Die Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe offenbaren: Ein Diktat der Politik gibt es offiziell in den Gremien nicht – aber politische Freundeskreise und erstaunlich viel Parteisoldaten.

Karlsruhe - Um 10 Uhr hat die Verhandlung begonnen. Um 11.40 Uhr platzt der Verfassungsrichterin  Susanne Baer der Kragen. Alles, was sie bisher von den Vertretern des ZDF und von deren Kontrolleuren gehört habe, „klang idyllisch“. „Kritisch und offen“ seien die Diskussionen in den Gremien dort, am Ende werde dann „einstimmig entschieden“. Ob es, auf den zweiten Blick, nicht doch anders sein könne, dass die „Dinge“ vorher „abgesprochen“ werden und „Erbhöfe verteilt“ werden. Sie muss das irgendwo gehört haben.

 

Im Gerichtssaal bekommt sie es jedenfalls nicht zu hören. Einer nach dem anderen treten dort die Vertreter des ZDF-Fernsehrats und des Verwaltungsrats auf und werden nicht müde, von „offenen und intensiven Gesprächen“ zu berichten. Niemand fühlte sich von den Repräsentanten des Staates beeinflusst: „Ein Diktat der Politik ist völlig abwegig!“

Welche Rolle spielen die Freundeskreise?

Selbst der Pfälzer Kurt Beck, der noch als SPD-Ministerpräsident diese Klage immerhin vor das Verfassungsgericht gebracht hat, lobt, dass der „Löwenanteil“ der Entscheidungen in den Kontrollgremien dort „konsensual“ erfolgt. Man fragt sich schon, weshalb dann dieser ganze Aufwand – bis Beck, der zugleich Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrats ist, fortfährt: „Es gibt aber die Ausnahmen zugespitzter Interessenkonflikte“ und „konzentrierter politischer Einflussnahme“. Was er nicht sagt: es gab eben Nikolaus Brender, dessen Vertrag als ZDF-Chefredakteur 2009 nach einer Intrige des damaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) nicht verlängert worden war.

Die Richter hören zu; sie staunen – und glauben vieles offenbar nicht so ganz. Immerhin wollen die beiden Kläger ja zumindest offiziell den Einfluss des Staates und der Politik auf das Zweite Deutsche Fernsehen zurückdrängen. Und deshalb unterhält man sich fast die ganze Zeit auch nicht über den scheinbar so mächtigen Verwaltungsrat und den allzu großen Fernsehrat, deren Aufgaben präzise umschrieben sind, sondern über zwei Gremien, die keinerlei rechtliche Relevanz haben und dennoch erkennbar die wahren Machtzentren sind: den „konservativen Freundeskreis“ und den „anderen Freundeskreis“ des ZDF. Warum es diese Freundeskreise gebe, wollen die Richter wissen. Weil es sie schon immer gab, sagen die, die drinnen sind. Und weil sie so nützlich sind.

Nein, die Parteien hätten dort nicht die Macht. Es werde querbeet diskutiert, nicht entlang der Parteilinien. Dies gelinge umso besser, weil die Sitzungen nicht öffentlich sind. Niemand werde „vergattert“. Die Kreise seien so wichtig, weil sie die Diskussionen strukturierten. Dumm dran sind allein jene, die sich wie die Bundestagsabgeordnete der Linken, Gesine Lötzsch, keinem der Freundeskreise anschließen. Von den Richtern nach ihrem Einfluss gefragt, sagt sie: „Ich habe eine Stimme.“

Erstaunlich viele Parteisoldaten

Es ist schon um die Mittagszeit, viele haben viel Gutes über die Tätigkeit der Räte berichtet, da meldet sich Gabriele Britz, die zweite Frau im Zweiten Senat des Gerichts zu Wort. Je mehr sie höre, desto „mehr verunklart sich meine Vorstellung von der Aufgabe der beiden Freundeskreise“. Weshalb geschehe dies alles „am Staatsvertrag vorbei“?

Der Fernsehrat des ZDF hat 77 Mitglieder. Bund und Länder entsenden 19, die im Bundestag vertretenen Parteien weitere zwölf. Sie verfügen über 40 Prozent der Stimmen. Wichtige Entscheidungen müssen mit einer Dreifünftelmehrheit beschlossen werden. Die anderen Mitglieder sollen die gesellschaftlichen Gruppen repräsentieren. Die Kirchen, die Arbeitgeber oder die Gewerkschaften machen Vorschläge. Die Richter interessieren sich aber vor allem für jene 16 Mitglieder, die weitere gesellschaftliche Gruppierungen repräsentieren sollen und von den Ministerpräsidenten freihändig bestellt werden. Welche Kriterien sind entscheidend? Den Richtern war aufgefallen, dass sich unter den 16 schon wieder fünf Parteisoldaten befinden. Die Herren vom ZDF wissen nicht, wie die Auswahl zustande kommt. Kurt Beck weiß es auch nicht genau. Die Vorschläge kämen „aus der Mitte der Länder“. Später erinnert sich der sächsische Staatsminister Johannes Beermann, daran, dass es in „grauer Vorzeit“ einmal eine Absprache der damals noch zwölf Bundesländer gegeben habe, wer etwa einen Tierschützer entsenden solle. Und sein Land habe seinen Mann nicht etwa deshalb entsandt, weil der FDP-Politiker sei, sondern nur deshalb, weil er aus der Kreativwirtschaft komme. Könnte schon sein, dass die Länder bald einen neuen ZDF-Staatsvertrag nach Karlsruher Vorgaben aushandeln müssen. Dass hier ein „Update“ notwendig werden könnte, daran ließen die Richter kaum einen Zweifel.