Zahlreiche Persönlichkeiten haben die Arbeit im Stuttgarter Rathaus geprägt – die StZ stellt sie vor. Heute: der Demokrat Karl Lautenschlager und der Nationalsozialist Karl Strölin.

Stuttgart - Zwei Männer, die noch im 19. Jahrhundert geboren waren, prägten an der Spitze des Rathauses die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts: Der integre Demokrat Karl Lautenschlager, Jahrgang 1868, und der stramme Nationalsozialist Karl Strölin, Jahrgang 1890. Der eine führte seine Stadt und ihre Bürger mit Vernunft und Weitsicht durch die schwierige Zeit des Ersten Weltkriegs, dessen Ausbruch man auch in Stuttgart zunächst enthusiastisch begrüßt und gefeiert hatte, später durch die vermeintlich so goldenen zwanziger Jahre. Der andere war zu keiner Zeit demokratisch legitimiert, verdankte seine Rolle vielmehr der Machtübernahme Hitlers am 30. Januar 1933. Zwei Politiker, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Ihre Amtszeiten gelten als herausragend: im Positiven wie im Negativen.

 

Karl Lautenschlager – 1911 bis 1933

Am 12. Mai 1911 wurde der Staats- und Rechtswissenschaftler Karl Lautenschlager, Kandidat der Konservativen und Nationalliberalen, mit 13 154 Stimmen zum Nachfolger des zurückgetretenen Heinrich von Gauß gewählt. Stichwahlen gab es noch nicht, wer am Wahltag die meisten Stimmen bekam, zog ins höchste Amt der Stadt ein. 1921, die Frauen waren erstmals wahlberechtigt, und 1931 wurde der beliebte Lautenschlager wiedergewählt. Stuttgart war seit 1911 von 290 000 auf mehr als 400 000 Einwohner angewachsen.

Lautenschlager hat die Stadt geprägt

Karl Lautenschlager steht für eine Fülle kommunalpolitischer Projekte, die Stuttgart bis heute prägen: Der Bau des Hauptbahnhofes und der Weißenhofsiedlung, des Tagblatt-Turmes, des Neckarkanals und der Ausfallstraßen. Lautenschlager schuf die Struktur der Stadtverwaltung, wie sie bis heute besteht, er stärkte die Technischen Werke und die Stuttgarter Straßenbahn, kaufte die Villa Berg für die städtische Kunstsammlung, baute das Bäderwesen aus und bekämpfte die akute Wohnungsnot. Obertürkheim, Hedelfingen, Kaltental, Botnang, Hofen und Zuffenhausen wurden eingemeindet. Um nur das Wichtigste zu nennen.

Unverschuldet wurde Lautenschlager zur tragischen Figur: Nach 22 Amtsjahren stand er im Frühjahr 1933 auf der Straße, die Nazis hatten ihn kaltblütig aus dem Amt gedrängt. Zwar durfte er Vorstandsvorsitzender der Straßenbahn bleiben, wurde aber mittellos, verlor sein Haus bei einem der vielen Bombenangriffe im Sommer 1944. Als der Krieg im Mai 1945 zu Ende ging, war Lautenschlager 77 Jahre alt. Am 21. September 1945 erhielt er in einer schlichten Zeremonie die verdiente Würde eines Ehrenbürgers; der neue OB Arnulf Klett hatte dafür gesorgt. Im Dezember 1952 starb Lautenschlager nach längerer Krankheit. Bis heute pflegt die Stadt sein Ehrengrab auf dem Waldfriedhof.

Karl Strölin – 1933 bis 1945

Strölin übernahm die Macht im Rathaus

An diesem Oberbürgermeister scheiden sich die Geister. Die einen sehen in dem ehemaligen Berufssoldaten einen eiskalten Karrieristen der Nazizeit, der selbst nach 1945 keinerlei Reue oder gar Anteilnahme für die Opfer zeigte, auch nicht für die so schändlich ermordeten Juden. Die anderen halten ihm zugute, dass er – wohl früher als die meisten anderen – 1944 die ausweglose Lage erkannte und Kontakte knüpfte zum Leipziger OB Carl Goerdeler, einem Kopf des Widerstandes und des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944.

Unstrittig ist, dass Strölin im April 1945, von namhaften Bürgern wie dem Industriellen Otto Fahr heftig gedrängt, das fast völlig zerstörte Stuttgart kampflos an die Franzosen übergab. Unstrittig ist aber auch, dass Strölin 1931 die letzte demokratische OB-Wahl vor dem „Tausendjährigen Reich“ haushoch verlor gegen Karl Lautenschlager – was ihn und seine NS-Mitstreiter nicht daran hinderte, 1933 knallhart die Macht im Rathaus zu übernehmen. Der vom Volk gewählte Gemeinderat wurde praktisch abserviert, die Sozialdemokraten sofort verfolgt. Zugleich holten die Nazis 800 ihrer Parteigenossen in die Stuttgarter Stadtverwaltung.

Später reiste Strölin mehrfach nach Berlin, um bei Hitler vorstellig zu werden; selbst dem „Führer“ und seiner Entourage soll er heftig auf die Nerven gegangen sein. Um ihn endlich loszuwerden, willigte man ein, Stuttgart das völkische Prädikat „Stadt der Auslandsdeutschen“ zu verleihen. Nach dem Krieg stritt Strölin vor Gericht um seine Pension; seiner Ansicht nach hatten Hitler und seine Schergen eine für sich genommen richtige politische Idee „nur“ verraten. Strölin starb, bis zuletzt uneinsichtig, im Januar 1963. An seinem Grab standen Vertreter des rechten Kyffhäuserbundes und anderer Soldatenverbände. Ein Offizier der neuen Bundeswehr trug das Ordenskissen.

Die bisher erschienen Folgen finden Sie auf unseren Seiten zur OB-Wahl.