Die Tänzer des Berliner Staatsballetts wehren sich gegen die neue Intendantin Sasha Waltz und verweigern das Gespräch mit dem Regierenden Bürgermeister. In der Hauptstadt wird viel Geld für die Kultur ausgegeben, aber auch der Streit zwischen Politik und Szene wächst beständig.

Berlin - Kurz vor der Wahl wünscht sich kein Politiker etwas so sehnlich wie gute Nachrichten. Und mindestens eine gute Nachricht – wenn nicht ein Coup - hätte sein sollen, als Berlins Regierender Bürgermeister und Kultursenator, Michael Müller (SPD), kürzlich verkündete: die Berliner Star-Choreografin Sasha Waltz übernimmt zusammen mit Johannes Öhman vom Royal Swedish Ballet als Intendantenduo das Berliner Staatsballett.

 

Aber, Pech gehabt - statt sich im Lob der Szene zu sonnen, müssen Müller und mit ihm sein Kulturstaatssekretär Tim Renner (ebenfalls SPD) nun mit einem Aufstand umgehen, den es so unter den Tänzern noch nicht gegeben hat. In einer organisierten Protestaktion und mit einer Petition reagierte das Ensemble des Staatsballetts auf die Entscheidung: Die Tänzer lehnen die Choreografin Waltz als künftige Co-Intendantin der Kompanie ab. Die Begründung in der Petition, die mittlerweile mehr als 4000 Unterstützer hat, liest sich elitär und lässt jeglichen Respekt gegenüber der international so renommierten und in Berlin ohnehin lange unter Wert behandelten Sasha Waltz vermissen. Waltz wird als Vertreterin des Tanztheaters tituliert, die „völlig ungeeignet“ sei – es folgt ein heftiger Vergleich: eine solche an die Spitze eines klassischen Balletts zu berufen, sei vergleichbar mit der Ernennung eines Tennis-Trainers als Coach einer Fußballmannschaft. „Diese Form des Bühnentanzes benötigt andere tänzerische Qualitäten als die, die ein klassisch ausgebildeter Balletttänzer entwickelt hat und denen er sich verschrieben hat“, heißt es.

Die Kompanie gelangt zu der Einschätzung, dass die Berufung den Ruf des Balletts beschädigen könne und die Ernennung von der „völligen Unkenntnis“ Müllers und Renners zeuge. Diese Haltung zeugt vor allem von großem Selbstbewusstsein – anders erklärt sich die Idee eines beim Staatsballett noch sehr „zu beschädigenden Rufs“ nicht. Nachdem Müllers Amtsvorgänger Klaus Wowereit die Intendanz Vladimir Malakhovs beendet hatte, überzeugte dessen Nachfolger Nacho Duato bisher niemanden. Nicht mit Tanz machte die Kompanie (die stellenstärkste in Deutschland) zuletzt die größten Schlagzeilen, sondern mit einem Streik wegen Fragen des Haustarifs und der Arbeitsbelastung durch lange Dienstwege (das Staatsballett bespielt verschiedene Bühnen in Berlin). Acht Vorstellungen mussten ausfallen, vor allem auf Kosten des ohnehin schrumpfenden Publikums; der „Tagesspiegel“ fühlte sich an die Aktionen der Lokführergewerkschaft erinnert. Die Berufung des Duos Waltz/Öhmann könnte die dringend benötigte Erneuerung bringen – stattdessen barmt das Ensemble nun in Sorge vor dem eigentlich wünschenswerten Impuls. Aber ohne Risiko keine Chance.

Als der Bürgermeister mit den Tänzern sprechen will, bleiben die stumm

In ihrer Petition fordern die Künstler eine Findungskommission, der „neben Vertretern aus Politik und Verwaltung auch Ballett- und Tanzexperten insbesondere auch Vertreter unseres Ensembles angehören“. Auch das klingt nach einem etwas bizarren Vorschlag – schließlich gehört es zum ganz normalen Geschäft der Kulturpolitik, Intendanten zu suchen und zu benennen, und es gehört zum Geschäft von Intendanten, ihr Ensemble neu zu gestalten; dieser Umstand ist weder Tänzern, noch Schauspielern, noch Opernsängern neu. Wie dialogbereit das Ensemble ist, zeigte sich diese Woche, als Müller die Baustelle der Staatsoper besichtigte: Stumm standen die Tänzer da und hielten ein Transparent in die Luft. Als Müller das Gespräch suchte, reagierte niemand. Müller blieb nichts übrig als zu sagen: „Dann eben nicht.“

