Lange hat die Regierung das Gütezeichen für Agrarprodukte aus dem Land gegen Trittbrettfahrer verteidigt. Dann stellte sich die Kaufland-Kette stur – und der Kampf wurde aufgegeben. Warum bloß?

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Peter Hauk (CDU) überbrachte gute Nachrichten aus Brüssel. Für heimische Agrarprodukte, meldete der Landwirtschaftsminister kürzlich per Pressedepesche, dürfe das Land fünf weitere Jahre mit dem Qualitätszeichen Baden-Württemberg werben. Die EU-Kommission habe das entsprechende Programm zur Absatzförderung soeben bis 2021 genehmigt. Das sei ein „klares Signal“ für regionale Wertschöpfung und die bewährte Strategie des Landes, frohlockte Hauk. Für die Verbraucher bleibe das Siegel mit den drei Löwen auf gelbem Grund ebenso wie das ähnlich gestaltete Biozeichen ein „verlässlicher Wegweiser“. Ob es auf Obst, Apfelsaft, Gemüse, Fleisch, Eiern oder Milchprodukten prange – dank regelmäßiger Kontrollen könnten die Käufer auf erhöhte Qualität und nachweisbare Herkunft vertrauen.

 

Der eigentliche Kampf um das Landeszeichen wird indes nicht in Brüssel ausgefochten, sondern abseits der Öffentlichkeit daheim in Baden-Württemberg. Seit Jahren führen das Agrarministerium – bereits unter Hauks Vorgänger Alexander Bonde (Grüne) – und die zuständige Marketinggesellschaft Baden-Württemberg (MBW) eine Abwehrschlacht gegen „Trittbrettfahrer“. Der Hintergrund: Regionale Lebensmittel erfreuen sich wachsender Beliebtheit, die Herkunft ist zu einem immer wichtigeren Verkaufsargument geworden. Lieber als einen anonymen Großbetrieb unterstützen viele Kunden den Bauern aus der Nachbarschaft. Die Transportwege sind kürzer, die Waren wohl frischer, die Lieferkette erscheint transparenter – das gibt ihnen, zumal in Zeiten der Globalisierung, ein gutes Gefühl. Entsprechend stark stellen die Handelsketten in den Einkaufsmärkten und ihrer Werbung das Regionale heraus. Heimat, heimisch, aus der Region – solche Attribute gelten als ausgesprochen zugkräftig. Abseits der offiziellen Landeszeichen ist so ein wahrer Wildwuchs an Kennzeichnungen entstanden.

Verbraucherschützer warnen vor Täuschung

„Regionalität ist ein immer stärker um sich greifender Marketingtrend“, bestätigt Eckard Benner von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Doch die Werbung verspreche oft mehr, als sie halten kann – regional ist ein schwammiger Begriff. Umso wichtiger sei es, dass „bundeslandspezifische Symbole“ dabei korrekt verwendet würden, betont Benner. Die Abbildung der drei Baden-Württemberg-Löwen etwa habe „nicht zuletzt den Zweck, den Verbrauchern zu suggerieren, das Land stände mit besonderen Kontrollen dahinter“. Gebe es die nicht, handele es sich um Verbrauchertäuschung. „Sicherlich liegt es im Interesse der Landesregierung, eine täuschende Verwendung ihrer Symbole abzustellen“, sagt der Verbraucherschützer.

Prinzipiell ist das so. Es gebe eine wahre „Flut an Signets“, beklagt auch das Stuttgarter Agrarministerium, die Verbraucher seien zunehmend irritiert. Lebensmittel mit den drei Löwen, die nicht den Vorgaben des Gütezeichens entsprächen, könnten sie „in die Irre führen“. Doch im Kampf gegen den Missbrauch von Landessymbolen sehen sich die Ministerialen und ihre Marketingexperten seit 2013 jäh gebremst – unter merkwürdigen Umständen von der eigenen Staatskanzlei. Bis heute empört es sie, wie die Regierungszentrale aus für sie undurchsichtigen Gründen vor einer einzelnen Handelskette kapituliert habe.

Drei Ministerien mischen mit

Mühsam war es schon immer, Anbieter zum Verzicht auf grenzwertige Signets zu bewegen. Mal gelang das durch Überzeugungsarbeit wie im Fall der Handelskette Rewe Südwest, die für ihre Einsicht gelobt wird, mal durch den Gang vor Gericht, wie bei einem Weinhersteller, der partout die drei Löwen aufs Etikett drucken wollte. Erschwert wurde das Vorgehen durch die zersplitterten Kompetenzen: Für das Herkunftszeichen ist das Agrarressort zuständig, fürs Wappenrecht das Innenministerium, für das „Baden-Württemberg Signet“ die Staatskanzlei; dort liegen auch die Markenrechte für die drei Löwen.

Vor drei Jahren stießen die Hüter des Landeszeichens dann auf einen besonders hartnäckigen Gegenspieler: die Kaufland-Gruppe aus Neckarsulm bei Heilbronn. Seit Langem nutzt sie in ihren Filialen „das jeweilige Landessignet zur Kennzeichnung regionaler Produkte“, wie eine Sprecherin bestätigt. Im Südwesten prangt das BW-Signet an den Regalen – die drei Landeslöwen im Oval auf gelbem Grund, nicht unähnlich dem amtlichen Herkunftssiegel. Beworben werden so etwa Maultaschen, Wurstprodukte oder Württemberger Weine. Die Verwendung sei „mit den zuständigen Behörden abgestimmt und entspricht den jeweiligen rechtlichen Vorgaben“, versichert die Kaufland-Sprecherin.

