Schmuckstücke oder Schandflecke – Planer entscheiden darüber, wie Plätze, Quartiere oder Straßenzüge aussehen. Wir stellen Beispiele moderner Stadtgestaltung in der Region vor. Heute: der graue Kornhausplatz in Göppingen soll grün werden.

Göppingen - Wer zurzeit über den Kornhausplatz in Göppingen läuft, kann nicht viel Positives entdecken. So geht es auch dem Landschaftsgärtner Martin Jeutter. Zwar steht das Schmuckkästchen Stadtbibliothek am Rand des Platzes, doch der historische Fachwerkbau geht unter im tristen Grau der Pflastersteine und der Fassade des Parkhauses Friedrichstraße, das die Ostseite des Platzes begrenzt. „Schön ist das nicht“, sagt Jeutter und blickt die Fassade empor. Da helfen auch die Blauregen nicht, die sich jetzt struppig und vertrocknet an der Fassade hochquälen. Im Sommer bringen sie einen grünen Tupfer an die Wand, aber das Grau dominiert auch dann. „Und wenn es heiß ist, glüht der Platz förmlich“, sagt Jeutter.

 

Doch bald soll alles anders werden: In diesem Jahr bekommt der Kornhausplatz für 1,4 Millionen Euro ein neues Gesicht. Das vielleicht wichtigste Detail der Neugestaltung steht bisher allerdings nur auf dem Wunschzettel der Stadtverwaltung und vieler Gemeinderäte: Das unansehnliche Parkhaus soll komplett hinter einer Wand aus Pflanzen verschwinden, die den öden Platz in lebendiges Grün tauchen und nebenbei die brütende Hitze auf dem Pflaster im Sommer mildern sowie einen Teil der Abgase aus dem Parkhaus schlucken.

Viele Forscher befassen sich mit dem vertikalen Grün

Das sogenannte vertikale Grün ist der neue Trend der Stadtgestaltung und Thema vieler Forschungsarbeiten: In Stuttgart experimentiert man mit Moosen, die helfen sollen, das Feinstaubproblem zu lösen. In Fellbach und Waiblingen will man je ein komplett begrüntes Hochhaus bauen. Das Waiblinger Projekt ist noch in der Planungsphase, am Gewa-Tower in Fellbach ruhen die Arbeiten derzeit wegen der Insolvenz des Investors. Der Insolvenzverwalter will das Projekt aber mit neuen Investoren retten. In Ludwigsburg hat die Stadt im Rahmen eines Forschungsprojekts ein grünes Zimmer auf dem Rathausplatz gebaut. Nun untersuchen Experten, wie sich die grünen Wände auf das Mikroklima des Platzes auswirken.

Auch in Göppingen arbeitet die Stadt mit Forschern zusammen. Sie hat als Kooperationspartner das Institut für nachhaltige Landschaftsarchitektur der Hochschule Nürtingen gewonnen. Geführt von dem freien Landschaftsarchitekten Professor Siegfried Knoll forschen Experten und Studenten dort seit Jahren an Möglichkeiten, die Auswirkungen des Klimawandels in den Städten durch raffinierte Begrünungskonzepte abzumildern.

Begehbare Terrassen mit Pflanzen statt der grauen Wand?

Im Januar beginnt das Institut, Pläne für die grüne Wand in Göppingen zu entwickeln. Arbeitsgruppen aus Mitarbeitern des städtischen Bauamts und Forschern der Hochschule haben bereits gemeinsam überlegt, wie die grüne Zukunft des Kornhausplatzes konkret aussehen könnte. Die Überlegungen reichen von einer einfachen begrünten Wand bis hin zu einem komplizierten Konstrukt mit kleinen begehbaren Terrassen zwischen den vielen Pflanzen.

