Schmuckstücke oder Schandflecke – Planer entscheiden darüber, wie Plätze, Quartiere oder Straßenzüge aussehen. Wir stellen Beispiele moderner Stadtgestaltung in der Region vor: die bejahrte Fußgängerzone Göppinger Bleichstraße.

Göppingen - Ja, ja, die Göppinger Bleichstraße. Der Name scheint heute Programm, denn der Glanz der siebziger Jahre, der die einstige Vorzeige-Fußgängerzone auszeichnete, ist längst verblichen. Die Aufenthaltsqualität in dem Karree hat in den vergangenen Jahrzehnten rapide abgenommen. Immerhin stammt der städtebauliche Akzent aus einer Zeit, in welcher der Titel „Fußgängerzone“ noch für modernsten Städtebau stand und die Menschen damit Flaniermeilen, Einkaufsplazas und Freiluftcafé-Vergnügen in Verbindung brachten.

 

Die Bleichstraße in Göppingen, das war bis Anfang der siebziger Jahre nicht mehr als ein Industriequartier, allerdings mit einem der beiden ersten Supermärkte am Ort, dem Nanz, von 1970 an sogar als Kaufhaus Orion (heute Frey-Center). „Dann kam der große Wurf“, erinnert sich der Göppinger Stadtarchivar Karl-Heinz Rueß. In der Bleichstraße sollte endlich gebaut werden, woran es der Stadt bis dahin fehlte: große Kaufhäuser. Dafür wurden zunächst einmal die dort ansässigen Unternehmen, darunter die Traditionsfirma Holzspielwaren Schmohl, in das neue Industriegebiet Ost umgesiedelt. Dann war Platz für einen Kaufhof, einen C&A, einen Schlecker-Markt und diverse kleinere Boutiquen drumherum.

Ein Konzept, das nicht aufging

Aufgerüstet wurde das Quartier am Westrand auch mit Wohntürmen und – eine Idee, die leider nie ganz aufging – einer Ladengalerie über dem Erdgeschoss. Letztere dümpelte von Beginn an mit Leerständen und Hinterhofcharme vor sich hin. Friseursalons, Jeans-Stores oder Videoverleihe fristeten gewissermaßen in der zweiten Reihe ein kärgliches Dasein, allenfalls den Sexshops war die verborgene Ladenzeile willkommen.

„Diese Flanierzeile ist das Überbleibsel eines großen Entwurfs“, klärt Karl Heinz Rueß auf. Tatsächlich habe es Pläne gegeben, den Schillerplatz am Westende der Innenstadt mit dem Ostende, der Bleichstraße, über eine Flanierzone in der ersten Etage zu verbinden. Alles Ebenerdige sollte dem fließenden und ruhenden Verkehr vorbehalten sein. Darüber, im ersten Stock, sollten die Leute gemütlich und ungestört bummeln können. „Das war wohl zu hoch gegriffen und hat sich nicht durchgesetzt“, sagt Karl-Heinz Rueß.

Abgesehen von diesem Fehlgriff: Die erste Göppinger Fußgängerzone Bleichstraße protzte bei ihrer Eröffnung im Jahr 1976 unter anderem mit einem Hotdog-Stand, einem Eiscafé – und vielen kleinen Ecken, zwischen denen sich eigentlich gut bummeln lassen sollte. Doch auch dieses Konzept ging nach hinten los. Die Ecken in den Schluchten der Konsumtempel erwiesen sich bald als sehr zugig. Und viele verborgene Winkel wirkten schmuddelig.

Vom Vorzeigequartier zum Problemviertel

Anfang der neunziger Jahre galt die Bleichstraße daher bereits als Problemviertel mit hohem Sanierungsbedarf. Doch dann folgte der nächste große Wurf. Die Göppinger Wohnbaugesellschaft nahm sich gemeinsam mit dem Kino-Unternehmer Huttenlocher der Möbelzentrale westlich der Bleichstraße an. Der weitgehend verwaiste Betonklotz des Kaufhauses Frey im Norden des Quartiers, in den weder das Finanzamt noch eine Bank oder gar ein Hotel einziehen wollten, wurde von den Eigentümern teuer erweitert, und auch der Kaufhof schloss sich der Modernisierung mit einem Lifting seiner Fassade an. Sogar die Eigentümergemeinschaft der Hochhäuser Staufencenter ließ sich nicht lumpen und investierte in neue Pflastersteine, so dass schließlich auch die Stadt ihrer einstigen Vorzeige-Fußgängerzone eine Verschönerungskur verordnete. Das Ganze wurde vor 20 Jahren als Musterbeispiel einer Stadtsanierung gefeiert, die von öffentlichen und privaten Investoren gemeinsam getragen wurde.

„Dennoch blieb das Quartier immer vom Rest der Innenstadt abgehängt“, konstatiert Karl-Heinz Rueß. Ein richtiger Austausch der Kundenströme vom Schillerplatz bis zur Bleichstraße gelang nicht. Dabei hatten die Ladeninhaber anfangs noch gehofft, dass auch der Wochenmarkt zu ihnen umgesiedelt werde. Der aber fand am andern Ende der Kernstadt, am Schillerplatz, eine neue Heimat.

So verpufften auch die Millioneninvestitionen der 90er Jahre viel rascher als gedacht. Das Frey-Center füllte sich nicht wie erhofft mit Leben, C&A und Kaufhof zehren weiterhin vor allem vom alten Glanz. Vor zehn Jahren, zum Höhepunkt der Diskussionen über den Standort eines neuen Einkaufszentrums in Göppingen, witterte die Familie Schenavsky, Eigentümer des Frey-Centers, ihre Chance: Nach vielen Aufs und Abs ist jetzt, kurz vor Weihnachten, die Baugenehmigung für das Einkaufszentrum namens Staufen-Galerie, das dem Quartier anstelle des Frey-Centers und des Kaufhofs neuen Schwung geben soll, erteilt worden. In den nächsten Wochen sollen die Abbrucharbeiten beginnen. Bleibt zu hoffen, dass diesmal der große Wurf von Dauer ist.

Erste Mieter in der neuen Staufen-Galerie stehen fest

Neubau
90 Millionen Euro investieren die Bauherren Simon Schenavsky, Stefan Zimmermann und Matthias Schmitz in das neue Quartier. Das Konzept basiert nach langer Planungszeit und komplizierten Grundstücksverhandlungen auf Überlegungen aus dem Jahr 2006. Das komplette Frey-Center, der Kaufhof und dessen Parkhaus sollen abgerissen werden. Es entstehen dann 22 000 Quadratmeter Verkaufsfläche auf drei Shopping-Etagen und 700 Autostellplätze auf vier Parkdecks.

Mieter
Der Kaufhof gilt als gesetzt. Als weitere Ankermieter sollen ein Media-Markt 850 Quadratmeter Fläche und das Mode-Unternehmen Kult dem Vernehmen nach rund 1000 Quadratmeter der Verkaufsfläche einnehmen. Als weitere Anwärter auf einen Platz gelten die Schuhhändler Deichmann und Görtz, der Drogerist dm und Depot. non