Bowies Idol Isherwood verkehrte in den Schwulenkneipen in Kreuzberg, so im Cosy Corner in der Zossener Straße – da, wo ein halbes Jahrhundert später Skodas Künstler-Kommune lebt. Die Zossener ist heute ein Filmstreifen aus der Vergangenheit. Keine Hipster zu sehen, in den Läden und auf der Straße grauhaarige Männer mit Ohrringen, Frauen mit hennaroten Haaren, enge schwarze Hosen, das Gesicht leicht verlebt. Der Plattenladen Space Hall hat mehr als 50 000 Vinylscheiben vorrätig, auf Regaltischen bis weit hinten in schwarze Räume, schwarze Löcher des Musikuniversums. Allein von David Bowie stehen 33 im Regal, von „Space Oddity“ bis „The Next Day“. Sie kosten bis zu 55 Euro, „janz schöne Preise, wa?!“, sagt ein Kunde. Seit 1991 gibt es das Space Hall. Aber der Chef hinten im Hof, einfach durchgehen, sei schon länger da. Der Chef hantiert mit Grünpflanzen. „Ach nee“, sagt er lapidar. Eine Reportage zu Bowie in Berlin, mal janz was Neues. Einmal habe er Bowie gesehen, im Zensor, dem legendären Plattenladen in Schöneberg, gegründet von Burkhardt Seiler, der den Begriff Neue Deutsche Welle erfand. Aber er habe sich nicht getraut, Bowie anzusprechen. Ein Kunde rät dazu, einen gewissen Steve zu befragen. „Der hat den Iggy mal im Café gesehen.“

 

Wie ein Pilzgeflecht liegen die Vernetzungen der Bowie-Momente dicht unter der Erde. Vorausgesetzt, man fragt im ehemaligen Westberlin, in Kreuzberg, Schöneberg und nicht in Zehlendorf oder Charlottenburg.

Wobei in Charlottenburg der Dschungel war, erst eine Kneipe, dann eine Disco an der Nürnberger Straße. Im Einrichtungsladen Morgentau erklärt der Besitzer im schwarzen Anzug einem Kunden, der Tisch koste 48 000 Euro, eine Sonderanfertigung. Sie wünschen? – War hier der Dschungel? „Keine Ahnung“, näselt er. „Berlins legendäre Disco, David Bowie, Iggy Pop, alle waren hier, der DJ der Anfangsmonate war Rio Reiser!“ – „Ich weiß davon nichts“, sagt er und sieht drein, als würde er die Fragerin gern rausfeudeln. Sein Laden wirbt so: „Ein Umfeld, das die Sinne beflügelt und den Geist befreit. Ein Zuhause, in dem Luxus Alltag und Alltag Luxus ist.“ Weiter weg vom Dschungel kann man nicht sein.

Romy Haag will nicht mehr drüber sprechen

Ganz in der Nähe, in der Fuggerstraße, war Bowie womöglich noch öfter anzutreffen: Chez Romy Haag hieß das Lokal der transsexuellen Niederländerin. Sie wird seine Muse, Geliebte, Freundin. Nach einem Konzert in der Deutschlandhalle soll alles begonnen haben, „ich habe immer noch das Bild vor Augen, wie sich hinter seinem Kopf der Mercedes-Stern auf dem Europa-Center wie eine Aureole drehte, als wir uns küssten“. Doch sie spricht nicht mehr gern über diese Zeiten. Alle wollten mit ihr nur über Bowie reden. „Das kotzt mich an.“ Gerade jetzt zur Bowie-Ausstellung, die der Martin-Gropius-Bau aus London übernommen hat, klingeln wieder Journalisten bei Berlinern, um sie nach ihren Bowie-Momenten zu fragen. Romy Haag sagt, sie verspüre manchmal eine „Nostalgie nach der Mauerstadt“, dieser Welt unter Glas. „Man verglich sich nie mit Westdeutschland oder der DDR. In den Köpfen waren New York und London immer viel realer als Gelsenkirchen oder Osnabrück.“ Und Iggy Pop, der mit Bowie nach Berlin gegangen war, schwärmte von der Mauer: „Sie schuf eine wundervolle Insel, auf die gleich Art wie Vulkane Inseln im Meer hervorbringen.“

Berlin ist es piepegal, dass er hier ist und warum. Die Stadt nimmt ihn auf und duldet ihn „wie sie noch jeden Freak und interessanten Spinner geduldet hat, der hier sein Glück versucht: fraglos, ohne Anteil, achselzuckend“, so Rüther.

