Serie (4):
Schmuckstücke oder Schandflecke – Planer entscheiden darüber, wie Plätze, Quartiere oder Straßenzüge aussehen. Wir stellen Beispiele moderner Stadtgestaltung in der Region vor. Heute: das Salamander-Areal in Kornwestheim.

Kornwestheim - Heinz Skrzipietz kommt aus dem Staunen nicht heraus. „Ist ja irre“, sagt der 84-Jährige, als er sieht, wie weit die Bauarbeiten für den neuen Supermarkt und 121 Wohnungen fortgeschritten sind und welche Ausmaße das Neubauprojekt annimmt. „Donnerwetter“, entfährt es ihm, als er hinter das lang gezogene Fabrikgebäude schaut und die acht Mehrfamilienhäuser mit Eigentumswohnungen sieht – genau dort, wo sich einst das Hochregallager der Schuhfabrik Salamander befand. „Hier war ich noch nie“, gesteht der Kornwestheimer, der am anderen Ende der Stadt wohnt und allenfalls zum Schuhkauf an seine frühere Wirkungsstätte – Skrzipietz war von 1974 bis 1991 Pressesprecher bei Salamander – zurückkehrt. Karin Rüffel (76) überraschen die Entwicklungen weniger. Sie wohnt im Schatten des Salamander-Werks und verfolgt die Veränderungen in ihrer Nachbarschaft Tag für Tag. Es sei gut, dass auf dem Areal wieder Leben einkehre und dass Arbeitsplätze entstünden. „Je mehr, umso besser“, sagt die einstige Werkschwester und spätere Betriebsratsvorsitzende von Salamander, die den Niedergang des Unternehmens hautnah miterlebt hat.

 

Areal wird vielseitig genutzt

Viele Jahre standen die riesigen Werkhallen und ein Teil der Büros auf dem 41 000 Quadratmeter großen Salamander-Areal leer. Ja, sagt Karin Rüffel, sie habe große Angst gehabt, dass es eine Industriebrache bleibe. So wie in der Pfalz, wo es nicht überall gelungen sei, die Produktionsstandorte von Schuhen wieder zu beleben. Mehrere Unternehmen waren daran gescheitert, das Areal in Kornwestheim zu vermarkten. Das gelang erst der Immovation AG aus Kassel, die vor sieben Jahren Grundstück und Häuser erwarb, einen Nutzungsmix aus Dienstleistung und Wohnen erstellte und Mieter um Mieter an Land zog – große wie zum Beispiel das Land Baden-Württemberg, das sein Grundbuchzentralarchiv in den einstigen Werkhallen für Schuhe einrichtete, aber auch kleine Unternehmen, die nur ein paar Büros gemietet haben. Gut drei Viertel der Gebäudefläche werden gewerblich genutzt, 255 Wohnungen sind bereits errichtet worden oder derzeit als Ergänzung zum Bestehenden im Bau. „Der Charakter dieses Industriedenkmals mit seiner markanten Fassade ist nicht jedermanns Geschmack“, heißt es bei Immovation. „Umgekehrt hat gerade diese klare Struktur mit den großen Fenstern auch viele Liebhaber, so dass sich für die Vermietung oder den Verkauf keine spürbaren Schwierigkeiten ergeben haben.“ Zu den Mietern gehört, welch eine Ironie, Salamander, das sein Schuhgeschäft allen Veränderungen zum Trotz Fabrikverkauf nennt. Produziert wird in Kornwestheim aber schon lange nicht mehr. Die Salamander GmbH selbst hat ihren Sitz im nordrhein-westfälischen Langenfeld.

Salamander fehlt dem einen oder anderen im Stadtbild

„Hier war unser Patientenzimmer“, erklärt Karin Rüffel beim Rundgang übers Areal. Der einstige Eingang ist noch zu erkennen, aber mittlerweile zugemauert. Wer durchs Fenster schaut, sieht edle Badezimmer, die der Sanitärgroßhändler Gienger in dem Fabrikgebäude ausstellt. Einige Meter weiter befindet sich der Zugang zum Gebäudekomplex mit den Loftwohnungen. Richtung Norden fahren die Lastwagen vor und bringen die Grundbücher aus dem Land nach Kornwestheim. Sie werden hier digitalisiert und archiviert. Es ist ein Kommen und Gehen. „Aber das war es ja immer“, sagt Heinz Skrzipietz.

Überfällt die beiden Salamander-Urgesteine Wehmut angesichts des Wandels auf dem Areal? Nein. „Wir müssen uns damit abfinden“, antwortet Karin Rüffel. Ihr Mann, der Schuhmacher gelernt und später als Kommandant der Werkfeuerwehr gearbeitet habe, empfinde die Veränderungen als dramatisch, erzählt sie. Sie widerspreche ihm aber. Ein Drama sei es gewesen, wie die nach dem Verkauf des Unternehmens regelmäßig wechselnden Chefs die Firma vor die Wand gefahren hätten. Die Produktion, berichtet die frühere Betriebsratsvorsitzende, hätte nicht gehalten werden können. Aber dass außer einem Schuhgeschäft gar nichts mehr von Salamander in Kornwestheim ist, das tut der 76-Jährigen weh.

Auf der Suche nach Gastronomen

Was sie nicht daran hindert, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Ein Restaurant, das fehle noch. Bis vor sechs Jahren gab’s eins, das allerdings musste Insolvenz anmelden. 1500 Menschen arbeiten mittlerweile auf dem Areal, rund 500 werden einmal dort leben, wenn alle Wohnungen fertiggestellt sind – das müsse sich doch rechnen für einen Gastronomen, sagt Rüffel. Und wenn der noch schwäbische Küche anbietet, dann kann sich auch der gebürtige Ostwestfale Heinz Skrzipietz vorstellen, nicht nur zum Schuhkauf vorbeizuschauen. „Wenn alles einmal fertig ist, wird aber nichts mehr an die alten Zeiten erinnern“, sagt Rüffel ohne jede Verbitterung.

Soll dann auch der große, grüne Schriftzug vom Salamander-Gebäude entfernt werden, damit nicht Etikettenschwindel betrieben wird? Karin Rüffel schüttelt energisch mit dem Kopf. „Man darf nicht vergessen, wo man herkommt.“

Fabrik erreichte 1967 ihren Zenit

Nutzung
Künftig wird das Areal zu 77 Prozent gewerblich genutzt, Wohnflächen befinden sich auf 23 Prozent. Die größten Mieter sind das Grundbuchzentralarchiv Baden-Württemberg, der Salamander-Fabrikverkauf, Rewe, die Krankenkasse mhplus, Alcatel-Lucent Enterprise, ADP Employer Services und Roche PVT.

Geschichte Mit 23 Jahren macht sich Jakob Sigle im Jahr 1885 als Schuhmacher in Kornwestheim selbstständig. 1891 gewinnt er den Stuttgarter Handelsvertreter Max Levi als Partner. In kurzer Zeit wächst die junge Firma. Die Entwicklung von Salamander erreichte 1967 ihren Höhepunkt. Das international agierende Unternehmen beschäftigt 17 800 Mitarbeiter und produziert 13,5 Millionen Paar Schuhe. ww