Der 15. „Spreewaldkrimi“ über eine mögliche Mörderin mit multipler Persönlichkeit lockt das Publikum brillant auf eine falsche Fährte.

Keine andere Krimireihe im deutschen Fernsehen spielt derart virtuos mit Erwartungen – auch nach dem Abschied von Thomas Kirchner, der seit dem Start 2006 alle Drehbücher geschrieben hatte. Das Publikum ist sich nie sicher, ob es den Bildern trauen kann, weil sie mitunter nur die halbe Wahrheit offenbaren oder weil sie eine subjektive Sicht vermitteln, die von der objektiven Realität abweicht.

 

Das ist auch der Kern des 15. Spreewaldkrimis „Die siebte Person“. Die wichtigste Gastfigur, Maja Wiechmann (Friederike Becht), hat eine multiple Persönlichkeit: Sie ist zu sechst infolge eines traumatischen Erlebnisses. Gezeigt wird dieses zum Glück nicht – Maja hat das Grausigste erlebt, was Kindern widerfahren kann. Um sich vor den Erinnerungen zu schützen, hat sie einen Teil ihrer Persönlichkeit abgespalten. So ist das Schreckliche in gewisser Weise nicht ihr, sondern jemand anderem zugestoßen.

Ein halbes Dutzend Darsteller verkörpern gleichzeitig die selbe Figur

Warum sich zu diesem Teil ihres Selbst noch vier weitere Charaktere gesellt haben, lässt das Drehbuch von Nils-Morten Osburg (Mitarbeit: Produzent Wolfgang Esser) offen, doch in der filmischen Umsetzung ist es natürlich faszinierend, wenn in einer Szene ein halbes Dutzend Darsteller ein und dieselbe Figur verkörpern. Darunter ist überraschenderweise auch ein Mann: Philipp Hochmair hat als toxischer „Flüsterer“ den gruseligsten Part des Sextetts. Aber auch die anderen sind prägnant besetzt: Frida-Lovisa Hamann spielt eine Künstlerin, die die restlichen Mitglieder dieser Kopf-WG miteinander versöhnen möchte, Anna Herrmann repräsentiert Majas sexuelle Bedürfnisse.

Schon das ständige Gewisper genügt, um ihren bedauernswerten Zustand nachvollziehen zu können. Seinen Titel verdankt der Krimi einer Entwicklung, mit der die Therapeutin (Birge Schade) der jungen Frau nicht gerechnet hat: Als Maja unerwartet mit ihrem Trauma konfrontiert wird, bahnt sich die Entstehung einer weiteren Persönlichkeit an. Zum Krimi wird die Geschichte, weil diese „siebte Person“ womöglich einen Mord begangen hat.

Unheimliche Amtosphäre

Der Film beginnt mit einer Szene, die seine Stimmung treffend vorwegnimmt: Maja stakt mit einen Kahn, in dem drei Frauen, ein Mann und ein Kind sitzen, durch den nächtlichen Spreewald. Die Atmosphäre ist unheimlich, die Stimmung bedrohlich. Als das Boot in der Nähe eines Hauses anlegt, stellt der Regisseur Lars-Gunnar Lotz akustische Details in den Vordergrund: Das Quietschen eines Wetterhahns und die typischen Geräusche eines Fahnenmastes lösen in Maja umgehend eine Panikattacke aus. Tags drauf ist das Haus, der Schauplatz ihres Kindheitstraumas, nur noch eine Ruine: „Leid wird zu Flammen, die sich selbst verzehren“, zitiert Hauptkommissar Fichte (Thorsten Merten) aus Carl Zuckmayers „Elegie von Abschied und Wiederkehr“.

Die Hauptfigur des Films ist jedoch wie eh und je Fichtes ehemaliger Chef Thorsten Krüger (Christian Redl), den Maja in der Verkleidung einer Spreewald-Sagengestalt aufsucht, um einen Mord anzukündigen. Tatsächlich stirbt wenig später ein Landtagsabgeordneter (Thomas Lawinky), der allerlei krumme Geschäfte zu verantworten hat. Natürlich hängt, wie Fichte irgendwann feststellt, alles mit allem zusammen, aber wie? Und welche Rolle spielt ein junger Mann (Oleg Tikhomirov), der als martialischer Faustkämpfer eingeführt wird und offenbar eine enge Beziehung zu Maja hat?

Die siebte Figur ist ein Knüller

Lotz gehört zu den Regisseuren, die nicht unbedingt bekannt sein mögen, aber für hohe Qualität stehen. Zuletzt hat er mit Henry Hübchen den Krimi „Das Licht in einem dunklen Haus“ (2022) gedreht, davor „Plötzlich so still“ (2021, ebenfalls mit Becht), ein bewegendes Drama über eine junge Mutter, die sich Ersatz für ihr verstorbenes Baby besorgt. Seine Beiträge zu „Stralsund“ waren gleichfalls sehenswert (alle ZDF).

Der inhaltliche Knüller seines „Spreewald“-Debüts ist die völlig überraschende Offenbarung der siebten Figur, die durch eine winzige Animation charakterisiert wird. Eindrucksvoller als jene Szene, in der Becht von einer Rolle in die andere schlüpft, ist die Verbildlichung der Identitätsstörung: Schlichte Kameraschwenks genügen für die Persönlichkeitswechsel.

Die siebte Person: 30.1., ZDF, 20.15 Uhr