Mehr als ein Jahrzehnt nach dem gescheiterten Versuch, die An- und Abflüge bilateral zu regeln, unternehmen Schweiz und Deutschland einen neuen Vorstoß. Von den Eidgenossen erwartet man Protest gegen die geplante Startbahnerweiterung.

Waldshut - Die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz haben sich elf Jahre nach dem ersten Anlauf erneut auf einen Staatsvertrag zur Regelung des Fluglärms zwischen beiden Staaten geeinigt. Nach vier Verhandlungsrunden haben der deutsche Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) und seine Schweizer Kollegin Doris Leuthard (CVP) im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet bekanntgegeben, man habe sich auf einen Kompromiss geeinigt. Er gibt Raum zur Einführung des umstrittenen gekröpften Nordanflugs und sieht eine Begrenzung der Zahl der Anflüge auf den Flughafen Zürich über deutsches Gebiet von 2020 an vor. Eine generelle Begrenzung der Anflüge aber soll es nicht mehr geben. Die Parlamente beider Länder müssen die Verträge noch bestätigen.

 

Auch die drei CDU-Landräte der betroffenen Landkreise Waldshut, Konstanz und Schwarzwald-Baar tragen die Lösung mit. Kurz vor der Unterzeichnung hatten Tilmann Bollacher (Waldshut), Frank Hämmerle (Konstanz) und Sven Hinterseh (Schwarwald-Baar-Kreis) die Konsultationen noch aus Protest gegen immer neue Forderungen der Eidgenossen verlassen. Die Gespräche seien immer mehr zu ihren Ungunsten gelaufen, sagte Bollacher. Allerdings war am Ende der Wille zur Einigung noch vor der Sommerpause wohl groß genug – dieses Ziel hatten Ramsauer und Leuthard zuvor ausgegeben.

Der Warteraum Rilax soll ab 2020 nicht mehr genutzt werden

Außerdem soll der Warteraum Rilax, der vor allem im Schwarzwald-Baar-Kreis Proteste auslöst, so verschoben werden, dass die Bevölkerung weniger vom Fluglärm betroffen ist. Von 2020 an soll Rilax ab 18 Uhr als Warteschleife für Zürich anfliegende Flugzeuge gar nicht mehr genutzt werden, und Flieger sollen nach dem Start in Zürich-Kloten erst in einer Höhe von 3600 Metern in den deutschen Luftraum einfliegen dürfen.

Die neuerliche Einigung per Staatsvertrag hatte sich im Januar beim Weltwirtschaftsforum in Davos abgezeichnet, wo beide Ressortchefs eine Absichtserklärung unterzeichnet hatten. „Mit der Einigung zerschlagen wir einen dicken Knoten und lösen einen jahrelangen Konflikt“, zeigte sich Verkehrsminister Ramsauer zufrieden. Der Vertrag sei ein „positives Signal für die gesamte Region“. Ramsauer: „Es wird künftig mehr Ruhe über dem deutschen Himmel geben.“ Am meisten entgegengekommen sind die Eidgenossen den Deutschen bei der Nutzung des deutschen Luftraums. So sollen werktags zwar bereits um 6.30 Uhr und damit eine halbe Stunde früher Anflüge über Süddeutschland möglich sein. Im Gegenzug werden am Abend die Anflüge drei Stunden früher als heute über Schweizerisches Gebiet geführt. Statt wie bisher von 7 bis 21 Uhr sollen die Anflüge von 6.30 bis 18 Uhr begrenzt sein. An Wochenenden und Feiertagen ist das Zeitfenster von 9 bis 18 Uhr statt wie bisher von 9 bis 20 Uhr geöffnet. Das gilt aber erst von 2020 an, wenn der geplante Ausbau der Pisten am Flughafen Zürich realisiert worden sei,teilte dass Schweizer Ministerium mit.

Zahl der anfliegenden Maschinen wird begrenzt

Eine nominale Begrenzung der Anflüge, wie sie die deutsche Durchführungsverordnung (DVO) bisher vorsieht, haben die Schweizer hingegen verhindert. Nach der DVO sollte die Belastung von derzeit 100 000 Maschinen im Jahr auf 80 000 begrenzt werden. Die Schweiz erklärte sich weiter bereit, für eine Übergangsfrist werktags die Anflüge schon eine Stunde früher, um 20 Uhr, zu beenden. Allerdings nur für den Fall, dass der Staatsvertrag von beiden Ländern tatsächlich auch ratifiziert wird.

Dies war 2001 schon einmal misslungen, als der Schweizer Ständerat und der Deutsche Bundesrat den zwischen dem Schweizer Verkehrsminister Moritz Leuenberger und dem deutschen Verkehrsminister Kurt Bodewig (SPD) ausgehandelten Vertrag die Gefolgschaft verweigert hatten. Die Zustimmung der Parlamente aber darf keinesfalls als gesichert gelten. Schon als am Wochenende Eckpunkte der Vereinbarung bekannt wurden, erhoben Bürgerinitiativen in der Schweiz und Deutschland ihre Stimme gegen diese Lösungen.

Die geplante Verlängerung einer Startbahn und der gekröpfte Nordanflug gelten dabei als besonders problematisch. Bereits 2008 hatte ihn das Schweizer Bundesamt für Zivilluftfahrt aus Sicherheitsgründen verworfen. Die Flugzeuge sollen dabei in 1500 Meter Höhe auf Schweizer Gebiet entlang der deutschen Grenze am Hochrhein fliegen und südlich von Hohentengen in nur 200 Metern Höhe eine scharfe Rechtskurve machen. Die Kursänderung um 45 Grad entspricht nicht den internationalen Richtlinien, die einen Maximalwinkel von 30 Grad festsetzen. Nun sollen die Deutsche Flugsicherung und die Schweizer Skyguide diese Verfahren „gemeinsam planen und durchführen“. Kritiker haben bereits Klagen angedroht.

Der Fluglärmstreit – eine unendliche Geschichte

Der Streit über den Fluglärm zwischen der Schweiz und Deutschland schwelt seit Jahrzehnten. Der Protest der Bürger gegen den Lärm der anfliegende Maschinen auf den Flughafen Zürich bei südbadischen Gemeinden fand lange kein Gehör. Erst seit 2000 wird er auf höchster politischer Ebene diskutiert. Mehr Flugverkehr und die Ausbaupläne des Flughafens führten zu Gerichtsverfahren. In deren Folge wurde 1984 eine Verwaltungsvereinbarung mit wachsweichen Formulierungen geschlossen. Die Pisten sollten ausgewogener genutzt werden, von 22 bis 6 Uhr sollte eine Nachtruhe gelten. Beides wurde meist ignoriert.

Im Jahr
2000 kündigte die Bundesrepublik Deutschland die Vereinbarung von 1984. Die Schweiz sollte sich in einem Staatsvertrag zur Regelung des Flugverkehrs über dem süddeutschen Raum verpflichten. Die deutsche Seite drohte einseitige Verordnungen an. So kam es auch. Der Staatsvertrag wurde 2001 zwar von beiden unterschrieben, vom Schweizer Ständerat und Deutschen Bundesrat aber nicht ratifiziert.

Die Beschränkungen sehen Mindestflughöhen vor. Anflüge über deutsches Gebiet dürfen an Werktagen nur zwischen 7 und 21 Uhr erfolgen; an Wochenenden sowie an Feiertagen zwischen 9 und 20 Uhr. Die Schweiz geht juristisch gegen die Beschränkungen vor. Sie unterlag in erster Instanz, inzwischen ist der Fall beim Europäischen Gerichtshof angelangt.