Die Aufregung über eine neue Laufbahn für Nichtjuristen in der Staatsverwaltung geht völlig am Thema vorbei. Die Frage ist doch, ob das üppig privilegierte Beamtentum noch zeitgemäß ist. Die Frage stellen, heißt sie beantworten, meint Reiner Ruf.

Der höhere Staatsdienst wird von Juristen geprägt. Das liegt nahe, denn das Verwaltungshandeln ist an Recht und Gesetz gebunden, weshalb es ratsam erscheint, Fachleute heranzuziehen. Die hohe Juristendichte in den oberen und obersten Behörden – das Juristenmonopol – weist indes auch Schattenseiten auf. Der Vorwurf des Standesdünkels begleitet dieses spezielle Milieu seit jeher. Dort wiederum neigt man zu der Anschauung, menschliche Existenz im engeren Sinne beginne erst mit dem zweiten juristischen Staatsexamen.

 

Sie wittern Gefahren, wo Politiker Chancen erkennen wollen

Politiker profitieren von der Fachexpertise der Juristen, leiden aber auch unter deren Herrschaft. Verwaltungsjuristen gelten als Bedenkenträger; sie wittern Gefahren, wo Politiker Chancen erkennen wollen. In Summe, so geht die Klage, sorgen Juristen dafür, dass alles so bleibt, wie es ist. Freilich ist das Juristenmonopol angefochten: nicht nur an der Peripherie. Dass die Landesbauverwaltung Architekten und Ingenieure benötigt, liegt auf der Hand. Aber auch im Herzen der Ministerialbürokratie stoßen Juristen vermehrt auf Konkurrenz. Sogar das Finanzministerium wankt. Bis vor kurzem amtete dort als Ministerialdirektor und oberster Beamter sehr anerkannt ein Mann, der seine Karriere im mittleren Dienst der Polizei begonnen hatte. Und der aktuelle Haushaltsabteilungsleiter ist ein Förster. Zu Beginn seiner Ministerialkarriere war er Persönlicher Referent von Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU). Grünen Connections verdankt er seine Position nicht, dafür seiner Kompetenz.

Der hier angesprochene Themenkomplex erfuhr jüngst eine Aktualisierung, als unter großem medialen Hallo scharfe Kritik an einem Verordnungsentwurf des Staatsministeriums aufkam, mit dem eine „Laufbahn des höheren geistes- und sozialwissenschaftlichen Dienstes“ eingerichtet werden soll. Andere Bundesländer haben dies bereits getan. Die Verordnung zielt etwa auf Sprachwissenschaftler, Historiker, Soziologen oder Religionswissenschaftler. Der Anwurf lautet, die grün geführte Regierungszentrale wolle rechtzeitig vor der nächsten Landtagswahl Parteigänger verbeamten. Das Staatsministerium kontert mit der Frage, wer diese Parteigänger sein sollen. In der von den Kritikern angeführten Schreibstube von Ministerpräsident Winfried Kretschmann fänden sie sich nicht. Auch seien keine neue Stellen vorgesehen. Schon jetzt lässt die Laufbahnverordnung des Innenministeriums, die auch für alle Ressorts maßgeblich ist, die keine eigene Regelung kennen, die Verbeamtung von Politik- und Wirtschaftswissenschaftlern zu. Entscheidend seien Eignung, Leistung und Befähigung, versicherte Regierungschef Kretschmann. Und schob die Frage nach, weshalb er im Staatsministerium etwa für das Thema Integration keinen Soziologen einstellen solle.

Recht eigentlich ist es an der Zeit, das Thema größer zu denken. Was bedeutet, den Beamtenpopanz, wie er in Deutschland betrieben wird, ins Geschichtsmuseum zu verfrachten. Angestellte werden bei gleicher Qualifikation und Tätigkeit tarifrechtlich gerne niedriger eingestuft als Beamte nach der Besoldungsordnung. Der Landesrechnungshof rügte schon vor Jahren die Ungleichbehandlung bei Lehrern. Im höheren Dienst macht das schnell 1000 Euro im Monat aus. Das Beamtentum ist ein Relikt des Obrigkeitsstaats. Pension, Beihilfe, Familienzuschläge und andere Privilegien werden gerechtfertigt mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums. Dafür sollten sich die Beamten mit voller Hingabe ihrem Amt widmen. Davon kann heute kaum die Rede sein. Tatsächlich hat sich das Beamtentum und mit ihm der Öffentliche Dienst zu einem Laboratorium sozialpolitischen Fortschritts entwickelt.

Schon die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs scheiterten

Doch das Beamtentum ist zäh. Selbst die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs waren, was den Westen betrifft, an einer Reform gescheitert. Im Beamtentum erkannten sie eine Stütze der NS-Diktatur. Sie kritisierten den „Kastenunterschied“ zwischen Beamten und Angestellten, Juristen sollten nicht bevorzugt werden, Beamte hätten in politischen Ämtern nichts zu suchen. Doch bei keinem Thema erwiesen sich die konservativen Kräfte, allen voran Konrad Adenauer, so widerborstig. Kein Wunder: Schon im Parlamentarischen Rat saßen viele Beamte. Und weil dieser Missstand in den Parlamenten anhält, wird das Berufsbeamtentum bis zum Jüngsten Tag existieren. Wenn dieser denn kommt. Denn es erhebt sich die Frage, ob die Apokalypse die amtliche Genehmigung erhält. Von dem halben Dutzend Amtsleitern, deren Unterschrift benötigt wird, ist immer einer krank, einer im Urlaub und einer auf Fortbildung. Das Ende kann dauern.