Grüne Infrastruktur, bezahlbarer Wohnraum und das Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten: Elemente des Gartenstadt-Gedankens aus der Zeit der Industriealisierung können auch in der Stadtentwicklung von heute eine Rolle spielen.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Die Ballungsräume erfahren einen brutalen Boom. Alle drängen in die Stadt, aus unterschiedlichen Gründen. Mit Grund und Boden werden unglaubliche Renditen erzielt, oft zulasten der Wohnverhältnisse. Das extrem dichte Wohnen mit wenig Grün führt zu schlechter Luft: Die Bewohner werden krank.

 

Was sich bisher als ebenso akkurate wie aktuelle Zustandsbeschreibung einer Stadt wie Stuttgart liest, spielt in Wahrheit im Zeitalter der Industrialisierung um 1900. Die lokale Landwirtschaft war nicht mehr rentabel, die Landbevölkerung drängte in die Stadt, auf der Suche nach Lohn und Brot und einem Dach über dem Kopf. Als die Städte daraufhin immer dichter und dreckiger wurden, brachte der Brite Ebenezer Howard das Modell der Gartenstadt als Lösung ins Spiel: Sie sollte die positiven Eigenschaften von Stadt und Land vereinen und das Modell der Zukunft sein.

Elemente der Gartenstadt als Lösungsansätze für den Ballungsraum von heute

Könnte die Gartenstadt aber auch eine Antwort auf die aktuellen Probleme der verdichteten Städte mit ihrem überhitzten Wohnungsmarkt sein? Zu dieser Frage referierte Bastian Wahler-Zak, Referent und Stadtplaner im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), beim Stadtentwicklungskongress der Stuttgarter Zeitung am Donnerstag.

Um seine Antwort dramaturgisch etwas ungeschickt vorwegzunehmen: „Die eine Gartenstadt des 21. Jahrhunderts gibt es nicht, dafür sind die Rahmenbedingungen zu komplex“, so Wahler-Zak. Einzelne Elemente der historischen Gartenstadt seien aber durchaus als Lösungsansätze für den Ballungsraum von heute zu gebrauchen. Um aus der Vergangenheit für die Gegenwart zu lernen, müsse der Begriff der Gartenstadt zunächst aber genauer erklärt werden. „Damit waren nicht die kleinen grünen Häuschen am Stadtrand gemeint“, sagt Bastian Wahler-Zak. Im Gegenteil, Ebenezer Howard sah in seinem stadtplanerischem Entwurf durchaus eine enge Bebauung vor – mit grünen Freiflächen.

Die Gartenstadt war nicht als Ansammlung grüner Häuschen am Stadtrand gedacht

Das Visionäre seiner Idee lag in der Struktur der Gartenstadt: Grund und Boden des Quartiers sollten nicht an Einzelne veräußert werden, sondern im Besitz der Gartenstadt bleiben. Die Wertsteigerung der Flächen sollte in die Weiterentwicklung des Quartiers investiert werden. Dazu sollten die Bereiche Arbeiten und Wohnen an einem Ort verwirklicht werden.

In Wien entsteht das größte Stadtentwicklungsprojekt Europas

In den Augen von Ebenezer Howard wurden diese Punkte am besten in Welwyn im Norden von London verwirklicht. Die vielleicht bekannteste Gartenstadt in Deutschland wurde 1912 in Hellerau fertiggestellt, einst Vorort, heute Stadtteil von Dresden. Elemente der Howard’schen Idee wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in Trabantenstädten wie dem Bremer Stadtteil Neue Vahr verwirklicht.

Wie aktuell die Überlegungen von der Gartenstadt sind, zeigt sich derzeit – wo sonst – in Wien, der Vorzeigestadt, wenn es um Städtebau geht. In einem der größten Stadtentwicklungsprojekte Europas, der Seestadt Aspern, wird ein neues Stadtquartier für 20 000 Menschen geschaffen, in dem Wohnen und Gewerbe gleichberechtigt existieren sollen. Im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung müssten die historischen Gartenstadt-Gedanken genau auf diese Art in die heutige Zeit übersetzt werden, sagt Bastian Wahler-Zak. Die Forderung nach bezahlbarem Wohnraum oder nach einer grünen Infrastruktur seien aktueller denn je, schließlich haben sich die Herausforderungen der Ballungsräume kaum verändert – siehe oben.