Einer der beliebtesten Schauspieler des Stuttgarter Staatstheaters verlässt die Stadt: Martin Leutgeb (45) will zurück nach Österreich und mehr Fernsehfilme machen.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Anfang Oktober 2005: Hasko Weber tritt als Intendant am Stuttgarter Staatsschauspiel an. Mit fünf Inszenierungen völlig unterschiedlicher Handschrift eröffnet er die Saison. Zum krönenden Schluss kommt Tschechows Erstling „Platonow“ auf die große Bühne, inszeniert von Karin Henkel. Das Publikum erlebt ein Ensemble, wie es so gut seit Jahren nicht mehr in Stuttgart zu sehen war. Und mitten drin ein neues Gesicht: Martin Leutgeb .

 

Ein großer, massiger Kerl mit vollem, gut geschnittenem Gesicht. Wer ihn sieht, denkt sofort: starker Typ. Der doch durch sein Spiel sofort anzudeuten weiß, wie viel Unsicherheit, Verletzbarkeit, Wehmut hinter so viel Stärke verborgen ist. Leutgeb ist Nikolaj Iwanowitsch Trilezkij: vorsichtig verliebt in die junge Marga, und doch immer auf der Hut und voller Angst, ob und wie ihm der Titelheld dabei in die Quere kommt. Bereits mit diesem ersten Auftritt spielte sich Martin Leutgeb ganz nach oben in der Gunst des Stuttgarter Theaterpublikums. Und diesen Rang hat er über fast sieben Spielzeiten hinweg verteidigt. Am Samstagabend heißt es für ihn und das Stuttgarter Publikum Abschied nehmen: Mit einem letzten Auftritt als Madame Oberweite in der Shakespeare-Komödie „Maß für Maß“ verlässt Leutgeb das Stuttgarter Ensemble. Den 45-jährigen Tiroler zieht es zurück nach Österreich. Für neue Aufgaben dort und weitere TV-Rollen wünscht er mehr Freiraum.

Er verhalf Harald Schmidt zum Glanz

Hasko Weber hatte Leutgeb vom Staatstheater Saarbrücken abgeworben. Man kannte sich von dort aus Weber-Inszenierungen der „Nibelungen“ und der „Orestie“ – ernste Rollen. Auch in Stuttgart hat Leutgeb eine lange Reihe ernster Rollen verkörpert. Zum wahren Publikumshelden wurde er aber zweifellos, das vermerken wir hier voller Respekt, dank seines ausgeprägten komödiantischen Talentes. Nie wird man seine Tollereien als brünftiger britischer Staatsminister Richard Willey in Ray Cooney brillantem Stück „Außer Kontrolle“ vergessen. Und sowohl „Elvis lebt“ als auch „Der Prinz von Dänemark“ waren zwar stark auf den Entertainer Harald Schmidt zugeschnitten, hätten aber kaum ohne Martin Leutgeb an dessen Seite so gut funktioniert (hier als rock’n’-rollendes Bandmitglied, dort als neffennervender Claudius).

Dass man in manchen Inszenierungen den Eindruck hatte, Leutgeb ziele allzu offen auf jene Effekte, die ihm am schnellsten einen Zwischenapplaus des Publikums einbringen (etwa im „Kirschgarten“) – geschenkt; an solchen Momenten hat neben dem Schauspieler auch immer ein Regisseur Anteil, der es zulässt.

Und als Madame Oberweite in Christian Weises „Maß für Maß“-Inszenierung muss Leutgeb ohnehin auf keinerlei Grenzen Rücksicht nehmen. Hier ist er Wiener Puffmutter, hier kann er nicht nur artgerecht seine austrische Sprechmelodie zum Einsatz bringen, sondern auch einen tiefen, wilden, aus dem Mark gespeisten Sex, der die zahlreichen Machos an seiner Seite wie stimmbrüchige Sängerknaben wirken lässt. Leutgeb verlässt Stuttgart – ein Jammer für diese Stadt, bei Tag und bei Nacht. Wollen wir hoffen, es kommt zu den verheißenen Gastspielen.