Die Staatsanwaltschaft Stuttgart klagt sechs externe Mitarbeiter im Zusammenhang mit der Behandlung von 370 libyschen Patienten im Jahr 2013 an. Die Schadenshöhe bleibt umstritten. Jörg Nauke

Stuttgart - Die juristische Aufarbeitung des Stuttgarter Klinikumskandals hat nach fünf Jahre währenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ein Zwischenziel erreicht: Es wurde in einem ersten Schritt Anklage gegen fünf Männer und eine Frau erhoben, die als Dienstleister für die längst aufgelöste International Unit (IU) des Klinikums – eine Abteilung zur Versorgung ausländischer Privatpatienten – tätig waren. Ein Beschuldigter ist seit anderthalb Jahren in U-Haft, was ein Grund für die aufgeteilte Anklage sein kann, zwei sind unter Auflagen wieder auf freiem Fuß. Das Landgericht hat nun über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Anberaumung der Verhandlungstermine zu entscheiden. Rechtsexperten erwarten einen Prozessbeginn frühestens im Herbst 2021.

 

Die Angeklagten, erfolgreiche Unternehmer und Politiker mit besten Referenzen, sollen beim Libyen-Geschäft als Dienstleister mit Klinikum-Mitarbeitern sittenwidrige Provisionsabreden getroffen haben. Es ging dabei nicht nur um die Behandlung von 370 libyschen Kriegsversehrten, sondern auch um die Organisation von Kost und Logis für die Dauer des Aufenthalts in Stuttgart. Um Provisionszahlungen zu kaschieren, sollen überhöhte Patientenabrechnungen ausgestellt und auch nicht erbrachte Leistungen abgerechnet worden sein. Ein Extrembeispiel ist der leicht verletzte Patient Ismail E., für den das Klinikum aber eine Rechnung von 300 000 Euro stellte.

Es sind schon viele Köpfe gerollt

Wegen des Verdachts des Betrugs, der Bestechung und Untreue waren 2018 zwei Dutzend Wohnungen und Büros von 18 Beschuldigten in mehreren Bundesländern durchsucht worden. Der bundesweit beachtete Abrechnungsskandal hatte Anfang 2019 auch die Stuttgarter Rathausspitze erreicht: Gegen Werner Wölfle (Grüne), Krankenhausbürgermeister von 2011 bis 2016, wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Untreue eingeleitet. Ein gemeinderätlicher Ausschuss zur Akteneinsicht attestierte OB Fritz Kuhn (Grüne) gravierende Mängel bei der Aufarbeitung des Skandals. Vom damaligen Klinikum-Geschäftsführer Ralf-Michael Schmitz hatte sich die Stadt bereits 2016 mit einem im Gemeinderat umstrittenen „goldenen Handschlag“ getrennt. Zudem wurde die Zusammenarbeit mit der Leiterin der Finanz- und Controllingabteilung sowie mit dem Abteilungsleiter der IU gekündigt. Der 56-Jährige gilt als ein Empfänger von Provisionen und saß mehrere Monate in Untersuchungshaft.

Die libysche Botschaft hatte bis Anfang 2014 auf Basis von Kostenvoranschlägen 18,9 Millionen Euro überwiesen, 50 000 Euro pro Patient. Der Vertrag wurde ohne Vollmacht des Geschäftsführers geschlossen. Danach hat die Botschaft allerdings den Geldhahn zugedreht. Da waren allerdings weiterhin Patienten in Behandlung. Deshalb stünden laut Rechnungsprüfungsamt diesen Einnahmen rund 28,4 Millionen Euro an Behandlungs- und „Regiekosten“ entgegen (rund 75 000 Euro pro Patient). Daraus ergebe sich ein Defizit von 9,5 Millionen Euro.

4,2 Millionen Euro bar ausbezahlt

Am kritischsten wird die Auszahlung von Essens- und Taschengeld an die Patienten in bar im Umfang von insgesamt 4,2 Millionen Euro gesehen. Die Vorwürfe werden teils bestritten: Ein Patientenvermittler betont, das Geld in Absprache mit dem Klinikum ordnungsgemäß an Vertreter der Libyer übergeben zu haben und ansonsten für erbrachte Leistungen Belege und Abrechnungen vorweisen zu können. Von einer Provisionszahlung in Höhe von mehr als 800 000 Euro für die Vermittlung an den noch Inhaftierten habe er nichts gewusst.

Den von der Stadtverwaltung und nun auch von der Staatsanwaltschaft Stuttgart genannten Millionenschaden „im zweistelligen Bereich“ bezweifelt nicht nur er, da es eine saubere Trennung der Kosten für Behandlung sowie für Kost und Logis ebenso wenig gegeben habe wie eine transparente Aufstellung. Und schließlich hat der Gemeinderat einem Vergleich mit dem Schadensversicherer Ergo in Höhe von lediglich fünf Millionen Euro zugestimmt. Ergo hält indessen weitere fünf Millionen Euro bereit für den unwahrscheinlichen Fall, dass im Streit mit Kuwait – einem weiteren Skandalprojekt – Forderungen von bis zu 20 Millionen Euro erhoben würden.