Eine Geschichte von geplatzten Träumen, Schummeleien und faulen Tricks: wie der SSV Ulm 1846 zur Jahrtausendwende und in den Jahren danach zum Spielball der Egoismen wurde.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm - In seltsamer Sprunghaftigkeit erzählt der Schwimm- und Sportverein Ulm 1846 e.V. die Geschichte seines Werdegangs auf der eigenen Homepage. Der Historienabriss endet dort im Jahr 2006. Davor ist dem Großverein der Bau eines eigenen Schwimmbades, einer Schwimmhalle, einer Tennishalle und eines Rehabilitationszentrums ab 1970 der Erwähnung wert. Und dann ist man, wenn man die Chronik rückwärts liest, auch schon bei den Schrecken und Opfern des Zweiten Weltkrieges.

 

Von dem was sich um die Ulmer Fußballer getan hat, gerade um die Jahrtausendwende und danach, kein Wort – als sollte etwas für immer getilgt bleiben. Dabei waren die Ulmer Spatzen lange so etwas wie die Visitenkarte der ganzen Stadt. Ein Absatz in einem Geschichtsabriss würde allerdings auch kaum ausreichen. Es ist eine Geschichte von Aufstieg und Fall, Großmannssucht und kaufmännischem Versagen, Betrug und gewaltsamen Ausschreitungen. Neuerdings auch, wie es aussieht, von neuer Demut und dem Erfolg der kleinen Schritte. Man wird sehen müssen.

Die stets enttäuschte Sehnsucht nach dem großen Erfolg kann einen Menschen inwendig zerstören. Wo konturierter als im Sport ließe sich das beobachten? Aber auch der Erfolg selber kann zu einem Gift werden, das noch schleichend wirkt, wenn der Patient die Intensivstation schon wieder verlassen hat und auf dem Weg der Besserung zu sein scheint. Dafür ist die jüngere Geschichte des SSV Ulm 1846 ein warnendes Beispiel.

In den achtziger Jahren war der Ulmer Fußballclub ein beharrlicher Pendler zwischen der Oberliga Baden-Württemberg und der 2. Bundesliga. Das passte zur Stadt mit damals 117 000 Einwohnern und zum Donaustadion, in dem knapp 20 000 Zuschauer Platz finden.

Der ungebremste Marsch in die erste Bundesliga

Dann kam, in der Saison 1997/98, ein Trainer namens Ralf Rangnick, und er tat, was später sein Markenzeichen werden sollte. Er marschierte mit dem Verein ungebremst von der Regionalliga Süd in die 1. Bundesliga. Es war ein Märchen. Plötzlich sprach man bei Heimspielen auf Augenhöhe mit den in Ulm geborenen Brüdern Uli und Dieter Hoeneß, wenn sie mit ihren Mannschaften anreisten. Mit Hilfstribünen wurde die Stadionkapazität auf 23 000 Plätze aufgestockt. Der Verein verkaufte für das Bundesligajahr 1999/2000 allein 15 000 Dauerkarten.

Rangnick erlebte die Jubelsaison – jedenfalls begann sie so – nur noch aus der Ferne mit, er war zum VfB Stuttgart gewechselt. Sein Nachfolger Martin Andermatt musste dann mit einem zu schwachen Kader den Beginn eines Absturzes miterleben, der so in der Bundesligageschichte einmalig ist. Die Ulmer stiegen ab, wurden auch in der zweiten Liga durchgereicht, waren zahlungsunfähig, bekamen für die Regionalliga keine Lizenz – und fanden sich 2001 in der Verbandsliga wieder.

Es folgten Tricksereien, Lügen und faule Appelle

Es sollte längst nicht das Ende der Leiden sein. Die damalige Vereinsführung hatte, den Bundesligaabstieg vor Augen, wie mehrere andere deutsche Clubs vom Medienunternehmer Michael Kölmel Geld geliehen, um neue Spieler zu kaufen; Kölmel sicherte sich im Gegenzug Optionen auf die Vermarktung von Fernsehrechten. Doch der Finanzjongleur konnte, wie sich bald darauf zeigen sollte, niemanden nachhaltig retten. Er selber ging mit seiner Kinowelt AG pleite und musste sich dafür vor Gericht verantworten.

