Eine junge Architektin will ungenutzten Freiraum in der Stadt finden – und betrachtet sie dabei aus einem anderen Blickwinkel. In der Vertikalen, sagt sie im Interview, gebe es noch reichlich Platz für Nachverdichtung.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Stuttgart -

 

Aus der Vogelperspektive wirkt der Stuttgarter Westen komplett bebaut, an Nachverdichtung ist hier kaum zu denken. Die Landschaftsarchitektin Isabel Zintl sieht das anders: Ihrer Meinung nach sind viele Freiflächen noch unerschlossen. Man müsse nur ganz genau hinschauen.

Frau Zintl, Sie wollen Freiflächen im Stuttgarter Westen erschließen. Ist das bei der dichten Bebauung dort nicht ein sinnloses Unterfangen?
Das ist eine Frage der Perspektive. Wenn Sie von oben auf den Stadtplan schauen, haben Sie wahrscheinlich Recht. Aber ändern Sie mal den Blickwinkel: In der Vertikalen gibt es viele unerschlossene Freiflächen. Ich schätze, zehn pro Block.
Das müssen Sie erklären.
Zum Beispiel die sogenannten Bauchwichen – also Spalten zwischen zwei Häusern, die häufig keinem bestimmten Zweck dienen. Die könnte man auf mehreren Ebenen für die Öffentlichkeit nutzbar machen – etwa mit einem Gerüst, das auf mehreren Etagen begehbar ist.
Das sollte aber nicht unbedingt vor einem Badezimmerfenster verlaufen . . .
Natürlich nicht. Viele Bauwiche fallen aufgrund von Fenstern und dergleichen auch raus. Es ist auch ein auch ein Problem, dass sich die meisten vertikalen Freiflächen zwischen den Hauswänden zweier Immobilieneigentümer befinden. Die müssen das natürlich beide wollen – und die Anwohner selbstverständlich auch. Aber ich bin sicher, dass sich im Westen einige finden werden, die von der Idee angetan sind.
Was macht Sie da so sicher?
Ich glaube, da geht es einfach um das moderne Lebensgefühl in der Stadt. Viele wollen auch in der Stadt Natur und Grün haben. In Berlin kommt der Begriff „urban-ländliches Lebensgefühl“ auf. Ich bin überzeugt, bei den Bürgern gibt es dieses Bedürfnis: Sich mal zurückzuziehen, oder einfach mal mit dem Kind von den befahrenen Straßen weg.
Ihre Idee klingt simpel. Wie kamen Sie darauf? Und: Warum noch kein anderer?
Also, ich selbst kam während meiner Master-Arbeit 2015 auf die ersten Gedanken in diese Richtung. Damals am Beispiel Barcelonas, das noch dichter bebaut ist als der Stuttgarter Westen. Und ein paar vergleichbare Projekte gibt es auch schon: Den MFO-Park in Zürich, ein begrüntes, mehrstöckiges Gerüst. Oder die High Line in New York, ein Parkstreifen entlang der ehemaligen Stadtbahnlinie.
Ihre Studierenden haben im Zuge eines Seminares der Kunstakademie Entwürfe für neue Freiräume in Stuttgart-West gemacht, die bei einem Stadtspaziergang durch den Stadtteil vorgestellt wurden. Wie war die Resonanz?
Durchweg positiv. Knapp 50 Bürger zeigten sich interessiert an unseren Ideen. Und wir freuen uns auch, die Unterstützung von Bezirksvorsteher Reinhard Möhrle gewonnen zu haben.
Wie geht es jetzt weiter?
Wir wollen die Idee bekannter machen und hoffen zunächst auf private Hausbesitzer, die einen Praxistest wagen. Außerdem wollen wir uns auf Zuschüsse aus dem Bürgerhaushalt bewerben. Und uns besser mit anderen Initiativen vernetzen, die bürgerschaftliches Engagement in die Stadtentwicklung reinbringen. Zum Beispiel mit den Leuten von den Platzgesprächen am Bismarckplatz.
Aber fördern diese ganzen Maßnahmen, Stadtbezirke attraktiver zu machen, nicht auch die Gentrifizierung?
Ich mache mir da nichts vor: Als Architekt kann man oft gar nicht verhindern, Gentrifizierung auszulösen. Aber man kann versuchen, sozialverträglich zu sein. Zum Beispiel beeinträchtigt vertikale Stadtentwicklung keine Parkplätze. Es braucht also niemand extra teure Tiefgaragenplätze anzumieten. Und die grüne Nachverdichtung soll ja auch für alle zugänglich sein.