Flüchtlinge und Einheimische bringen sich im Rahmen eines Tandemprogramms gegenseitig ihre Sprache und Kultur bei. Dabei geht es in erster Linie darum, Kontakte zu knüpfen und Anschluss zu finden. Ein Selbstversuch.

Manteldesk: Sandra Hintermayr (shi)

Hohenheim - Mohamad Bashar Alajloub ist eindeutig im Vorteil: Er hat bereits ein bisschen Deutsch gelernt. Für mich dagegen ist seine Sprache absolutes Neuland. Ich möchte lernen, mich auf Arabisch vorzustellen. „Hallo, mein Name ist Sandra. Ich komme aus Stuttgart. Ich bin 28 Jahre alt.“ Der Klassiker beim Erlernen einer neuen Sprache. Der Syrer beherrscht diese Sätze auf Deutsch bereits. Über ein von Hohenheimer Studenten initiiertes Sprachtandemprojekt treffen wir uns im Café Denkbar auf dem Campus. Die Unterrichtssprache für heute ist Englisch. Der 20-jährige Syrer spricht auch diese Sprache recht gut.

 

Meine Arabischlernversuche dagegen wirken selbst auf mich stümperhaft. Der Knoten in der Zunge ist programmiert. Mit den fremdartigen Lauten tue ich mich schwer. Ebenso mit der schnörkeligen Schrift, in der Alajloub mir einige Sätze in seiner Muttersprache aufschreibt.

Der junge Syrer beweist Geduld mit seiner Schülerin, auch wenn er zwischendurch schmunzeln muss. Ich müsste es vermutlich auch, wenn ich an seiner Stelle meine verzweifelten Sprechversuche hören würde.

Eigentlich dachte ich, ich bin sprachlich begabt. Doch langsam glaube ich, meine Fähigkeiten sind nun an ihre Grenze gelangt – die arabische Hochsprache. Alajloub spricht die Sätze vor, ich versuche, sie nachzusprechen. „Dein Akzent hört sich ein bisschen an, wie wenn ein Kurde Arabisch spricht“, sagt der Syrer. Ich beschließe, das als Lob zu werten.

Oft weiß Alajloub tagelang nicht, wie es seiner Familie geht

Auf Englisch frage ich den jungen Mann, ob ich mich besonders blöd anstelle. Er lacht und sagt, ihm sei es bei seinen ersten Deutschversuchen nicht anders gegangen. Seine Tandempartnerin hat ihm bereits ein bisschen etwas beigebracht. Mitte März beginnt er mit einem richtigen Deutschkurs. „Die Sprache klang für mich zu Beginn sehr seltsam“, sagt Alajloub. Mit den deutschen Artikeln tue er sich besonders schwer. Aber der junge Mann ist ehrgeizig. Er möchte so schnell wie möglich die Sprache beherrschen, um sich an einer Uni einschreiben zu können. Er hat in seiner Heimat mit einem Jurastudium begonnen, bevor er nach Deutschland geflohen ist und möchte auf jeden Fall weiter Jura studieren. „Ich hoffe, dass ich in einem Jahr so gut bin, an einer deutschen Uni aufgenommen zu werden“, sagt Alajloub.

Wie es danach weitergehen soll, weiß er noch nicht. Vielleicht geht er wieder nach Syrien, wenn kein Krieg mehr herrscht. Seine Familie lebt im Süden des Landes, nahe der Stadt Dar’a. Er versucht, über Handy mit seinen Liebsten in Kontakt zu bleiben. Doch das funktioniert nicht immer. Mal gibt es in Syrien kein Netz, manchmal fällt der Strom aus. So weiß er oft mehrere Tage lang nicht, wie es seiner Familie geht.

Meine Arabischlernversuche gebe ich fürs Erste auf. Ich höre mir lieber an, was Alajloub zu erzählen hat. Die Sprachtandems sind für ihn mehr als nur eine Möglichkeit, ein bisschen Deutsch zu lernen. „Es ist schön, Leute kennenzulernen, sich zu unterhalten, etwas zusammen zu machen“, sagt er.

