Der Stadtdekan fragt am Dienstag bei einem Gesprächsabend Bürger nach ihren Ängsten und Sorgen. Er wünscht sich ein „politisches Erwachen“.

Stuttgart -

 
Herr Hermes, machen Sie der Politik schon wieder Konkurrenz. Sollten nicht die Politik die Ängste und Sorgen der Bürger hören und ernstnehmen?
Das sollte sie in der Tat. Sowohl wenn Menschen nicht mehr zu Wahl gehen oder auch wenn sie hingehen und radikale und populistische Parteien wählen, muss uns das alle nachdenklich machen. Aber was heißt Konkurrenz? Politik ist ja nicht Sache von wenigen Spezialisten, Politikern oder Parteien, während alle anderen auf der Couch sitzen, Chips essen und das Programm abwählen, wenn es ihnen nicht mehr gefällt. Politik ist die Sache aller Bürger, weil es um die „polis“ geht, den Staat und damit darum, wie Menschen mit verschiedenen Interessen und Bedürfnissen in Gerechtigkeit und Frieden gut zusammenleben können. Wie gut, dass wir neu darauf aufmerksam gemacht werden.
Wie wollen sie den Menschen auf ihre Sorgen begegnen? Was kann Religion hier leisten?
Gegen Bewegungen, die die Menschenwürde verletzen und unsere freiheitliche demokratische Ordnung unterminieren, habe ich mich kritisch geäußert und werde ich mich aus meiner Rolle als Stadtdekan weiterhin kritisch äußern. Ich bekomme so viele Rückmeldungen, dass unsere Kirchenmitglieder genau das auch erwarten bzw. an anderer Stelle peinlich vermissen. Ebenso müssen wir aber der Frage nachgehen, warum und weshalb viele Menschen sich Sorgen machen oder abgehängt fühlen. Die Kirche hat sich ja um „Seelsorge“ zu kümmern. Das meint ja nicht, die Leute ein bisschen betüteln, sondern ihnen wirklich zuhören und hilfreiche Perspektiven zu entwickeln. Gerade denen, die keine starke Stimme in der Öffentlichkeit haben, müssen wir Aufmerksamkeit schenken. Das ist unser ureigenstes Geschäft.
Soll das Format in allen Gemeinden Schule machen?
Das fragen Sie mich besser danach. Jetzt warten wir mal ab, wie es läuft. Der Abend ist gut vorbereitet, sodass ein faires Gespräch möglich sein sollte und am Ende auch die Frage steht: Was machen wir jetzt? Wie geht es weiter? Tatsächlich würde ich mir aber wünschen, dass unsere Kirchenmitglieder und viele andere Bürgerinnen und Bürger beginnen, sich mehr um das Gemeinwesen zu kümmern und dafür zu engagieren. Man ist Christ, so hat Eugen Bolz einmal sinngemäß gesagt, nicht nur, um in die Kirche zu laufen, sondern um seinen Beitrag zur Lösung der öffentlichen Fragen zu leisten. Für ihn war Politik die praktische Seite seines Glaubens. Das sagt mir viel. Ein solches politisches Erwachen wünsche ich mir.
Die Veranstaltung findet am kommenden Dienstag, 23. Mai, 18 Uhr, im Haus der Katholischen Kirche in Stuttgart, Königstraße 7, statt.