Staatsballett Berlin ohne Weihnachtshit Zu viel Exotik im „Nussknacker“

Erregt Anstoß: Szene aus dem „Nussknacker“ mit einem chinesischen Tanz. Die russischen Choreografen Vasily Medvedev und Yuri Burlaka haben für das Staatsballett 2013 Petipas Klassiker rekonstruiert. Foto: Bettina Stöß/Staatsballett Berlin

Das Berliner Staatsballett verzichtet auf seinen Weihnachtsklassiker. Sind Teile der Inszenierung nicht mehr vertretbar, wie die kommissarische Ballettdirektorin meint?

Stadtleben/Stadtkultur/Fildern : Andrea Kachelrieß (ak)

Stuttgart - Bei vielen Ballettkompanien ist dieser Klassiker in der Adventszeit gesetzt: „Nussknacker“ muss sein, Mäusekönig und Zuckerfee bringen Kinderaugen zum Leuchten und garantieren ein volles Haus. Auch der Stuttgarter Ballettintendant Tamas Detrich will dieses Ritual nicht länger missen und hat einen „Nussknacker“ angekündigt – Edward Clug ist für die Choreografie gesetzt, Jürgen Rose für die Ausstattung.

 

Beide Künstler wären gut beraten, den Blick nach Berlin zu lenken. Dort hat der Klassiker einen Fall von Cancel Culture ausgelöst, aus dem man einiges lernen kann. Auch das Staatsballett hat den zu Tschaikowskys Musik getanzten Klassiker im Repertoire, doch seine kommissarische Leiterin Christiane Theobald lässt derzeit lieber „Don Quixote“ gegen Windmühlen kämpfen. Der Grund? In der Rekonstruktion von Petipas 1892 uraufgeführtem „Nussknacker“ gibt es nationale Tänze und Haremsszenen, die Theobald nicht mehr so auf der Bühne sehen will. Der „Bild“-Zeitung sagte sie: „Mit der aktuellen Diskussion darum, welches Repertoire in postkolonialer Zeit noch vertretbar ist, müssen wir uns fragen, ob Elemente aus der Entstehungszeit schwierig sind.“

Was müsste alles im Keller der Klischees verschwinden?

Ein chinesischer Tanz, der Stereotypen wie Tippelschritte zeigt? Exotische Haremsdamen? Der Choreograf Petipa war sicherlich nie weiter östlich vorgedrungen als in die russischen Ballettmetropolen und hat damals gängige Vorstellungen bedient, die man auch in anderen Kunstformen findet. Ingres Gemälde „Große Odaliske“ raus aus dem Louvre? Die Liste dessen, was an historischen Klischees im Keller verschwinden müsste, wäre lang.

Blackfacing, wie es im Berliner „Nussknacker“ bereits bei einer früheren Wiederaufnahme getilgt wurde, darf nicht sein. Aber der lange gültige eurozentristische Blick auf andere Kulturen lässt sich durch Cancel Culture nicht weißwaschen. Auf die Lösungen, die der Stuttgarter „Nussknacker“ finden wird, darf man also gespannt sein.

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