Stadtentwicklung Was Baden-Württemberg von Kopenhagen lernen kann

Parlamentarier informieren sich. Foto:  

Kann Kopenhagen ein Vorbild für den Städtebau in Baden-Württemberg werden? Landtagsabgeordnete haben sich in der dänischen Hauptstadt umgeschaut.

Kinder schaukeln, hüpfen auf in den Boden eingelassenen Trampolinen, Erwachsene nutzen die Mittagszeit für das Work-out. Das Ganze über den Dächern von Kopenhagen mit direktem Blick auf den Hafen. Im Luxuswohngebiet am Nordhafen nutzt die Stadt das Dach eines Parkhauses als Spiel- und Sportplatz. Und nicht nur das Dach. Schon die Außentreppe mit ihren 135 Stufen ist eine Sportanlage. Das jüngste Ergebnis für die acht Etagen zeigt 53 Sekunden an, die Stoppuhr am Fuß der Treppe wartet schon auf die nächsten ehrgeizigen Treppensteiger.

 

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Ski fahren an der Müllverbrennungsanlage

Die Herausforderung hat aus der baden-württembergischen Reisegruppe keiner angenommen, auf den Trampolinen hat sich der ein oder die andere versucht. Da hätte die Müllverbrennungsanlage die Bauministerin Nicole Razavi schon eher sportlich reizen können. Razavi ist eine begeisterte Skiläuferin. Die Anlage beliefert 90 000 Haushalte mit Wärme und Strom, allenfalls ein sehr leichtes Odeur liegt über der Eingangshalle. Vom Dach der Anlage am Stadtzentrum können Skifahrer auf einer 450-Meter-Kunstrasenpiste den Copenhill hinunterwedeln. Oder Kletterer die Außenwand der Anlage hochgehen. Der Kunstrasen hat Razavi dann doch nicht gelockt.

Vorbild im Ausprobieren

Der Ideenreichtum der Kopenhagener schon. „Wir müssen innovativer werden bei der Nutzung der raren Flächen“, sagt die Ministerin gegen Ende der Reise. Die Reisenden aus dem deutschen Südwesten erkennen auf ihrer dreitägigen Stippvisite, in Doppelnutzungen sind die Dänen gut. Und im Ausprobieren. In Kopenhagen ist der Landtagsausschuss für Landesentwicklung und Wohnen unterwegs – zusammen mit der Ministerin Razavi (CDU) und Staatssekretärin Andrea Lindlohr (Grüne) suchen sie Anregungen zum Städtebau, zu Smart Citys und auch zum sozialen Wohnungsbau.

Man muss sich auch mal was trauen, nehmen die Landtagsabgeordneten mit. Bei manchem Projekt winken sie von vorneherein ab. Christine Neumann-Martin (CDU) sieht auf dem Spielplatz auf dem Parkhausdach schon die deutschen Bedenkenträger sich aufstellen und raunt „Genehmigungsprobleme“. Andrea Lindlohr sagt: „Die Müllverbrennungsanlage wäre bei uns viel zu nah am Wohngebiet.“

Auf der Suche nach Bausteinen für die Zukunft

Die Containerhäuschen am Hafen als Studentenwohnung mit Aussicht sind da schon eher was. Aber auch da weiß Razavi von Genehmigungsproblemen bei ähnlichen Vorhaben im Südwesten. Hans-Jürgen Goßner (AfD) findet die Containeranlage zwar ganz nett, aber „nicht so groß, dass sie die studentische Wohnungsprobleme lösen würden“. Der Ausschuss ist aber auf der Suche nach verschiedenen Bausteinen für die verschiedenen Herausforderungen.

Neidvolle Blicke fallen bei der Fahrt durch den Hafen auf die Windräder. Von Offshore-Anlagen können die Baden-Württemberger nur träumen. Bei Radverkehr ließe sich jedoch etwas machen. In Kopenhagen gibt es mehr Zweiräder als Autos auf den Straßen, berichten die Experten von „State of Green“. Nicht etwa, weil Radeln gesünder oder billiger wäre. Nein, überzeugend wirkt: Es ist schneller und einfacher.

Vom Glück der schönen Häuser

Die Architektur in der Unesco-Welthauptstadt der Architektur im Jahr 2023 ist auch so ein Faktor. „Wir sind das glücklichste Volk Europas, weil wir schöne Häuser haben“, schmunzelt der Stadtführer Jörn Madsen. Schöne Häuser haben sie, zum Beispiel im Sanierungsgebiet Nordhavn. Aber auch teure. Auf 5000 Euro kann sich die Miete schon mal belaufen.

Dazwischen ist sozialer Wohnungsbau versteckt. „Wenn anspruchsvoll gebaut wird, wenn sich Substanzen und Formen abwechseln, ist die Dichte nicht so problematisch“, nimmt Daniel Born (SPD) von der Reise mit nach Hause. Er sieht durch den Besuch der Domea, die sich dem sozialen Wohnungsbau verschrieben hat, die Auffassung der SPD bestätigt, dass Baden-Württemberg eine Landeswohnungsbaugesellschaft brauche, um den gewaltigen Anforderungen an den Wohnungsbau gerecht werden zu können.

Der Mensch soll in den Mittelpunkt rücken

Cindy Holmberg (Grüne) hat es vor allem die Schwammstadt angetan. Im Stadtteil Carlsberg gibt es vor jedem Häuschen ein Regenrückhaltebecken für die immer häufiger auftretenden Starkregenfälle. Die einen sind begrünt, andere werden als Bolzplatz genutzt. „Das kenne ich so bei uns nicht“, räumt Erik Schweickert (FDP) ein. Zu sehen, wie man „Probleme mit Kreativität lösen kann, das hat sich gelohnt“.

Aus welchem Blickwinkel die Abgeordneten die Stadt auch betrachten, eins hat sie alle überzeugt: „Der Mensch steht im Mittelpunkt der Planungen“, sagt Holmberg. Das haben die Stadtentwickler des Büros Gehl vorgetragen. Der Besuch dort hat sich für die Ausschussvorsitzende Christiane Staab (CDU) zu „einem der Höhepunkte der Reise“ entwickelt. „Man muss die fragen, die die Gebiete später nutzen sollen“, nimmt sie mit nach Stuttgart.

Abgeordnete wollen „den Spirit weitertragen“

Rasmus Duong-Grunnet vom Büro Gehl hat die Gäste mit der Erkenntnis überrascht, dass in der Fußgängerzone von Wolfsburg nicht etwa der Einzelhandel die Hauptrolle bei den Nutzern spiele, sondern Essen und Trinken. Das müsse bei der Stadtentwicklung ebenso berücksichtigt werden wie die Tatsache, dass ein Viertel der Passanten Schüler nahe gelegener Schulen seien. „Der Mensch als Ausgangspunkt, das bestätigt uns in unserer Städtebauförderung“, sagt Razavi. Das Büro Gehl ist für die Internationale Bauausstellung 2027 in der Region Stuttgart engagiert. Die Ministerin will „weitere Gespräche führen“. Reisen bildet auch die Mitglieder eines neuen Ausschusses und eines neuen Ministeriums. „Hier herrscht eine Kultur des Ermöglichens. Man muss Kreativität auch zulassen“, bilanziert Cindy Holmberg und verspricht: „Wir werden den Spirit weitertragen.“

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