Unter dem Motto „Stuttgart laufd nai“ plant ein Bündnis mit SÖS/Linke-plus die Stadt der Zukunft. Dieses Vorhaben soll nicht von der Politik, sondern von der Bevölkerung beschlossen werden.

Stuttgart - Ein Aktionsbündnis unter Führung der Fraktionsgemeinschaft SÖS/ Linke-plus will im Mai ein Bürgerbegehren mit dem langfristigen Ziel initiieren, das Gebiet innerhalb des zukünftigen Cityrings als durchgrünte Fußgängerzone ausweisen zu lassen. Damit ist das Gebiet zwischen Konrad-Adenauer-Straße/Hauptstätter Straße, Theodor-Heuss-Straße/ Heilbronner Straße, der Paulinenbrücke und der Wolframstraße (neue Ostspange) gemeint. Zentrale Themen der Kampagne „Stuttgart laufd nai“ seien der vom Gemeinderat beschlossene Rückbau der Schillerstraße und die Zusammenführung von Oberem und Mittlerem Schlossgarten „als intaktes grünes Band bis zum Akademiegarten und dem Schlossplatz“, so Stadtrat Christoph Ozasek.

 

Die Bündnispartner wollen „ein Paradies für zu Fuß Gehende und Radfahrende mit optimaler Anbindung an den ÖPNV im Herzen der Stadt“. Stuttgart solle sich in den nächsten Jahrzehnten „nach menschlichem Maß“ entwickeln, wie es der legendäre dänische Stadtplaner Jan Gehl formuliert. Dafür bedürfe es der Vision einer lebendigen, sicheren, nachhaltigen und gesunden Stadt, so SÖS-Stadtrat Luigi Pantisano.

Gegenentwurf zu Tunnelplänen

Die Vision gilt als Gegenentwurf zur Idee von CDU, Grünen und SPD, die bisher schon kritisierten Projekte Rosenstein- und Leuzetunnel durch weitere Röhren zwischen Ostheim und der Innenstadt zu ergänzen. Der Bau würde Hunderte Millionen Euro kosten, die Betriebskosten wären horrend, das Verkehrsproblem würde sich verschärfen, kritisieren die Bündnispartner. Mit vergleichsweise überschaubaren Mitteln ließe sich stattdessen der öffentliche Raum lebenswerter gestalten, hieß es bei der Präsentation, die nun auch im Internet, etwa auf Facebook, gezeigt wird. Über diesen Plan solle aber nicht die Politik, sondern die Bevölkerung befinden.

Die Organisatoren bereiten deshalb ein Bürgerbegehren vor. Anders als bei Aktionen gegen S 21 – kritisiert wurden Kapazität und Finanzierung – soll es diesmal auch aus städtischer Sicht rechtssicher sein. Das bereits erteilte Angebot von OB Fritz Kuhn (Grüne), bei der Formulierung der Frage an die Bürger zu helfen, nehme man gerne an, sagt Ozasek. In einem zweiten Schritt sollen die nötigen 20 000 Unterschriften gesammelt werden. Danach käme ein Bürgerentscheid, „den wir natürlich gewinnen wollen, damit er für die Stadt verbindlich wird“, sagt Pantisano.

Schöner Platz vor dem Hegelhaus

Gemäß den Plänen würden alle oberirdischen Parkplätze für Pkw und Laster „breiteren Gehwegen, erweiterten Grünflächen, neuen Stadtbäumen, Stadtoasen, Kinderspielplätzen, Straßencafés und Orten des freien kulturellen Austauschs“ weichen müssen. Beispiele dafür sind die Schillerstraße, die Ecke Kronen-/Lautenschlagerstraße und der Bereich Eberhard-/Torstraße vor dem Hegelhaus.

Ein Parkhauskonzept sieht eine „Umnutzung und städtebauliche Neuordnung der frei werdenden Stellplatzflächen vor“. Sie könnten als Fahrradparkhäuser oder als Lagerflächen für den Warenaustausch der Innenstadthändler genutzt werden. Parkhäuser könnten durch gemischte Wohn- und Gewerbequartiere ersetzt werden. Erhalten blieben lediglich jene Parkhäuser, die direkt über den Cityring erreichbar sind. Eigentümerfragen seien mit Hinweis auf die Langzeitplanung noch nicht untersucht worden, hieß es bei der Präsentation der Kampagne.