Wie sieht Bowie aus? Ausgemergelt, als er kommt, später erholter – und seltsam. Der Performer, dessen Outfits später in Museen wandern sollen, trägt Schnauzbart und karierte Hemden, wirkt wie ein Typ aus Texas. Die Legende sagt, er habe diese Hemden in einem Laden für Berufsbekleidung am Mehringdamm gekauft. Ja, den Laden gebe es seit über siebzig Jahren hier, sagt die Verkäuferin. Kann schon sein, dass Bowie hier eingekauft hat. „Der hatte doch ne Disco am Ku’damm!“ So ähnlich.

Pilzgeflecht der Bowie-Momente

Bowies Idol Isherwood verkehrte in den Schwulenkneipen in Kreuzberg, so im Cosy Corner in der Zossener Straße – da, wo ein halbes Jahrhundert später Skodas Künstler-Kommune lebt. Die Zossener ist heute ein Filmstreifen aus der Vergangenheit. Keine Hipster zu sehen, in den Läden und auf der Straße grauhaarige Männer mit Ohrringen, Frauen mit hennaroten Haaren, enge schwarze Hosen, das Gesicht leicht verlebt. Der Plattenladen Space Hall hat mehr als 50 000 Vinylscheiben vorrätig, auf Regaltischen bis weit hinten in schwarze Räume, schwarze Löcher des Musikuniversums. Allein von David Bowie stehen 33 im Regal, von „Space Oddity“ bis „The Next Day“. Sie kosten bis zu 55 Euro, „janz schöne Preise, wa?!“, sagt ein Kunde. Seit 1991 gibt es das Space Hall. Aber der Chef hinten im Hof, einfach durchgehen, sei schon länger da. Der Chef hantiert mit Grünpflanzen. „Ach nee“, sagt er lapidar. Eine Reportage zu Bowie in Berlin, mal janz was Neues. Einmal habe er Bowie gesehen, im Zensor, dem legendären Plattenladen in Schöneberg, gegründet von Burkhardt Seiler, der den Begriff Neue Deutsche Welle erfand. Aber er habe sich nicht getraut, Bowie anzusprechen. Ein Kunde rät dazu, einen gewissen Steve zu befragen. „Der hat den Iggy mal im Café gesehen.“

Wie ein Pilzgeflecht liegen die Vernetzungen der Bowie-Momente dicht unter der Erde. Vorausgesetzt, man fragt im ehemaligen Westberlin, in Kreuzberg, Schöneberg und nicht in Zehlendorf oder Charlottenburg.

Wobei in Charlottenburg der Dschungel war, erst eine Kneipe, dann eine Disco an der Nürnberger Straße. Im Einrichtungsladen Morgentau erklärt der Besitzer im schwarzen Anzug einem Kunden, der Tisch koste 48 000 Euro, eine Sonderanfertigung. Sie wünschen? – War hier der Dschungel? „Keine Ahnung“, näselt er. „Berlins legendäre Disco, David Bowie, Iggy Pop, alle waren hier, der DJ der Anfangsmonate war Rio Reiser!“ – „Ich weiß davon nichts“, sagt er und sieht drein, als würde er die Fragerin gern rausfeudeln. Sein Laden wirbt so: „Ein Umfeld, das die Sinne beflügelt und den Geist befreit. Ein Zuhause, in dem Luxus Alltag und Alltag Luxus ist.“ Weiter weg vom Dschungel kann man nicht sein.

