Junge Menschen zieht es laut einer umstrittenen Studie allein in die In-Viertel Stuttgarts. Das entspricht nicht immer den Tatsachen. Die Stadtteile, in denen tatsächlich die meisten jungen Menschen leben, gelten bei den Urhebern der Studie als wenig attraktiv.

Stuttgart - Der anhaltende Zuzug nach Stuttgart wird zum größten Teil von der Generation der unter 30-Jährigen getragen. Die Frage, welche Stadtteile für junge Menschen attraktiv sind, ist daher für Kommunalpolitik wie Immobilienwirtschaft gleichermaßen interessant. Einer aktuellen Studie zufolge zieht es die sogenannten Reurbanisierer in erster Linie angeblich nach Stuttgart-West, in den Süden und ins Cannstatter Zentrum. Doch die Realität sieht anders aus. Statistiker und Immobilienexperten beurteilen die Untersuchung zum Teil sehr kritisch.

 

In einer groß angelegten Studie behauptet der Immobilienentwickler GBI, in den sieben großen Metropolen – Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Düsseldorf und Stuttgart – die attraktivsten Stadtteile für junge Menschen ermittelt zu haben. Die Ergebnisse sollen am morgigen Dienstag in einer bundesweiten Pressekonferenz vorgestellt werden. „Die großen deutschen Städte erleben derzeit einen Ansturm junger Leute“, heißt es in der entsprechenden Pressemitteilung der GBI. Gute Arbeits- und Ausbildungsbedingungen sowie Kultur- und Freizeitangebote werden als Gründe genannt. „Immer häufiger wird sogar aufs Auto verzichtet“, heißt es weiter.

Beliebt sind der Süden, der Westen und S-Mitte

Für Stuttgart haben die Immobilienentwickler folgendes Fazit gezogen: „Die attraktivsten Stadtteile für junge Leute befinden sich vor allem im Westen des Bezirks Mitte, im Bezirk West sowie Süd. Der Kern von Bad Cannstatt bildet ein eigenes Unterzentrum.“ Vaihingen und Hohenheim, so die Urheber der Studie, seien trotz der Nähe zu den dortigen Hochschulen für junge Menschen wenig attraktiv.

Die Anziehungskraft der einzelnen Stadtteile basiert nach den Methoden der Studienmacher auf einem eigens erstellten Katalog von 37 verschiedenen Kriterien. Die Nachfrage und das Angebot auf dem Feld der Wohngemeinschaften spielt ebenso eine Rolle wie der Wanderungssaldo, der Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung im Quartier, die Anzahl der Einpersonenhaushalte, die Höhe der Angebotsmieten oder die Dichte gastonomischer Betriebe im Stadtteil. Die Kriterien werden dann mit Zahlen gespeist – diese stammen teils von den Statistischen Ämtern der jeweiligen Städte, teils aus Immobilienportalen im Netz. Im Stuttgarter Rathaus wird die Studie daher auch als „höchst interessante PR-Nummer“ bezeichnet.

Ergebnisse „wenig nachvollziehbar“

„Eine Umfrage zur Abstützung der rein aus statistischen Kennzahlen hergeleiteten Bewertung wäre sicherlich sinnvoll gewesen“, heißt es hinter vorgehaltener Hand im Rathaus. Einige Ergebnisse der Untersuchung werden zudem als „wenig nachvollziehbar“ bezeichnet. Die Stadtteile können auf der Bewertungsgrundlage der GBI maximal 100 Punkte erreichen. Dass Untertürkheim mit 66,5 Punkten und Vaihingen-Mitte mit 61,5 Punkten demnach mehr als doppelt so attraktiv sein sollen wie etwa Degerloch mit lediglich 30,5 Punkten, sorgt zum Beispiel für Verwirrung.

Vergleicht man, wo die angeblich attraktiven Stadtteile beim Anteil der jungen Bevölkerung tatsächlich liegen, tut sich schließlich eine offenkundige Lücke zwischen den Ergebnissen und der Realität auf. Das Resultat der GBI weist die Stadtteile Rotebühl, Vogelsang, Karlshöhe, Rosenberg und Seelberg als die mit der größten Anziehungskraft für junge Menschen aus. Tatsächlich liegen diese Quartiere beim Anteil der Einwohner zwischen 20 und 25 jedoch auf Rängen zwischen 32 und 46 von 152 Stuttgarter Stadtteilen. Die Gebiete mit dem tatsächlich höchsten Anteil junger Menschen sind Pfaffenwald, Hohenheim und Universität – alle in unmittelbarer Näheder Hochschulen. Ausgerechnet diese Standorte wurden im Rahmen der Studie aber als wenig attraktiv bewertet.

Wettkampf um Fachkräfte

Bei der Immobilienwirtschaft stößt die Studie hingegen auf positive Resonanz. „Es ist wichtig, hochqualitativen Wohnraum für gut ausgebildete junge Menschen zu schaffen“, sagt Peter Brenner, der Vorsitzende des Vereins Immobilienwirtschaft Stuttgart (IWS). Eine der Grundthesen der Studie hält Brenner für besonders wichtig. „Es stimmt, dass sich die Regionen im Wettstreit um die guten Köpfe befinden. Ein attraktives Wohnumfeld anzubieten, kann in diesem Kontext entscheidend sein“, so der IWS-Vorsitzende. Die GBI erklärt als eines der zentralen Ergebnisse ihrer Studie: Fachkräfte zu gewinnen, sei eine zentrale Aufgabe der Unternehmen. Speziell Betreibe zukunftsträchtiger Branchen würden sich daher gezielt dort engagieren, wo es für junge Leute attraktiv sei.

Einer der Gründe, weshalb die Studie trotz des unbestritten relevanten Themas, beispielsweise im Stuttgarter Rathaus als fragwürdig bezeichnet wird, ist der Hintergrund des Urhebers. Der Immobilienentwickler GBI ist nach eigener Aussage in den vergangenen Jahren besonders im Bau von Studentenappartements in Großstädten aktiv gewesen. Eine weitere Stellungnahme aus dem Rathaus lautet daher auch: „nicht grundsätzlich falsch aber deutlich von den eigenen Interessen geleitet.“

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