Wegen gravierender Baumängel muss das frisch sanierte Schauspielhaus erneut geschlossen werden. Wie lange, ist noch völlig offen.

Stuttgart - Am Tag der offenen Tür ist die Stimmung noch gut gewesen. Das war Mitte Februar, als im sanierten Schauspielhaus die im Zuschauersaal eingebauten 850 Lichtstreifen zum ersten Mal in allen Farben aufleuchteten und Oooohs und Aaaahs durch die entzückte Menge gingen. Und als dann noch Harald Schmidt, der als Ensemblemitglied die Wiedereröffnung moderierte, einen Witz über den bunten Sternenhimmel machte, folgte dem Erstaunen auch Gelächter. „Das Pendant dazu“, sagte der Entertainer, „ist die Winzer-Sauna im Leuze.“ Das Vergnügen war groß und die Unbeschwertheit auch, weil alle Beteiligten damals dachten, nach anderthalbjähriger Schließzeit wäre man aus dem Gröbsten raus. Irrtum! Seit Montag weiß man: Die nächste Schließzeit folgt im Herbst – und das Schauspiel wird, um überhaupt spielen zu können, in ein Theaterzelt ziehen, das unmittelbar neben seinem Domizil am Eckensee aufgestellt wird.

 

Auf diese Notlösung haben sich jetzt die Vertreter des Theaters und der Politik bei einem Krisengipfel geeinigt. Wie brenzlig die Lage im mangelhaft sanierten Schauspielhaus ist, lässt sich allein schon an den vielen hochkarätigen Gesprächsteilnehmern ablesen. Vom Theater waren alle vier Intendanten anwesend, also nicht nur der geschäftsführende Intendant Marc-Oliver Hendriks und der betroffene Schauspielintendant Hasko Weber, sondern auch Jossi Wieler von der Oper und Reid Anderson vom Ballett. Gemeinsam waren sie stark und pochten auf die Zeltlösung, der sich die Vertreter der Politik nicht verschließen konnten und wollten. Sowohl Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster als auch der baden-württembergische Kunststaatssekretär Jürgen Walter – sie sitzen beide dem Verwaltungsrat des Theaters vor – sahen keine Alternative zu der von Weber vorgeschlagenen Interimslösung und gaben dem Zelt als Spielstätte grünes Licht.

Die Bestuhlung muss nachgebessert werden

„Die Mängel im Schauspielhaus sind gravierender, als sie dem Publikum erscheinen“, erklärte Wolfgang Schuster. Da die Mängel mittelfristig den Spielbetrieb gefährdeten, müsse man alles daran setzen, dass die geplanten Stücke der aktuellen und kommenden Saison aufgeführt werden können. „Eine Ausweichmöglichkeit, die sich direkt an das Haus anschließt, ist die beste Option. Daher habe ich das Schauspiel gebeten, die Zelt-Idee auszuarbeiten und zu konkretisieren“, sagte Schuster, der auch darauf hinwies, dass das Theater für seine weitere Arbeit Planungssicherheit brauche. Und Weber sekundierte: „Die Überlegungen zum Zelt sind der einzig gangbare Weg. Sollten sie scheitern, ist für das Schauspiel eine aktive Gestaltung der Spielzeit 2012/13 nicht gewährleistet.“

Bis Mitte April soll der Schauspiel-Intendant nun prüfen, wie das Provisorium zum Beginn der kommenden Spielzeit umgesetzt werden kann. Seine Überlegungen wird er dann dem Verwaltungsrat präsentieren, dessen Zustimmung als sicher gelten kann. Vorausgesetzt, Weber findet ein Konzept, von dem er als Intendant auch selbst in praktischer, finanzieller und nicht zuletzt künstlerischer Hinsicht überzeugt ist. Die Chancen dafür stehen aber gut, bietet das Zelt neben dem Schauspielhaus doch die Möglichkeit, die im Haus vorhandene Infrastruktur uneingeschränkt zu nutzen. Die Räume für die Maske, die Garderoben für Künstler und Publikum, die Theaterkasse, die Theatergastronomie et cetera müssen ja nicht nachgebessert werden. Nachgebessert werden muss anderes: die Bestuhlung, die von einigen Plätzen aus eingeschränkte Sicht und – das jetzt vor allem – die Steuerungs- und Bühnentechnik. „Nach vier Wochen Praxis haben sich die Fehler dort als noch gravierender herausgesellt, als ursprünglich angenommen“, so der pannengeplagte Hasko Weber.

Wie lange die Sanierung dauert, ist ungewiss

Aus diesem Grund ist derzeit auch noch nicht abzusehen, wann die Sanierung des Schauspielhauses endgültig abgeschlossen sein wird. „Die bestehenden und abzustellenden Mängel sind so komplex, dass eine verlässliche Aussage über die Eröffnung des Hauses in der nächsten Spielzeit nicht zu treffen ist“, heißt es deshalb auch in der gemeinsamen Erklärung nach dem Spitzengespräch. Dass die derzeit laufende Saison noch bis Ende Juli im Schauspielhaus absolviert werden soll, steht immerhin fest. Doch wie lange dann das Provisorium bespielt werden muss, die ersten Monate der neuen Saison oder gar die gesamte Saison, ist offen. Sicher ist aber zweierlei: In einem Theaterzelt zu spielen, gar noch während des kalten und feuchten Winters, stellt für alle Beteiligten eine Herausforderung dar. Und in einem Theaterzelt als Intendant seine Abschiedssaison zu eröffnen, kann man als Zumutung empfinden. Wie bekannt, verlässt Weber Ende der nächsten Spielzeit Stuttgart und geht nach Weimar.

Es mag sein, dass der Intendant mittlerweile auch gerne geht, schließlich musste er sich in den vergangenen Jahren mehr mit der Baustelle als mit der Theaterkunst beschäftigen. Die Sanierung des fünfzig Jahre alten Schauspielhauses sollte ursprünglich zwischen Sommer 2010 und Sommer 2011 stattfinden. Jetzt aber scheint es so, als drohe eine Verdoppelung der Sanierungszeit, netto gerechnet. Aus zwölf Monaten könnten vierundzwanzig werden. Dass die Kosten der – ästhetisch übrigens gelungenen – Renovierung dann die veranschlagten 25 Millionen Euro überschreiten werden, liegt auf der Hand. Dass dem Theater wegen der Dauerprovisorien immer mehr Einnahmen entgehen, ebenso. Doch wer für die Baublamage – anders kann man die Ereignisse nicht beschreiben – im größten Dreispartenhaus Europas letzten Endes verantwortlich ist, muss geklärt werden. Zuständig für die Sanierung ist die Bauverwaltung im Finanzministerium des Landes. Und man wird das Gefühl nicht los, dass man auch den Herren dort mal mit 850 bunten Lichtern heimleuchten sollte.