Seit Jahren bemüht sich die Stadt darum, den Fluss erlebbarer zu machen. Es ist ein schwieriges Unterfangen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - In deinen Tälern wachte das Herz mir auf“, dichtete Friedrich Hölderlin vor gut 200 Jahren über seinen geliebten Neckar – doch während ihm das Herz vor Freude überging, könnte man heute eher heulen, wenn man am Neckar entlangspaziert, gerade in Stuttgart. Es gibt in der Stadt kaum noch Stellen, an denen der Fluss zugänglich und damit erlebbar ist. Stattdessen beherrschen Industrieanlagen, steile Ufermauern und vierspurige Straßen das Bild. Lange vernachlässigt, existiert seit 1998 zumindest ein Konzept für den Neckar: „Stadt am Fluss“ heißt es – und in den vergangenen Tagen hat es plötzlich wieder Aktualität erlangt.

 

So hat die CDU-Gemeinderatsfraktion jetzt gleich zwei Anträge gestellt, um den Stuttgartern ihren Neckar ein Stück weit zurückzugeben. Zum einen will sie – wieder einmal – prüfen lassen, ob man im Neckar nicht doch baden könnte. Das Problem sind längst nicht mehr Schwermetalle oder sonstige Gifte im Wasser, sondern eine zu hohe Zahl von Coli-Bakterien, die durch die Kläranlagen in den Fluss kommen. Gerade im Sommer, wenn man Lust zu baden hätte, führt der Neckar wenig Wasser, der Abfluss aus den Kläranlagen bleibt aber konstant – das Mischungsverhältnis ist dann problematisch. Doch die Heidelberger sprängen längst wieder in den Neckar, sagt CDU-Fraktionschef Alexander Kotz. Er will prüfen lassen, ob man abgetrennte Bereiche fürs Baden einrichten könnte.

Ehrgeizige Ziele

Zum anderen haben die Christdemokraten das ehrgeizige Ziel, die lang gestreckte Neckarinsel zwischen dem Wasen und der Wilhelma wieder für Besucher zu öffnen – und zwar schon in diesem Sommer. Die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, die für die Schleuse an der Insel zuständig ist, habe bereits erklärt, dass dies möglich sei. Daneben hat Baubürgermeister Matthias Hahn (SPD) vor Kurzem laut darüber nachgedacht, am Mercedesmuseum eine große Terrasse am Fluss anlegen zu lassen, wenn die Daimler AG in zwei bis drei Jahren sowieso das Museum erweitere.

Das eigentlich Neue aber sind nicht diese einzelnen Vorstöße, sondern die Erweiterung des Konzeptes „Stadt am Fluss“, das die Stuttgarter Stadtplaner im Herbst im Umwelt- und Technikausschuss vorgestellt haben und das die Stadträte zu Elogen in beinahe Hölderlin’schem Ausmaß hingerissen hat. Insgesamt 18 Projekte sind vertieft und verfeinert worden; zusammen wären aber 40 Millionen Euro nötig, um sie zu verwirklichen. Angesichts der Erfahrungen der Vergangenheit muss man davon ausgehen, dass es Jahrzehnte dauern wird, bis einige der Projekte endlich Gestalt annehmen werden.

„Kleinere Kommunen haben uns überholt“

Für diese Annahme spricht auch, dass der Gemeinderat in seinen turbulenten Haushaltsberatungen im Dezember die benötigten Gelder, um die Planungen weiter vorantreiben zu können, von 450 000 auf 179 000 Euro zusammengestrichen hat. Die SPD in Bad Cannstatt hat am vergangenen Samstag im Bezirksrathaus ein Hearing zum Neckar veranstaltet – Stadträtin Marita Gröger sähe es schon als einen Erfolg, wenn in den Etat 2015/16 Geld für die Verwirklichung eines Projektes einstellt werden könnte. Sie räumte deshalb unumwunden ein: „Kleinere Kommunen haben uns überholt.“ In Ludwigsburg wird derzeit an den Zugwiesen für acht Millionen Euro ein 1,5 Kilometer langes Gelände renaturiert: „Das sucht seinesgleichen in der Region“, sagte Manfred Meister vom Regionalverband, der mit den Kommunen Landschaftsparks entwickelt. In einem umgestalteten Bereich in Hoheneck herrsche im Sommer Freibadatmosphäre, so Manfred Meister.

Und das sind einige der Ideen, die die Stadtplaner nur für Bad Cannstatt im Kopf haben: eine Uferpromenade entlang des Wasens; eine Verschönerung der sogenannten Rilling-Mauer gegenüber der Cannstatter Altstadt; ein Panoramaweg über den Zuckerberg; die Umgestaltung des Ufers an der Wilhelma sowie eine Wassertreppe und ein Café am Sicherheitshafen an der Hofener Straße. Konkret soll nun zunächst die Renaturierung des Neckars entlang der Wagrainäcker am Max-Eyth-See in Angriff genommen werden. Auch die Vollendung des Travertinparks, hoffentlich bis 2013, ist finanziell gesichert.

„Liebliche Wiesen und Uferweiden“

Da die Stadtplaner trotz aller Widerstände auch in Stuttgart nicht untätig waren, kann man schon heute erleben, wie schön es sein kann, am Neckar zu verweilen. Im Sommer macht ein Aufenthalt im Biergarten am Mühlgrün so richtig deutlich, dass Stuttgart – oder besser Bad Cannstatt – wirklich am Fluss liegt. Und der grüne Neckarauenpark mit dem bekannten Spielschiff gegenüber der Wilhelma erfreut nicht nur Kinderherzen. Die „lieblichen Wiesen und Uferweiden“, von denen Hölderlin träumte – dort gibt es sie wieder.