Exklusiv Im Stuttgarter Westen soll es keine Großmärkte geben – eigentlich. Einer hat es doch geschafft, obwohl Gemeinderat und Verwaltung das verhindern wollen: Am Westbahnhof entsteht ein Obi-Baumarkt. Der Grund ­dafür scheint ein folgenschweres Versäumnis der zuständigen Ämter zu sein.

Stuttgart - Eigentlich sind sich Stadtverwaltung und Gemeinderat einig: Im Gewerbegebiet Unter dem Birkenkopf in  der Nähe des Westbahnhofs soll es keinen großflächigen Einzelhandel geben. Die Politik will die Handelsstruktur im  Bezirk  schützen und einer steigenden Verkehrsbelastung vorbeugen. Trotzdem hat das Baurechtsamt eine Voranfrage zum Bau eines 4700 Quadratmeter großen Obi-Baumarkts genehmigt. Der Grund dafür scheint ein folgenschweres Versäumnis der zuständigen Ämter zu sein.

 

„Es ist richtig, dass eine entsprechende Voranfrage positiv beschieden wurde“, bestätigt die Leiterin des Baurechtsamtes, Kirsten Rickes. Eine höchst bemerkenswerte Aussage, kennt man die Vorgeschichte. Bereits im Jahr 2006 sollte unter der Adresse Unter dem Birkenkopf 13 bis 15 ein Baumarkt mit knapp 5000 Quadratmetern entstehen. Die Stadträte kamen damals zu einer Sondersitzung zusammen, um dem Vorhaben einen Riegel vorzuschieben. Es wurde eine sogenannte Veränderungssperre verhängt und das Projekt damit verhindert. Die Entscheidung wurde einstimmig getroffen. Baubürgermeister Matthias Hahn (SPD) und die Gemeinderäte waren sich einig: Ein Markt dieser Größe wäre an dieser Stelle absolut fehl am Platz. Der Westbahnhof sollte ein Gewerbegebiet für kleine und mittlere Betriebe bleiben.

An dieser Haltung hat sich seither nichts geändert. Trotzdem scheint es, als sei der Weg für den neuen Obi frei. „Eine solche Sperre läuft irgendwann aus“, erklärt Amtsleiterin Rickes. Als die aktuelle Anfrage eingereicht und bearbeitet wurde, war nach Angaben des Amtes keine derartige Vorgabe in Kraft. „Deshalb haben wir den Antrag genehmigt“, sagt sie.

Neue Adresse für dasselbe Grundstück

Der Antragsteller hat für dasselbe Grundstück eine neue Adresse verwendet. Das Projekt läuft nun unter der Anschrift Am Stellwerk 4. Es handelt sich jedoch um dasselbe Areal wie 2006. Offenbar wurde lediglich der geplante Eingang verlegt. „Das ist uns bislang gar nicht aufgefallen“, gibt Rickes auf StZ-Nachfrage zu und fügt an: „Das hätte für die Genehmigung jedoch keinen Unterschied gemacht.“

Auf dem Areal steht derzeit der kleinere City-Baumarkt mit knapp 1000 Quadratmeter Fläche. „Wir haben von den Plänen erst diese Woche erfahren“, sagt der Geschäftsführer Gunter Kemper. „Wir sind sehr überrascht.“ Bei dem Betrieb handelt es sich um den ältesten Baumarkt der Stadt. „Uns gibt es seit 120 Jahren“, sagt Kemper. Der Mietvertrag des City-Baumarkts läuft noch bis Ende 2015.

Das Grundstück gehört nach StZ-Informationen der Unternehmensgruppe Widerker mit Sitz in Botnang. Auf Anfrage verweigert der Immobilieninvestor jegliche Aussage. Zu laufenden Verfahren werde man sich nicht äußern, heißt es. Nicht einmal den Besitz des Areals will man bestätigen. Bereits die vom Gemeinderat gestoppten Pläne aus dem Jahr 2006 sollen nach Informationen der StZ von Widerker ausgegangen sein. Auf der Internetseite wird das eigene Geschäftsmodell wie folgt beschrieben: „Die Unternehmensgruppe Widerker verfügt über signifikante Kapitalressourcen und sucht aktiv nach attraktiven Immobilieninvestitionsmöglichkeiten.“ Großflächiger Einzelhandel werde dabei bevorzugt, heißt es weiter.

Gibt es Möglichkeiten das ungewollte Bauprojekt zu stoppen?

Auch die Baumarktkette Obi will sich nicht äußern. „Wir können zum jetzigen Zeitpunkt keine Angaben zu dem geplanten Standort in Stuttgart veröffentlichen“, bekundet die Sprecherin Elena Ottaviano. Außerdem werde das Verfahren vom Grundstückseigentümer selbst durchgeführt. Deshalb habe man aktuell keine genauen Informationen vorliegen. Bislang ist Obi in Stuttgart mit drei Filialen vertreten, in Wangen, Zuffenhausen und Feuerbach.

Brisant ist, dass es offenbar keine Möglichkeit mehr gibt, das ungewollte Bauprojekt zu stoppen. „Über diesen Antrag wird nicht im Gemeinderat abgestimmt“, sagt Bauamtsleiterin Rickes. Ob ein Antrag zulässig ist oder nicht, werde vom Amt und nicht vom Stadtparlament entschieden. Einem Antrag der CDU-Fraktion auf Information werde man zwar nachkommen. „Der Gemeinderat hat jedoch keine Möglichkeit mehr, sich gegen das Vorhaben zu entscheiden“, betont Rickes.

Eine Tatsache, die bei sämtlichen Fraktionen auf Unverständnis stößt. „Es stellt sich mir die Frage, wer da geschlafen hat“, ärgert sich CDU-Stadtrat Ulrich Endreß, „die Verwaltung hätte auf das Auslaufen der Sperre hinweisen müssen. Der politische Wille hat sich seit dem letzten Anlauf im Jahr 2006 ja nicht verändert.“ Die CDU will prüfen, ob nicht doch noch die Möglichkeit besteht, das Projekt zu stoppen.

Amt hat Fristen nicht im Auge gehabt

„Es ist bitter, dass eine solche Lücke vom Investor genutzt wird“, sagt der Fraktionschef der Grünen, Peter Pätzold. Es wäre Aufgabe des Ressorts von Baubürgermeister Matthias Hahn (SPD) gewesen, auf die Fristen ein Auge zu haben, sagt Pätzold. Die Fraktionschefin der SPD, Roswitha Blind, zeigt sich betroffen, dass der Wille der Stadträte offen missachtet wird. „Einen solchen Fehler führe ich auf die Überlastung des Planungsamtes zurück“, sagt sie.

„Da hat das Referat des Baubürgermeisters offenbar gepennt“, schimpft Jürgen Zeeb, der Chef der Freien Wähler. „Man hätte die Ratsmitglieder informieren müssen, denn wir wollen diesen Obi dort nicht.“ Der Chef der FDP-Fraktion, Bernd Klingler, will prüfen, ob der Gemeinderat nicht doch noch einschreiten kann. „Trotzdem müssen wir klären, wer da etwas verbummelt hat“, sagt er. „Es wäre schon ein starkes Stück, wenn der Wille des Rates hier ein Verfallsdatum gehabt hätte“, meint der Chef der Fraktion SÖS/Linke, Hannes Rockenbauch.

Bis Redaktionsschluss haben weder das städtische Planungsamt noch Baubürgermeister Hahn auf die Anfrage der Stuttgarter Zeitung zu diesem Thema geantwortet.