Nach dem Bau wollen die Forscher das Projekt noch fünf Jahre begleiten und regelmäßig messen, wie sich die Pflanzen auf das Mikroklima auf dem Platz, die Luftfeuchtigkeit, die Temperatur und den Schadstoffgehalt auswirken. Schon in diesem Jahr werden die Mitarbeiter des Instituts mit den Messungen beginnen, um später Vergleichsdaten zu haben.

Ob die Pläne tatsächlich Wirklichkeit werden, muss der Gemeinderat aber erst noch entscheiden. Vermutlich wird bei der Entscheidung auch die Frage der Finanzierung eine große Rolle spielen. Denn zum einen wird das Projekt nicht billig, zum anderen wird die Pflege und Bewässerung der grünen Wand auch laufende Kosten verursachen. Der Göppinger Baubürgermeister Helmut Renftle und der Institutsleiter Siegfried Knoll suchen deshalb zurzeit nach Fördertöpfen für das Vorhaben.

Grüne Plätze kommen bei Bürgern gut an

Bei dem Landschaftsgärtner Jeutter kommen die bisherigen Überlegungen gut an. „Eine grüne Wand würde auf jeden Fall viel mehr Leben auf den Platz bringen“, sagt Jeutter. Genau solche Visionen hätten der Stadt in den vergangenen Jahrzehnten gefehlt. „Da hat man sich zu sehr für Themen wie Wirtschaft und Arbeitsplätze interessiert und das Lebensgefühl oft vergessen“, sagt er. Jeutter ist sicher, dass ein grüner Kornhausplatz bei den Bürgern mindestens genauso gut ankommen würde wie der neue Schlossplatz, der sich nach einer Neugestaltung im vergangenen Jahr an lauen Sommerabenden zum Treffpunkt Nummer eins in der Stadt entwickelt hat.

Besonders gut gefällt Jeutter die Idee mit der begehbaren grünen Wand. „Das würde aus landschaftsplanerischer Sicht auch wunderbar die hügelige Umgebung der Stadt widerspiegeln“, sagt er. Dass eine solche Begrünung auch aus klimatischer Sicht Vorteile bringe, stehe außer Frage. Überhaupt sei inzwischen bekannt, dass viele grüne Inseln in einer Stadt mehr bewirkten als ein einzelner größerer Park.

„Allerdings“, so schränkt Jeutter ein, „darf man sich natürlich nicht der Illusion hingeben, dass die Klimabilanz einer solchen Wand automatisch positiv ausfällt.“ In aller Regel werde für den Bau und die Pflege so viel Energie benötigt, dass die Pflanzen dies später kaum noch ausgleichen könnten. Doch für ein besonderes Projekt für einen besonderen Platz, dürfe man schließlich auch mal etwas mehr Energie verbrauchen, findet er.

„Die beste Möglichkeit, die künftige Erwärmung der Innenstädte abzumildern.“

Das sieht auch der Landschaftsarchitekt Knoll so. „Wir brauchen Beispiele, um das Thema vertikales Grün ins Bewusstsein der Menschen zu bringen“, sagt er. Denn gerade für Innenstädte sei die Begrünung die einzige Möglichkeit, die künftige Erwärmung abzumildern. Zur Verdeutlichung nennt er ein einfaches Beispiel: „Stellen Sie sich einfach vor, Sie stehen im Sommer um die Mittagszeit auf einem komplett mit Pflanzen bewachsenen Balkon – und dann stellen Sie sich vor, Sie stehen auf dem gleichen Balkon ohne Pflanzen.“

Dass Pflanzen zum einen das Klima in der Innenstadt verbessern und zudem die Lebensfreude der Bürger heben, ist auch im Bauamt längst angekommen. Das Projekt am Kornhausplatz könnte der Auftakt für noch mehr Grün werden. Ein neues Konzept für die Entwicklung der Innenstadt sieht jedenfalls vor, künftig bei allen Projekten zu prüfen, ob sich auch Bäume und andere Pflanzen integrieren lassen.


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