Es begann in Ulm die Zeit fruchtloser Versuche, schnellstmöglich wieder in die höheren Etagen des Fußballs zu kommen – mit Tricksereien, mit Lügen und mit faulen Appellen an die Stadtverwaltung. Der süße Geschmack des Ruhms klebte noch an zu vielen Gaumen.

Im Jahr 2003 gelang noch der Aufstieg in die Oberliga Baden-Württemberg, dort aber hing der SSV bis 2008 fest, gab weiter Geld für Spielergehälter aus, die gar nicht erwirtschaftet werden konnten, ließ sich von der Stadt erst 2003 vor der neuerlichen Pleite retten und 2004, allen anderen Versprechen zum Trotz, erneut. Der Oberbürgermeister Ivo Gönner (SPD) hatte genug. „Auch in der Kreisklasse gibt es faszinierende Begegnungen“, beschied Gönner. Ein Kredit von drei Millionen Euro, mit denen der SSV zu Bundesligazeiten die Gegentribüne ausgebaut hatte, war ebenfalls nie zurückgezahlt worden. Nicht einmal die Zinslast aus den Millionenschulden der Bundesligazeit konnte der Verein mit aktuell rund 9500 Mitgliedern tilgen.

Das Karussell der Manager und Trainer drehte sich

Vorstände, Manager, Trainer und Spieler gaben sich immer schneller die Klinke in die Hand, dazu kam der Staatsanwalt ins Haus. Es kam ans Licht: die illegale Beschäftigung von Spielern, die offiziell Arbeitslosengeld bezogen, Steuerhinterziehung durch Funktionäre und die Beteiligung mehrerer SSV-Spieler am Wettskandal, der 2009 Fußballdeutschland erschütterte. Im selben Jahr beschloss die Mitgliederversammlung des nach dem VfB Stuttgart zweitgrößten Sportvereins im Land, die Fußballer müssten raus aus dem Verein. Der rechtlich eigenständige SSV Ulm 1846 Fußball wurde gegründet.

Schon lange wollte kaum jemand mehr etwas zu tun haben mit dem unbelehrbaren Ehrgeiz immer neuer Fußballfunktionäre. Ihre Egoismen hätten fast den ganzen Verein mit in die Tiefe gezogen. Um die immer weiter angehäuften Schulden bezahlen zu können, musste beispielsweise die nötige Sanierung des vereinseigenen Schwimmbades immer weiter verschoben werden. Auch das Donaustadion selber ist in die Jahre gekommen.

Die Prügeleien eines kriminellen Teils der Fan-Szene widerten auch potenzielle Sponsoren an. Ende Mai 2010 überfielen vermummte Ulmer Hooligans am Bahnhof von Neu-Ulm einen Zug, in dem Anhänger des verfeindeten SSV Reutlingen saßen. Die Reutlinger, die auf dem Rückweg von einem Spiel ihrer Mannschaft gegen den TSV 1860 München waren, wurden auf ihrer Flucht über die Gleise mit Flaschen und Steinen beworfen. Drei Polizisten erlitten Verletzungen.

Die Basketballer haben die Fußballer längst abgelöst

Nichts ist so schnell zerstört wie Vertrauen, und nichts braucht länger für die Wiederherstellung. Längst vertreten die Basketballer den Namen Ulm im deutschen Spitzensport. Den Korbjägern wurde gerade für 28 Millionen Euro auf Neu-Ulmer Gemarkung eine brandneue Arena mit 6000 Sitzplätzen gebaut. Die Halle wird durch einen privaten Betreiber bewirtschaftet, der die Investition mit Konzerten und Großveranstaltungen profitabel machen soll. Der Beweis, dass dieses Modell nachhaltig funktioniert, steht noch aus.

In diesem Mai haben die SSV-Fußballer immerhin wieder den Aufstieg in die Regionalliga geschafft. Vorläufig ist das ein Pflänzchen der Hoffnung, mehr nicht. Niemals heiligt im Sport der Zweck die Mittel. Die Fußballer werden noch viele Nachweise dafür liefern müssen, dass sie das wirklich kapiert haben.