Glatte Kapitulation vor Kaufland

In Baden-Württemberg sah man das zunächst anders. Im engen Schulterschluss bemühten sich Staatskanzlei, Agrarressort und Marketinggesellschaft wie in anderen Fällen auch, die „missbräuchliche Verwendung“ – so die interne Einstufung – zu unterbinden. Es gab mahnende Schreiben an die Kaufland-Gruppe, die ihrerseits umgehend spezialisierte Anwälten beauftragte, später folgten Gespräche mit leitenden Vertretern der Handelskette. Das überraschende Ergebnis : eine glatte Kapitulation. Man habe im Mai 2013 schriftlich bestätigt bekommen, „dass alle im Vorfeld gestellten Fristen und Anordnungen gegenstandslos wären“, berichtet die Konzernsprecherin. Das gelte so lange, „bis man wieder auf uns zukommen würde“. Seither hat Kaufland Ruhe – und verwendet das BW-Signet guten Gewissens weiter.

Auf der Arbeitsebene der beteiligten Häuser wurde der Rückzieher dagegen erbost und fassungslos quittiert. Von „oben“ derart im Stich gelassen, könne man den Kampf gegen die Verwässerung des Gütezeichens nun vollends einstellen, hieß es frustriert. Zusätzliches Misstrauen kam dadurch auf, dass es keine nachvollziehbare Begründung gab. Intern kursierte bald eine inoffizielle: das Einknicken vor Kaufland habe mit dem Patriarchen des Konzerns zu tun, dem Lidl-Gründer Dieter Schwarz (76) aus Heilbronn. Zu dessen Schwarz-Gruppe gehört neben Lidl auch Kaufland. Aus den Ausschüttungen beider Unternehmen finanziert sich wiederum die Dieter-Schwarz-Stiftung, die in der Region Heilbronn viele Millionen für Bildungsprojekte spendiert; die Duale Hochschule in der Stadt etwa fördert sie auf Jahre hinaus gut zur Hälfte. Entsprechend dankbar ist die Landesregierung dem Milliardär. „Mäzenatentum der allerfeinsten Sorte“ bescheinigte Ministerpräsident Winfried Kretschmann ihm zuletzt. Prompt machten sich die Wächter des Landeszeichens ihren eigenen Reim auf das Zurückweichen vor Kaufland: „Die Hand, die einen füttert, beißt man nicht.“

Neue Vorschrift wird leise kassiert

Solches Kalkül weist das Staatsministerium offiziell weit von sich. Mit Schwarz und seiner Stiftung habe das Vorgehen nichts zu tun, der Staatsminister Klaus-Peter Murawski – als Schlüsselfigur genannt – sei damit gar nicht befasst gewesen. Grund des Einlenkens sei vielmehr die unklare Rechtslage gewesen. Das seit dem Jahr 2000 bestehende BW-Signet nämlich dürfe von allen verwendet werden, die ihre „Verbundenheit mit dem Land“ ausdrücken wollen – auch vom Lebensmittelhandel. Untersagt ist zwar die Nutzung als „markenmäßiger Herkunftsnachweis“, doch die Erfolgsaussichten eines Rechtsstreits erschienen der Staatskanzlei „relativ unsicher“; daher habe man nachgegeben.

Doch die Merkwürdigkeiten gingen weiter. Um in Fällen wie Kaufland künftig eine bessere Handhabe zu haben, plante die Fachabteilung in der Villa Reitzenstein eine „große Lösung“: Mit einer neuen Verwaltungsvorschrift sollte klargestellt werden, dass das BW-Signet im kommerziellen Bereich „nur ausnahmsweise in Betracht“ komme; tabu sei es, wenn der Eindruck entstehe, das Land bürge „für Herkunft und/oder Qualität“ eines Produkts. Innen- und Agrarministerium wurden beteiligt, ein entsprechender Entwurf war bereits ausformuliert, ein „Vermerk für Herrn Ministerpräsidenten“ samt Hinweis auf die Kaufland-Kontroverse verfasst – doch dann geschah: nichts mehr. Im Mai 2014 verlautete halboffiziell aus der Regierungszentrale, man sehe von der geplanten Regelung ab. Eine offizielle Begründung dafür werde es nicht geben. Die Fachleute seien empört, rechtstreue Beamte befremdet gewesen, wird berichtet; auch zwei Jahre danach sei mancher noch „auf 180“. Heute begründet das Staatsministerium den Stopp mit „weiterem Diskussionsbedarf“; weder Kretschmann noch Murawski seien daran beteiligt gewesen. Andere Themen habe man zudem als dringlicher eingestuft.

BW-Signet vor der Abschaffung?

Aufgeschoben ist indes nicht aufgehoben. Anfang 2016 habe man das Thema „aus eigener Initiative“ wieder aufgegriffen, betont das Staatsministerium. Bei der Prüfung würden auch die Anregungen des Agrarressorts berücksichtigt. Ziel sei eine „unbürokratische Handhabung“ mit möglichst wenig Verwaltungsaufwand. Die vom Dauerärger genervte Regierungszentrale liebäugelt dem Vernehmen nach mit einer radikalen Lösung: das Baden-Württemberg-Signet könnte ersatzlos wegfallen.