkach - Brille ist Annas neues Lieblingswort. Wenn sie es sagt, rollt sie das R. Ihre Eltern sind Italiener. Manchmal zieht sie die Brille aus und schiebt sie gleich wieder auf die Nase. Anna ist stolz, sie hat die Sehhilfe mit den gestreiften Bügeln erst vor ein paar Tagen bekommen. Mal abgesehen von Brille ist der Wortschatz der Vierjährigen überschaubar. Oft kommt nur Genuschel, wenn Anna etwas sagen will. Dann sagt Irmtraud Böhm: „Ich habe dich nicht verstanden, Anna. Versuch es noch mal.“

 

Irmtraud Böhm ist Sozialpädagogin und arbeitet im katholischen Pallotti-Kindergarten in Birkach. Ihr Job ist es, sich um die Sprache der Knirpse zu kümmern. Heißt: Sie hat jede Menge zu tun. Von den 22 Kindern haben 18 ausländische Wurzeln.

Anna mit der Brille sitzt mit vier anderen Kindern im blauen Zimmer und singt „Hallo, hallo, schön dass du da bist“. Die Kinder winken. „Mit was winken wir uns denn zu?“, fragt Irmtraud Böhm. Schweigen, die Kinder schauen die Erwachsene an. „Mit den Fingern“, wagt sich Grisha vor. „Und wie heißt das Ganze?“ „Hand“, sagt Ariana. Anna verfolgt das Hin und Her aufmerksam durch ihre Brillengläser. Sie rutscht auf dem Stuhl herum, dann springt sie auf und sprudelt los. Es hört sich an wie der Singsang aus einer Babykehle.

Die Kinder üben dauernd Deutsch

Anna besucht den Pallotti-Kindergarten erst seit Februar. Am Anfang musste Irmtraud Böhm das Mädchen viel öfter bitten, das Gesagte zu wiederholen. Dass sich das geändert hat, liegt auch am blauen Zimmer. In den Raum mit den blauen Wänden zieht sich Irmtraud Böhm mit Gruppen zur Sprachförderung zurück, für je eine halbe Stunde. „Das reicht natürlich nicht“, sagt sie. Daher übt sie dauernd mit den Kindern, sei es beim Frühstück, beim Spazieren, beim Turnen. „Es ist wichtig, Sprache auf verschiedenen Ebenen zu erfahren.“

Fast alle der Pallotti-Kinder sind in Deutschland geboren. Trotzdem beherrschen sie die Sprache nur mangelhaft. Das liegt auch daran, wie daheim geredet wird. Manche Eltern glauben, sie täten den Kindern was Gutes, wenn sie Deutsch sprechen. Nach dem Motto: besser gebrochenes Deutsch als gar keins. Mit der fatalen Folge, dass die Kinder weder die Grammatik der einen noch der anderen Sprache richtig lernen. „Wir sagen immer zu den Eltern, sie sollen ihre Sprache sprechen, Deutsch machen wir hier im Kindergarten“, sagt Maria Lang, die den Pallotti-Kindergarten leitet.

Sprachförderung gehört seit 13 Jahren zum Repertoire des Birkacher Kindergartens – und damit seit einer Zeit, in der Sprachförderung kein Thema in Politikerreden war. „Da war noch nicht klar, dass Migrantenkinder so große Probleme haben“, sagt Maria Lang. Heute gibt es Programme noch und nöcher. Die Sprachförderung unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland. Dass sie etwas taugt, ist nicht bewiesen. Die wenigen Evaluationen, die es bisher gibt, fielen ernüchternd aus.

Ob Spatz funktioniert, muss sich weisen

In Baden-Württemberg gibt es Spatz. Das steht für Sprachförderung in allen Tageseinrichtungen für Kinder mit Zusatzbedarf und ist ein neues Konzept. „Spatz ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit“, sagt die Sprecherin des zuständigen Kultusministeriums. Ob Spatz funktioniert, muss sich erst weisen. Das Land beteiligt sich zudem bei der Bundesinitiative „Offensive Frühe Chancen – Schwerpunkt-Kitas Sprache und Integration“, die von 2011 bis 2014 läuft.

Jedes Kind wird daraufhin untersucht, ob es schulreif ist. Stellt sich heraus, dass die Sprache nicht so ist, wie sie sein sollte, ist ein Sprachentwicklungstest verpflichtend. Das Gesundheitsamt und der Kindergarten empfehlen den Eltern dann, was zu tun ist. Die Mütter und Väter müssen der Förderung schriftlich zustimmen.

Wenn Anna mit der Brille und die anderen plappern, plappern sie holprig. Was nicht heißt, dass sie nie aufs Gymnasium kommen. Irmtraud Böhm arbeitet letztlich nicht nur mit Wörtern, sondern auch an Bildungsbiografien. Klecksen hilft beim Deutschlernen. Anna und ihre Freunde dürfen sich eine Farbe aussuchen, Irmgard Böhm schmiert sie auf die Kinderhände. Danach drücken die Kinder sie auf ein Papier. So kann Irmtraud Böhm den Kindern am besten erklären, wie die einzelnen Finger heißen. Grisha hat Grün gewählt. Das kann Anna nicht verstehen. „Grün is nich schick“, sagt sie. „Ich will Rosa.“ Manchmal redet Anna wie eine Vierjährige.