Für Müller ist das alles eine sehr unschöne Wendung. Aber wie viel Substanz die Kritik hat, wird auch an den Argumenten der politischen Gegner deutlich. Der CDU-Fraktionschef Florian Graf fordert für die nächste Legislatur einen eigenständigen Kultursenator, um „derartige Alleingänge des Regierenden Kultursenators“ zu verhindern. Wir erinnern uns: Die CDU war an der Koalition und dem Ressortzuschnitt (kein eigenständiges Kulturressort) beteiligt. Die Grünen erklären, die Entscheidung für Waltz und Öhmann sei gut, aber die Kommunikation von Müller und Renner miserabel.

Nun hat auch noch Claus Peymann, der was vom Wellenreiten versteht, ins Bashing des Regierenden eingestimmt und seine Kritik erneuert. Der Theatermacher, über dessen Abgang vom Berliner Ensemble im kommenden Sommer noch Klaus Wowereit entschieden hatte, wirft Müller nun vor, aus der Hauptstadtkultur einen „Trümmerhaufen“ zu machen. Dieser habe von Theater und Kultur keine Ahnung, sein Umgang mit Künstlern sei „würdelos“. Sein Nachfolger, der Frankfurter Intendant Oliver Reese, plane einen „Kahlschlag“ am traditionsreichen einstigen Theater von Bertolt Brecht. „Es wird ausgelöscht wie der Palast der Republik. Es gibt nichts mehr, alles ist weg.“

Und auch Claus Peymann ist wieder mittendrin im Angriff

Selbst wenn man Peymann konzediert, dass er sehr im Sinne der dreißig Künstler handelt, die ihren Vertrag verlieren werden, greift die Generalkritik weniger die Lage der Berliner Kultur auf als viel mehr die Stimmung, die der Streit um die Zukunft der Volksbühne nach dem Abgang des Alt-Intendanten Frank Castorf verursacht hat. Denn Müller und Renner – beide erst seit dem letzten Drittel der Legislatur an Bord – haben einiges erreicht. Der Kulturetat stieg in diesem und steigt im nächsten Jahr auf insgesamt jährlich 400 Millionen Euro, es profitieren auch die freie Szene und Künstlerateliers. Die Besetzung der Intendanz am Gorki mit Shermin Langhoff und Jens Hillje erweist sich als genialer Zug; die Bühne ist gerade erst wieder von Kritikern zum Theater des Jahres gewählt worden. Kulturpolitik in Berlin ist ein schwieriges, weil zerfasertes Geschäft, in dem es gälte, die Fäden zwischen der Kulturarbeit in den Bezirken, der Hauptstadtkultur des Bundes und den landeseigenen Aufgaben zusammenzuhalten. Großentwicklungen wie die Entstehung des noch immer amorphen Humboldt-Forums hinter der Fassade des Berliner Stadtschlosses, über dessen Einfluss auf die „Eventisierung von Kultur“ viel eher zu reden wäre, hat Berlin nur am Rande mitentschieden.

Und vor allem: noch immer hat sich die Aufregung darüber, dass Müller und Renner als Nachfolger von Frank Castorf den Ausstellungsmann Chris Dercon von der Tate Modern aussuchten, nicht gelegt. Für die Kritiker ist diese Personalie ausgerechnet an der Ost-identitätsstiftenden Volksbühne ein Beweis just für die „Eventisierung und Marktgängigmachung“ des Theaters. Die Berufung Dercons zeugt jedoch vor allem von der Art Risikobereitschaft, die es braucht, um Veränderung zu bewirken – die Möglichkeit des Scheiterns inbegriffen. Es scheint, dass der Volksbühnenstreit dem Protest des Balletts nun einen Resonanzboden verschafft. Er passt weder zur Personalentscheidung noch zum Ruf des Ensembles.