Romy Haag will nicht mehr drüber sprechen

Ganz in der Nähe, in der Fuggerstraße, war Bowie womöglich noch öfter anzutreffen: Chez Romy Haag hieß das Lokal der transsexuellen Niederländerin. Sie wird seine Muse, Geliebte, Freundin. Nach einem Konzert in der Deutschlandhalle soll alles begonnen haben, „ich habe immer noch das Bild vor Augen, wie sich hinter seinem Kopf der Mercedes-Stern auf dem Europa-Center wie eine Aureole drehte, als wir uns küssten“. Doch sie spricht nicht mehr gern über diese Zeiten. Alle wollten mit ihr nur über Bowie reden. „Das kotzt mich an.“ Gerade jetzt zur Bowie-Ausstellung, die der Martin-Gropius-Bau aus London übernommen hat, klingeln wieder Journalisten bei Berlinern, um sie nach ihren Bowie-Momenten zu fragen. Romy Haag sagt, sie verspüre manchmal eine „Nostalgie nach der Mauerstadt“, dieser Welt unter Glas. „Man verglich sich nie mit Westdeutschland oder der DDR. In den Köpfen waren New York und London immer viel realer als Gelsenkirchen oder Osnabrück.“ Und Iggy Pop, der mit Bowie nach Berlin gegangen war, schwärmte von der Mauer: „Sie schuf eine wundervolle Insel, auf die gleich Art wie Vulkane Inseln im Meer hervorbringen.“

Zum Essen trifft man Bowie im Exil. Ein österreichisches Lokal am Paul-Lincke-Ufer und ein gefährlicher Ort, weil die Treppe ins Untergeschoss halsbrecherisch steil ist. Hat sich Bowie dort wirklich die Hand gebrochen? Edith Berlinger lacht laut heraus. Die österreichische Wirtin war damals im Exil selbst oft Gast, bis sie später dort das Horvath eröffnete. Nein, Bowie sei das nicht gewesen, sondern Romy Haag, vielleicht. „Dös san doch lauter alte Gschichtn, jeder erzählt was anderes.“ Das Exil führt zu Bowies Zeiten auch ein Österreicher: Oswald Wiener, Philosoph, Schriftsteller („die verbesserung von mitteleuropa“) und Gastronom, heute weniger bekannt als seine kochende Tochter Sarah. „Hirn mit Ei“ soll Bowies Leibspeis gewesen sein. Später zieht man weiter Richtung Bahnhof Zoo, in die Paris Bar. Den hintersten Tisch, „sibirische Nische“ genannt, reserviert oft eine gewisse Mrs. Jones: David Bowie.

Der Ort von „Low“, „Lodger“ und „Heroes“

Aber Bowie hängt nicht nur in Bars und Betten rum, er ist zum Arbeiten in der Stadt. Sein Berliner Triptychon mit den Alben „Low“, „Lodger“ und „Heroes“ entsteht teilweise in den Hansa Studios. In dem Jugendstilbau werden bis heute Platten aufgenommen, zuletzt von Roland Kaiser, auch Depeche Mode, R.E.M., U2 arbeiteten hier. Bowie, auskunftsfreudiger Zeuge seiner selbst, erzählt die Geschichte zu einem seiner berühmtesten Lieder: Vom Studiofenster aus sah er an der Mauer ein Pärchen, das sich küsste – die Initialzündung für einen der größten Berlinsongs: „I can remember/ Standing, by the wall/ And the guns shot above our heads . . . We can be heroes, just for one day“.

Der elegante Meistersaal von 1913, die „Big hall by the wall“, wie Bowie das Studio nannte, ist eingebunden in eine Häuserfront. Bis zu den Achtzigern stand das Gebäude einzeln auf einer Brache, nahe der Mauer. Wer alles genau wissen will, kann eine Studiotour buchen. „Tretet ein in Heiliges Bowie-Land“, sagt der Veranstalter grinsend und öffnet die Studiotür. Er weiß, wonach Fans lechzen, zeigt die Achtspur-Bandmaschine, mit der „Heroes“ aufgezeichnet wurde, am Ende schallt es sehr laut aus den Studiolautsprechern.

Zwischen Grunewald und Schöneberg

Tobias Rüther schreibt in seinem Buch, wie sehr David Bowie daran glaubt, dass Popmusik die eine, große Kunstform ist, in der sich alles außer Kraft setzen lasse: Zeit, Identität, Authentizität, Geschichte. „Ein Popsong gibt auch dem, der ihn hört, für die Dauer von drei Minuten die Möglichkeit, sich in etwas komplett anderes zu verwandeln, und zwar immer, immer, immer wieder. Und Berlin, die Stadt, in der gestern und heute und morgen nebeneinander leben, war der ideale Ort dafür.“ Immer wieder fuhr Bowie ins Brücke-Museum im Grunewald; ein Porträt Ernst Ludwig Kirchners von Erich Heckel wird zum Vorbild für das Cover von „Heroes“.

