Die Staatsoper in Stuttgart ist technisch in die Jahre gekommen. Das hat nicht zuletzt der Zwischenfall mit dem eisernen Vorhang gezeigt. Die Mitarbeiter lassen sich von den Unzulänglichkeiten des Hauses aber nicht demotivieren.

Lokales: Sybille Neth (sne)

Stuttgart - Zehn Minuten nach 21 Uhr fährt die Königin der Nacht unter die Erde – mit dem letzten Ton der vielleicht berühmtesten Arie der Operngeschichte aus Mozarts Zauberflöte. Inspizientin Eva Poettgen gibt aus dem Hintergrund das endgültige „Go“ für den spektakulären Abgang der verzweifelten Diva: „Achtung für Glühen und Bumm“ sagt sie mit ihrer tiefen Stimme zu den Rüstmeistern Achim Bitzer und Sofie Safranek, die für Spezialeffekte, Pyrotechnik und Theaterwaffen zuständig sind. Sie stehen neben ihrer Kommandozentrale hinter der Bühne im Halbdunkel. Der kleine Schaltkasten für das „Bumm“ liegt auf einem Einkaufswagen und punktgenau mit der Abfahrt des Bühnenbodenstückes zünden sie: rechts und links steigen Feuersäulen auf und erlöschen sofort wieder. Für die Abfahrt in der Versenkung bekommen die Mitarbeiter in der Untermaschinerie von ihr ein Lichtzeichen.

 

Lob für die Feuermacher

Eva Poettgen macht ihren nervenaufreibenden Job hinter der Bühne schon seit 30 Jahren und kann sich nichts Schöneres vorstellen. Bei der Zauberflöte in der vielschichtigen Inszenierung von Peter Konwitschny aus der Spielzeit 2003/04, die am 1. Februar zum letzten Mal in dieser Saison gegeben wurde, hielt sie von Anfang an hinter der Bühne alle Fäden für Ober-und Untermaschinerie, Beleuchtung, Requisite sowie die Auftritte der Sänger und des Chores in der Hand. Trotzdem freut sie sich wie ein Kind nach der geglückten Feuerszene. „Sehr schön gemacht“, sagt sie und schaut sofort wieder ins Notenbuch. Jeden Takt liest sie mit, jedes Kommando muss sie im Voraus für die Akteure mit deren Namen ankündigen und dann im richtigen Moment geben. Manchmal summt Eva Poettgen auch mit. Dem musikalischen Leiter Uwe Sander blickt sie via Monitor ins Gesicht und die Bühne hat sie über zwei weitere Monitore im Blick, denn ihr Inspizientenpult „Nord“ steht im rechten Winkel zur Bühne hinter dem Vorhang.

Auch Sopranistin Yuko Kakuta, die die Königin der Nacht singt, ist nach ihrem Abgang glücklich, denn die so genannte „Rachearie“, die zwei Oktaven umfasst, ist besonders anspruchsvoll. 40 Minuten vor der Vorstellung, während die Feuerwehrleute Bühne und Zuschauerraum durchchecken, sitzt sie fertig geschminkt im Bademantel in ihrer Garderobe. „Ich bin immer nervös. Vor jeder Vorstellung der Zauberflöte frage ich mich morgens, wenn ich aufwache, weshalb hast Du Ja gesagt. Aber hinterher bin ich glücklich.“ Die zweite Arie der Königin der Nacht sei deshalb besonders aufregend, weil sie jeder kennt. „Jeder hat besonders hohe Erwartungen“, sagt sie. Trotz Lampenfieber leert Yuko Kakuto vor dem Auftritt einen Becher Kaffee.

Nudelsalat für die Orchestermusiker

Nebenan hat gerade Ronan Collett alias Papageno den Stuhl vor dem Spiegel in der Maske verlassen. „Für mich ist die Rolle ein goldenes Ticket,“, sagt er auf Englisch. Collett spricht Deutsch auf der Bühne, aber nicht im realen Leben. Er liebt diese Inszenierung von Konwitschny, denn sie zeige, dass Papageno eine wirkliche und absolut unschuldige Figur sei: „Es ist mein liebstes Stück.“ Collett ist im Dauereinsatz und versorgt sich in der Pause in der Kantine mit Obst und einem Trinkjoghurt. Die Orchestermusiker unterhalten sich dicht gedrängt an einem Tisch bei Nudelsalat und kühlen Getränken, zwei der drei Damen sowie die drei Knaben von den Aurelius Sängerknaben Calw mit ihrer Betreuerin machen ebenfalls Pause und essen Eiscreme in der unterirdischen Kantine zwischen Oper und Schauspielhaus – bis die Stimme von Eva Poettgen ertönt.

Ende März erste Überlegungen zur Sanierung des Hauses

Während der Pause hat es am 24. Januar einen technischen Defekt gegeben: Wenn die Bühnentechniker den Umbau für den zweiten Akt vornehmen, der den gesamten Raum bis zum Rand des Orchestergrabens umfasst, muss der so genannte eiserne Vorhang herab gelassen werden. Für die Zuschauer präsentiert er sich als apricot farbene Wand, die das Muster der oberen Bühnenverkleidung aufnimmt. Zu Beginn des zweiten Teils blieb er an jenem Tag auf halber Höhe stecken, weil eine Sicherung herausgeflogen war. „Der eiserne Vorhang läuft nicht mehr richtig in seiner Stahlführung“, sagt der Geschäftsführende Intendant der Staatstheater, Marc-Oliver Hendriks, „deshalb haben sich die Motoren erhitzt und die Sicherung flog raus.“ Das sei eines der Anzeichen dafür, das am Opernhaus nicht erst seit gestern der Zahn der Zeit nagt. Ersatzteile für die historischen Anlagen gebe es auf dem Markt nicht mehr zu kaufen. Bei der Sanierung des Schauspielhauses Hannover sei man fündig geworden, berichtet Hendriks: „Wir waren dort und haben mitgenommen, was wir brauchen können, bevor es auf den Müll wandert.“ Ende März wird der erste Gutachterbericht für die Sanierung erwartet.

Ein Wasser für den Tamino

Zwischendurch taucht auch Intendant Jossi Wieler am Pult von Eva Poettgen auf. Fast bei jeder Aufführung schaut er vorbei. Aber gerade diese Inszenierung der Zauberflöte sei etwas ganz besonderes. Die Inspizientin verteilt derweil hinter der Bühne Bonbons und hat ein Ohr für die Kümmernisse der drei Knaben. Und als Gergely Németi, der den Tamino singt, außer Atem von der Bühne zu ihr kommt und nach einem Wasser fragt, bestellt die Dame mit der sonoren und ruhigen Stimme dieses per Mikrofon in der Garderobe.

Wer sich übrigens im Publikum schon gewundert hat, weshalb das Erscheinen und die Verbeugung der Akteure beim Schlussapplaus so schön aufeinander abgestimmt klappen, sollte die Abendspielleiterin Philine Tiezel hinter dem Vorhangzipfel sehen und vor allem hören. Gegen den Applaus ruft sie aus voller Kraft die Darsteller auf die Bühne und schreit „verbeugen“ – die Bewegung macht sie mit ausladender Geste selbst mit. Wenn der Vorhang gefallen ist, wird hinter der Bühne applaudiert, und der Intendant drückt herzlich seine Sänger.