Parken nur am Cityring-Rand

Linken-Stadtrat Ozasek hebt im Namen des Bündnisses hervor, dass nicht geplant sei, den kompletten Individualverkehr in der Innenstadt lahmzulegen. Parken sei aber nur noch in jenen Parkhäusern möglich, die direkt an den Cityring angebunden seien. Für Anwohner, deren Zahl durch verstärkten innerstädtischen Wohnungsbau steigen solle, solle es einige Tiefgaragen geben. Grünen-Stadträtin Clarissa Seitz sagte für den BUND, die Verkehrsflächen seien ungerecht verteilt. Ihre Partei werde in der nächsten Kreismitgliederversammlung über eine Teilnahme am Bündnis befinden.

Die neue IHK-Präsidentin Marjoke Breuning, keine Anhängerin von Fahrverboten, hatte am Donnerstag die Frage aufgeworfen: „Was wäre, wenn im Jahr 2030 in der Kerninnenstadt so gut wie kein Individualverkehr mit Verbrennungsmotor mehr stattfinden würde“ und in Stuttgart „saubere Luft, modernste Logistik, hohe Aufenthaltsqualität und Einkaufserlebnis keine Gegensätze mehr“ wären? Das war Wasser auf die Mühlen des Bündnisses. Man sehe sich auf dem richtigen Weg und hoffe, dass die IHK ihre Kampagne unterstütze.

Auch der Handel werde einsehen, dass die hohe Aufenthaltsqualität mehr Kunden anlocken werde, sagt Pantisano. Man müsse sich die Königstraße eben als komplett auf die City ausgedehnte Fußgängerzone vorstellen. Die Innenstadt solle aber nur der Ort der Initialzündung für mehr lebenswerte Räume sein. Auch die Stadtbezirke sollen fußgänger-, radfahrer-, kinder- und behindertenfreundlicher werden.

Die Wolframstraße wird die Ostspange

Das Bündnis wählt als Außengrenzen den erweiterten Cityring – und denkt damit langfristig. Die Wolframstraße kann erst nach der Einweihung des Tiefbahnhofs und dem Abriss alter Brücken – also in sechs bis acht Jahren – die Schillerstraße als Ostspange ablösen. Geplant sind Sonderregelungen für SSB-Busse (Rotebühlstraße, Schlossplatz, Schillerstraße) und Taxen. Die City werde optimal an den ÖPNV angebunden, Konflikte mit dem Kfz-Verkehr würden seltener, der Zugang zum Bahnhof für Radler und Fußgänger attraktiver.

Das Konzept sieht Bereiche vor, in denen die Radler und Fußgänger unter sich sind, und solche, in denen Rücksicht aufeinander genommen werden muss. Auch Fahrbahnen bleiben, etwa für Rettungsfahrzeuge und für den Lieferverkehr, der den innerstädtischen Handel bedient. Allerdings würden die Zeitfenster genau kontrolliert. Angestrebt werde die Umsetzung des auch von der IHK angemahnten Lieferverkehrskonzeptes. Mittels Mikrodepots und elektrifizierter Lastenräder würde der verbrennungsmotorbasierte, schwere Lieferverkehr deutlich reduziert.

Jugend meidet das Auto

Das Aktionsbündnis meint, das Konzept treffe den Nerv der jungen Stuttgarter, für die das Auto an Bedeutung verloren hat. Nur 14 Prozent hätten es 2015 zur Fahrt zur Arbeit oder Ausbildung genutzt. Zehn Jahre vorher seien es noch 34 Prozent gewesen. Die Zahl der zugelassenen Autos in der Altersgruppe 18 bis 25 sei seit 2000 um 76 Prozent zurückgegangen. Umgekehrt sei der Anteil der ÖPNV-Nutzer von 59 auf 78 Prozent gestiegen. In einer Studie habe der Vorschlag, Städte so umzugestalten, dass man kaum noch aufs Auto angewiesen ist, bei jungen Leuten mit 84 Prozent noch mehr Zustimmung als bei der Gesamtstichprobe (82 Prozent) erhalten.

In der Bürgerumfrage hätten 57 Prozent den Wunsch nach mehr Grün- und Parkanlagen geäußert. Quer durch alle Alters- und Berufsgruppen seien 68 Prozent der Meinung, es gebe zu viel Individualverkehr.