Die Vorfälle an Silvester haben den Syrer schockiert

Im September kam Mohamad Bashar Alajloub nach Deutschland, wurde zuerst in der Alfred-Wais-Halle in Birkach untergebracht. Seit wenigen Wochen lebt er in einer Unterkunft in Bad Cannstatt. Mit Bus und Bahn ist er so oft es geht unterwegs, erzählt er. Der 20-Jährige besucht Bekannte und Freunde in der Wais-Halle und in anderen Unterkünften. Er versucht, ihnen zu helfen, wo er kann. Etwa, indem er als Übersetzer ins Englische fungiert.

Von den Vorfällen in Köln, Hamburg und Stuttgart in der Silvesternacht hat er gehört. Er sei schockiert darüber gewesen, sagt Alajloub. „Nicht alle Flüchtlinge sind gleich“, betont er. Natürlich gebe es schlechte Menschen, aber überwiegend gute. „Man sollte die einzelne Person sehen, nicht alle Flüchtlinge zusammen“, wünscht sich Alajloub.

Mal Schüler, mal Lehrer

Charlotte Peitz und Paula Brendel haben das Projekt Sprachtandems über die Stundenteninitiative Global Campus an die Uni Hohenheim geholt. „Wir wollten etwas für die Geflüchteten tun“, sagt Paula Brendel. „Wir hielten Deutschkurse für eine gute Idee, aber der Frontalunterrichtcharakter gefiel uns nicht.“ Ein Kommilitone machte die Studentinnen auf die Sprachtandems aufmerksam. Ein Freundeskreis in Winnenden habe bereits gute Erfahrungen mit den Tandems gesammelt. Im Wintersemester 2015/16 ist das Projekt auch in Hohenheim gestartet.

Paula Brendel (links) und Charlotte Peitz haben die Sprachtandems nach Hohenheim geholt. Foto: Sandra Hintermayr

Bei den Sprachtandems geht es um den Austausch zwischen beiden Partnern. Die Flüchtlinge lernen nicht nur Deutsch, sondern die Einheimischen können auch die Sprache der Flüchtlinge lernen. „Bei den Tandems können die Geflüchteten auch etwas anbieten, es findet Kommunikation auf Augenhöhe statt“, sagt Brendel. Die Rollen des Schülers und des Lehrers wechseln. Dabei geht es nicht nur um das Erlernen der Sprache des anderen, es wird auch Kultur vermittelt. „Private Unterhaltungen sind ausdrücklich erwünscht“, sagt Brendel. „Es geht darum, sich kennenzulernen, Anschluss zu finden.“ Meist finden die Unterhaltungen auf Englisch statt, solange der eine die Sprache des anderen noch wenig beherrscht. „Zur Not verständigt man sich mit Händen und Füßen“, sagt Brendel.

Die Männer sind oft unsicher gegenüber den Studentinnen

Rund 50 Tandempaare haben sich über die Studenteninitiative in Hohenheim bereits gebildet. Die Kandidaten tragen sich in Listen ein. Darin sind unter anderem das Alter und die Zeiträume vermerkt, in denen sie verfügbar sind. So können Brendel und Peitz die Tandems passend zusammenstellen. Auf einem ersten gemeinsamen Treffen lernen sich dann alle Kandidaten in großer Runde kennen. Die Organisation der einzelnen Treffen bleibt den Tandempartnern überlassen. Sie verabreden sich meist übers Handy.

„Die Gestaltung der Stunden liegt in der Hand der Tandems. Wie viel Sprache sie lernen wollen, bleibt ihnen überlassen“, sagt Peitz. Tipps zur Gestaltung der Tandemstunden geben die beiden Studentinnen gerne.

Für die Tandems melden sich seitens der Studenten mehr Frauen als Männer, bei den Flüchtlingen ist es umgekehrt. Konflikte gab es noch nie. „Viele der Männer sind unsicher gegenüber den Studentinnen“, sagt Brendel. „Sie haben Angst, etwas falsch zu machen“, ergänzt Peitz. „Sie müssen erst lernen, dass es bei uns in Ordnung ist, sich mit einer Frau in einem Café zu treffen.“

Internet:
Auf einer von Hohenheimer Studenten angelegten Website wird das Prinzip Sprachtandem erklärt. Eine Karte zeigt, wo in der Nähe es bereits Sprachtandemangebote gibt. Über ein Formular kann man sich als Tandempartner anmelden. Außerdem gibt es Hilfestellungen für Menschen, die selbst ein Tandemprogramm auf die Beine stellen wollen.

Mehr unter www.linguandem.de