Eine Nürtinger Themenführung schildert, wie früher gelebt, gearbeitet und für Ordnung gesorgt worden ist. Dabei ist es nicht zimperlich zugegangen.

Nürtingen - Hat der Nürtinger Stadtschreiber im Jahr 1750 den verheerenden Stadtbrand verursacht, bei dem 133 Häuser eingeäschert wurden? Die Frage ist bis heute nicht beantwortet, doch hätte ihn die Gerichtsbarkeit damals überführen können, dann hätte ihn der Stadtknecht in den Gefängnisturm gesperrt, erklärt der Stadtführer Wolfgang Dietz-Gabriel, der für diese Themenführung just in die Rolle jenes Mannes geschlüpft ist, der auch als Büttel bezeichnet worden ist.

 

Mangels Beweisen wird der Stadtschreiber freigesprochen

Der Brand-Anekdote zufolge hatte eine Magd zunächst ausgesagt, der Schreiber sei spätabends eingenickt und habe dabei eine brennende Kerze umgestoßen. Begünstigt durch einen heftigen Wind fraß sich das Feuer von Dach zu Dach, und das Verhängnis nahm seinen Lauf. Später, vor Gericht, zog die Magd ihre Aussage zurück. Mangels Beweisen war der Schreiber da aus dem Schneider: „Er ist freigesprochen worden“, sagt der Stadtknecht Dietz-Gabriel zu den rund 20 Teilnehmern bei dem Rundgang durch die Nürtinger Altstadt.

Die Daumenschrauben blieben dem Schreiber ebenso erspart wie ein Aufenthalt im Gefängnisturm. Dafür macht die Besuchergruppe einen Abstecher zum heutigen Blockturm, um eine leise Ahnung davon zu bekommen, wie sich Insassen dort gefühlt haben müssen. Manchmal waren in diesem Teil der mittelalterlichen Stadtbefestigung auf engem Raum bis zu 20 Personen eingepfercht. Zu den möglichen Missetaten zählte auch, die Kirche geschwänzt und am Sonntag gearbeitet zu haben.

Wer am Mehl spart, dem droht die „Bäckertaufe“

Viel ist bei der Führung die Rede von Verfehlungen und den daraus resultierenden Folgen. Ein Bäcker beispielsweise, dessen Brot einst beim Wiegen nicht das angegebene Gewicht erreichte, hatte nichts zu lachen. Ihm drohte ein Käfig mit Schwenkarm, in dem er im Neckar untergetunkt wurde. Der Stadtknecht musste darüber wachen, dass der Bäcker bei dieser Prozedur nicht ertrinkt. Andernfalls hätte er selber ein Problem gehabt, klärt Wolfgang Dietz-Gabriel die Teilnehmer der Führung auf: „Der Bäcker hat die ,Bäckertaufe‘ überlebt, aber einen Denkzettel bekommen.“

Ein anderes Beispiel: Manch ein Metzger sah sich versucht, Gammelfleisch im Löschwasser des Marktbrunnens am Rathaus optisch wieder aufzufrischen. „Wenn der Stadtknecht das gesehen hat, dann ging’s gleich mal an den Pranger“, beschreibt Wolfgang Dietz-Gabriel die erniedrigende Konsequenz einer solch verbotenen Handlung.

Der Stadtknecht gehört der niedrigen sozialen Schicht an

Kreuzkirche, Blockturm, Rathaus, der einstige Standort des abgerissenen Schlosses – das sind Stationen dieser Führung, die auch Einblicke in das frühere gesellschaftliche Standeswesen gibt. Fürstenwitwe, Vogt, Pfarrer, Arzt, Kaufleute und übrigens auch der Stadtschreiber („Nichts wächst so schnell wie ein Kürbis auf der Miste, außer der Bauche eines Stadtschreibers“) – sie alle zählten zur sogenannten Ehrbarkeit, deren Sprösslinge die, so Wolfgang Dietz-Gabriel, „sauteure“ Lateinschule besuchen durften. Auf der anderen Seite die Handwerker und Bauern.

Zwar war der Stadtknecht der verlängerte Arm des Vogts und des Gerichts, der für Ordnung sorgte. Doch zählte auch er zu den armen Schluckern. Er machte den Job zusätzlich, um sein karges Dasein aufzubessern, das er etwa als Schuster oder Bauer fristete.