Fast ein halbes Jahr nach dem schweren Unfall in Esslingen-Weil, bei dem eine Mutter und ihre beiden Kinder starben, wird weiter über die Sicherheit von Passanten diskutiert. Ist die Ausweisung von Tempo 30 ausreichend?
Bei einem Unfall im Esslinger Stadtteil Weil am 22. Oktober vergangenen Jahres sind eine Mutter (39) und ihre drei und sechs Jahre alten Söhne ums Leben gekommen. Ein Autofahrer war im Kreuzungsbereich beim Sportpark ins Schleudern geraten und hatte die drei Passanten auf dem Gehweg erfasst. Die Ermittlungen zur Unfallursache dauern ein halbes Jahr später noch immer an. Und auch die Diskussion darüber, wie die Sicherheit von Fußgängern in der Weilstraße verbessert werden könnte, ebbt nicht ab.
Bereits unmittelbar nach der Tragödie hatten sich zahlreiche Anwohner des Wohnquartiers zwischen Neckar-Center und Sportpark Weil zu Wort gemeldet: Sie hätten befürchtet, dass „irgendwann einmal etwas Schlimmes passieren“ könnte. Denn viele Autofahrer, so berichteten sie damals gegenüber unserer Zeitung, würden auf der schnurgeraden Strecke zwischen Wannenrain und der Kreuzung zur B 10/Mettinger Brücke viel schneller als die erlaubten 50 Stundenkilometer fahren – dicht vorbei an den Passanten auf dem schmalen Gehweg. Ihrer Forderung nach einer Geschwindigkeitsreduzierung kam die Stadt schließlich auch nach: Wenige Wochen später wurden Tempo-30-Schilder am Straßenrand angebracht.
SPD meint: Das Tempolimit muss auch überwacht werden
Doch reicht das aus? Ob die Maßnahme tatsächlich die erhoffte Wirkung zeigt, will die SPD-Gemeinderatsfraktion jetzt von der Verwaltung wissen. Sie seien von einer besorgten Bürgerin angesprochen worden, berichten der Fraktionsvorsitzende Nicolas Fink und seine Stellvertreterin Christa Müller. Nach Beobachtung der Anwohner finde das Tempolimit nämlich „herzlich wenig Beachtung“ bei den Autofahrern.
In einer Anfrage an Ordnungsbürgermeister Yalcin Bayraktar haken die Genossen nach: „Wie häufig werden in diesem Straßenabschnitt mobile Geschwindigkeitskontrollen durchgeführt? Und wäre dort die Installation einer festen Geschwindigkeitsmesssäule angebracht?“ Fink und Müller bringen eine weitere denkbare Maßnahme zur Verkehrsüberwachung ins Gespräch: das Aufstellen von Geschwindigkeitsanzeigetafeln.
Bei den sogenannten Dialog-Displays handelt es sich um Tempokontrollen auf pädagogisch sanfte Tour: Sie informieren die Fahrer mit blinkenden Angaben über ihr Tempo. Mit einem lachenden oder traurigen Smiley zeigen die LED-Schilder dann an, ob ein Auto korrekt oder zu schnell unterwegs ist. Die Messung ist bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung zwar folgenlos, die Aufstellung solcher Tafeln könnte aber zu einer „Verbesserung der Gefahrensituation an dieser viel befahrenen Straße“ beitragen, hoffen die SPD-Stadträte.
Nach Angaben des Esslinger Rathauses hat man solche mobilen Anzeigetafeln in der Weilstraße bereits eingesetzt – „an unterschiedlichen Messstellen über mehrere Wochen hinweg“, teilt die Pressestelle der Stadt mit. Weitere Zeiträume für die Displays seien auch schon eingeplant. Solche Displays kämen vor allem dort zum Zuge, „wo aufgrund der örtlichen Gegebenheiten der Einsatz der Messfahrzeuge aus technischen Gründen nicht ohne Weiteres möglich ist“, heißt es. Falls man bei diesen Messungen Auffälligkeiten feststelle, würden die Kontrollen intensiviert und weitere Maßnahmen geprüft.
Lauter Ruf nach einem sicheren Weg für Fußgänger und Radfahrer
Dass es mit Tempo 30 allein nicht getan sei, das hatten zuvor auch schon die Grünen im Esslinger Gemeinderat betont. Die Situation an der Unfallstelle sei durch „Unsicherheit gekennzeichnet“, weshalb umfassende Maßnahmen erforderlich seien, teilte die Fraktion mit. Ihrer Ansicht nach muss für Fußgänger, die sich den Gehweg oft noch mit Radfahrern teilen müssen, „eine sichere und direkte Verbindung zwischen Weil und dem Sportpark geschaffen werden“, die vom Autoverkehr getrennt sei.
Ähnliches wünschte sich der Bürgerausschuss Mettingen, Brühl, Weil. Er hatte schon lange vor dem tragischen Unfall den Vorschlag unterbreitet, zum Schutz der Passanten eine massive Gehwegabtrennung, zum Beispiel aus Beton, entlang der Weilstraße zu installieren. Beton ist es zwar nicht geworden, aber: Mittlerweile hat die Stadt zumindest im Bereich des Sportparks ein Stahlgeländer auf dem Gehweg montiert.
An der Unfallstelle wird mit Kerzen und Blumen der drei Toten gedacht
Im Zaun, der das Sportgelände Weil umgibt, klafft seit dem Unfall eine Lücke. Der Fahrer des SUV war erst dort zum Stehen gekommen. An der Unfallstelle wird der drei Toten still gedacht: Im Gras leicht verborgen stehen Trauerkerzen und ein Gesteck, bunt bemalte Steine liegen auf dem Boden. Auf einem kleinen Gedenkstein steht geschrieben: „Erinnerungen, die unser Herz berühren, gehen niemals verloren.“
Der Unfall selbst gibt weiterhin Fragen auf. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Stuttgart sind die Ermittlungen zum Geschehen noch immer nicht abgeschlossen. Bekannt ist bislang, dass der 54-jährige Verursacher zum Unfallzeitpunkt nicht unter dem Einfluss von Alkohol oder anderen Rauschmitteln gestanden hat. Das hat die toxikologischen Untersuchung ergeben.
Unfälle im Kreis Esslingen
Anzahl
Der Statistik des Polizeipräsidiums Reutlingen zufolge gab es 2024 im Landkreis Esslingen 14 879 Unfälle und damit 475 mehr als im Vorjahr. Registriert wurden unter anderem 4998 Unfälle mit Pkw, 547 Unfälle mit Radfahrern, 165 Unfälle mit Fußgängern, 188 Unfälle mit Motorradfahrern und 546 Unfälle mit Lastwagen.
Tote
Im vergangenen Jahr sind im Kreis Esslingen insgesamt 1566 Menschen im Straßenverkehr verunglückt. 1340 Personen wurden leicht verletzt, 209 schwer. Die Zahl der Todesopfer stieg von fünf auf 17.
Ursachen
Die Hauptunfallursache waren Fehler beim Abbiegen, Wenden, Rückwärts-, Ein- und Ausfahren (1980 Unfälle). Es folgen das Missachten der Vorfahrt (816), zu geringer Abstand (321), nicht angepasste Geschwindigkeit (281) und mangelnde Verkehrstüchtigkeit (255).