Auf dem Betriebshof des Abfallwirtschaftsbetrieb der Stadt Stuttgart werden in einem Lager 470 Staats- und Landesflaggen vorgehalten – zum Verleih an jedermann. Doch wer mietet die Banner zu welchen Anlässen?

Stuttgart - Wetten, dass Sie es nicht schaffen, knapp 500 zusammengerollte Fahnen auf fünf Meter Entfernung den jeweiligen Staaten und Bundesländern zuzuordnen, ohne den Stoff zu entwirren?“ Thomas Gottschalk hätte an Marcus Fälschle seine Freude, denn so zielstrebig, wie der im Lager auf die Spulen zuspurtet, lässt er keinen Zweifel daran, das Zeug zum Wettkönig zu haben. Marcus Fälschle ist der Herr der Flaggen bei der Abfallwirtschaft Stuttgart. Nur wenige wissen, dass das städtische Entsorgungsunternehmen auf dem Betriebshof an der Heinrich-Baumann-Straße ein Flaggendepot führt. Staats-, Bundesländer-, Europa- und Stadtfahnen stehen hier in Reih und Glied aufgerollt. 470 Stück, von Ägypten bis Zypern. Sie alle warten darauf, dass jemand sie ausleiht.

 

Jeder kann die Flaggen mieten

Mieten kann die Banner in der Theorie jeder. 25 Euro pro Tag werden fällig. Mindestleihdauer: drei Tage. Doch nur die wenigsten können mit den riesigen Stoffen etwas anfangen. 1,50 auf fünf Meter messen sämtliche Exemplare, und sie sind ausschließlich fürs senkrechte Hängen bestimmt. Für die private WM-Party im Garten ist das viel zu ausladend. Zu den Hauptkunden zählen daher Sportvereine, Firmen, Ministerien, Botschaften und Ämter, die Delegationen aus dem Ausland erwarten oder Veranstaltungen ausrichten. „Im Rathaus haben sie ein paar parat, aber das meiste wird von uns geholt“, sagt Marcus Fälschle. Aus dem Staatsministerium kam gerade die israelische Fahne zurück. Marcus Fälschle rollte sie auf einem Spezialtisch aus, bürstet einmal drüber, „meistens ist eh nur Staub drauf“, dann legt er sie samt der Leinen fachmännisch zusammen und schiebt die Rolle wieder in die Schutzhülle.

Seit eh und je gibt es das AWS-Fahnenlager, sagt Marcus Fälschle. Er selbst nimmt seit etwa acht Jahren Bestellungen per Mail entgegen und organisiert den Verleih neben seiner Hauptaufgabe, der Softwareentwicklung. Jetzt, wenn die Vereine wieder ihre Sportfeste ausrichten, wird auch mal täglich etwas ausgeborgt. Doch nicht alles ist gleich stark nachgefragt. Während die deutsche, die baden-württembergische, die Stuttgarter und die US-amerikanische Fahne besonders oft gebraucht werden und daher jeweils in zehnfacher Ausführung bereit stehen, sind die von Armenien oder Angola Ladenhüter.

Nicht alle Flaggen im Angebot

Andere Symbole, etwa das nepalesische, hat die AWS gar nicht im Angebot. „Da kommt nicht so oft einer nach Stuttgart“, sagt Marcus Fälschle schulterzuckend. Die Anschaffung will auch gut überlegt sein. Im Schnitt 300 Euro koste ein Banner im Einkauf. Faustregel: je mehr Farben und Motive, desto teurer. Folglich könne man auch nicht mit allem dienen. „Dann gibt es halt einen Empfang mit Tischwimpel“, sagt Marcus Fälschle.

Nicht nur im Lager macht sich die schwäbische Sparsamkeit bemerkbar, sondern bisweilen auch bei den Kunden. Marcus Fälschle weiß von Anlässen, bei denen Gäste die Villa Reitzenstein verließen, die Fahne in Windeseile eingerollt wurde und ein Gesandter sie flugs zum Neuen Schloss brachte, damit sie rechtzeitig vor dem Eintreffen der Delegation dort wieder gehisst werden konnte. „Das weiß dann der Fahrer und fährt eine extra Sightseeing-Runde“, sagt Marcus Fälschle lächelnd.

Aus dem Staatsministerium ist eine neue Bestellung eingegangen. Die Fahne der Ukraine wird am nächsten Tag abgeholt. Marcus Fälschle hat sich die Rolle in Blau und Gelb unter den Arm geklemmt und trägt sie in sein Büro. Er grinst. „Das ist der Running Gag. Hier herrscht striktes Alkoholverbot. Ich bin der einzige, der mit einer Fahne rumlaufen darf.“