Im Hallenbad und in einem Studio – die Absolventinnen der Staatliche Modeschule zeigen ihre extravaganten Abschlussarbeiten auf einem virtuellen Catwalk, denn eine Show mit Publikum ist nicht möglich.

Lokales: Sybille Neth (sne)

Stuttgart - Wie die fransigen Blütenblätter einer Nelke ranken sich die Rüschen am Ausschnitt des sonst schlicht geschnittenen Kleides, clean weiß und mit riesigem Jackett präsentiert sich ein Hosenanzug und das Model in einem ästhetisch aufgebrezelten Körperschlauch á la Taucheranzug steht schon auf dem Startblock am Beckenrand. Wird sie springen? Wir wissen es nicht. Aber ein anderes Model jedoch steht bis zum Bauch im Wasser und die Schleppen ihres Tüllkleides flattern im Wasser. „Bleu, bleu, bleu“ haucht dazu die französische Sängerin Marie Claire Laffut und tatsächlich führt uns die Musik zu einer rasanten Fahrt auf schnurgerader Strecke unter strahlend blauem Himmel.

 

Start mit einem Laufband

Nein, es ist mit Verlaub keine alltägliche Schau, mit der die Abschlussklasse 2018/20 der Staatlichen Modeschule Stuttgart ihre extravaganten Kreationen vorstellt. Schon immer haben die Absolventinnen – dieses Mal ausschließlich weibliche – auf besondere Locations geachtet: Mal war es das alte Paketpostamt, mal der Hafen. Aber dieses Jahr machte wie bei so vielen Abschlussfeiern und Veranstaltungen die Pandemie einen Strich durch die Rechnung. Die Modenschau musste abgesagt werden. Aber die schönen Stücke der 16 Absolventinnen dürfen nicht von der Öffentlichkeit unbeachtet an den Kleiderstangen hängen. Das war klar. „Wir mussten neu denken“, fasst Schulleiterin Sabine Dirlewanger die Situation zusammen, in der sie im Frühjahr mit den Schülerinnen stand. Sie haben entschieden: Statt Laufsteg ein Laufband, statt realem Publikum ein virtuelles. So entstanden zusammen mit den Stuttgarter Mode-Fotografen Frank Bay und Steff Rosenberger sowie dem Filmemacher und Produzenten Moritz Schmieg Teil 1 und Teil 2 der Abschlussarbeiten zum selbst gewählten Thema „Nature/Lab“.

Verantwortung der Modemacherinnen

Das ist dem Unterrichtsschwerpunkt Umwelt, Ökologie und Nachhaltigkeit an der Staatlichen Modeschule gezollt, der Sabine Dirlewanger besonders am Herzen liegt. In den Kreationen werden Naturthemen aufgegriffen, aber auch die nüchterne Atmosphäre eines Labors spiegelt sich wieder: Stoffmuster sind eher selten, dafür dominiert Weiß die Szenerie.

Für Ihre Modelle konnten die Schülerinnen allerdings keine neuartigen Textilien, zum Beispiel aus Kunststofffäden von recycelten Plastikflaschen verwenden. „Das wäre viel zu teuer für uns“, rechnet die Schulleiterin vor. Aber die Auseinandersetzung mit ihrer Verantwortung als spätere Produzenten in der Modebranche wird den Schülerinnen während ihrer zweijährigen Ausbildung bewusst. „Es geht ja heute glücklicherweise alles in Richtung Nachhaltigkeit“, sagt Sabine Dirlewanger, die mächtig stolz ist auf das diesjährige Ergebnis.

Viel Raum für das praktische Arbeiten

„Wir haben uns ein Laufband gekauft für die Models“, berichtet sie – das war sozusagen das erste Inventar für die beiden Filme. Und so haben die professionellen Model vor vorbeiziehender Kulisse ihren Catwalk. Aber nicht nur das: auch auf dem Fünf-Meterbrett wird posiert! Gedreht wurde in einem Hallenbad und in einem Studio in Esslingen. In den Filmen zeigt sich, dass diese Art der Präsentation auch ihre Vorteile für das Publikum hat: Der Kamerablick fällt so auch auf kreative Details, die bei einer rasanten Schau im Halbdunkel unbeachtet bleiben. Das tröstet über die verpasste Chance weg, dieses Jahr an der Wunsch-Location Kunstmuseum die Modenschau zu zeigen. „Seit Jahren arbeiten wir darauf hin – dieses Jahr hätte es endlich geklappt“, erzählt die Schulleiterin.

Glücklicherweise ist das Gebäude an der Ulmer Straße, in dem die Staatliche Modeschule untergebracht ist, so geräumig, dass die Schülerinnen nach Ostern dort wieder zuschneiden, nähen, bügeln und tüfteln konnten. Ende Juni müssen alle Kleidungsstücke und Skizzen für eine Kollektion fertig sein, denn danach beginnen die Prüfungen. Wegen der Dreharbeiten für die Filme war der Zeitplan dieses Mal besonders eng.

In den Wochen vor Ostern, als alle Schulen geschlossen waren, wurden die theoretischen Fächer online gebüffelt. Am 29. Juli gibt Sabine Dirlewanger die Zeugnisse aus und die beiden Videos sind jetzt auf der Homepage der Staatlichen Modeschule zu sehen.