Isherwood, der „Cabaret“-Autor, hatte in Schöneberg gelebt. Dort landet auch Bowie, in einer Sieben-Zimmer-Altbauwohnung: „ein Zugezogener in einem Riesenaltbau, der kein Geld hat, aber erst mal ein paar Kunstprojekte anfängt“. Tobias Rüthers Beschreibung scheint von zeitloser Gültigkeit für Berlin.In der Schöneberger Hauptstraße, einer vierspurigen verkehrsreichen Straße, ist ähnlich wie in der Zossener in Kreuzberg die Gentrification nicht angekommen, es sieht hier nicht groß anders aus als zu Bowies Zeiten. Eine Frau putzt Fenster im ersten Stock in Nr. 155, da hat er gewohnt. Ein dunkler Hofeingang führt in den Hinterhof, hier irgendwo hat er Iggy Pop ausquartiert, weil der ihm die Lebensmitteleinkäufe wegfutterte. Vor dem Haus geht ein Mann vorbei, und er trägt wie ein bezahlter Statist in dieser Recherche eine Tüte vom KaDeWe, in dessen sechster Etage Bowie einkaufte, als er anfing, wieder mehr als Koks, Milch und rote Paprika zu sich zu nehmen. Der Mann spiegelt sich in den Scheiben der Kneipe Neues Ufer. In den Siebzigern hieß sie Anderes Ufer und war die erste Berliner Schwulen-Bar mit Fensterscheiben zur Straße hin. Eines Nachts wurden sie eingeschlagen. Bowie hielt Wache, bis der Glaser kam, und spendierte eine neue Scheibe.

Abschied mit „Schöner Gigolo, armer Gigolo“

David Bowies Wege in der Mauerstadt waren nicht lang, er pendelte zwischen Hauptstraße und Romy Haag, zwischen Studio und Exil mit dem Fahrrad und mit den Öffentlichen. Berlin sei ein guter Ort für „Menschen wie mich“, befand Bowie, weil er hier anonym leben könne. „Man wird nie angequatscht.“ Die Berliner hätten Großstadtwitz: „Sehr ätzend, zynisch. Sie sind schwer aus der Fassung zu bringen, was Prominenz angeht.“Am Ende seiner Tage in Berlin dreht Bowie einen Film mit Marlene Dietrich. Sie bleibt in Paris; der Schöneberger aus London und die ehemalige Schönebergerin treffen nur virtuell, im Schneideraum zusammen. „Schöner Gigolo, armer Gigolo“ ist ein wirrer Film im Isherwood-Berlin, im „Cabaret“-Ambiente. Bowie ist darin ein unfassbar schöner, eleganter Mann . . .

Zur Ausstellung im Gropiusbau kommt Bowie nicht

2013 stellt er überraschend, nach zehn Jahren ohne neues Album, ein Musikvideo ins Netz. „Where are we now“, wo sind wir jetzt, fragt er melancholisch. Singt vom „Potzdamer (!) Platz“, singt „Sitting in the Dschungel, On Nürnberger Strasse“, während das Haus in der Hauptstraße 155 zu sehen ist. Und das KaDeWe kommt auch noch vor. Die Modemacherin Claudia Skoda findet das Video „furchtbar! Ich denke nie darüber nach, was hinter mir liegt.“

Vielleicht erinnert sich Bowie, der keine Interviews mehr gibt und zur Ausstellung in Berlin nicht erwartet wird, tatsächlich wehmütig an seine Zeit in der Mauerstadt. Er habe gesagt, so Rüther, „dass er sich selbst nie nähergekommen ist als auf den Berliner Platten“. Bowie-Nostalgiker können in der Stadt seine Spuren verfolgen und ein entspanntes, zeitloses, hipsterfreies Berlin neu entdecken – eine Stadt, so Bowie, mit Bars „voll von traurigen, enttäuschten Menschen. I love this.“