Schmuckstücke oder Schandflecke – Planer entscheiden darüber, wie Plätze, Quartiere oder Straßenzüge aussehen. Wir stellen Beispiele moderner Stadtgestaltung in der Region vor. Heute: der Bürgerpark in Weinstadt.

Weinstadt - Generationen von Mitarbeitern im Weinstädter Stadtplanungsamt haben sich schon mit ihr beschäftigt: der Grünen Mitte. Sie soll die bei der Gebietsreform Anfang der 1970er Jahre zu einer Kommune zusammengewürfelten fünf Remstalgemeinden – Beutelsbach, Endersbach, Großheppach, Schnait und Strümpfelbach – verbinden, eine gemeinsame Identität stiften. „Die Idee, dass man die Fläche in der Mitte von Bebauung freihält, hat man schon gehabt, als die Orte zusammengeschlossen wurden“, berichtet Amrit Schliesing.

 

Bereits im Jahr 2004, vor Schliesingers Zeit als Leiterin des Stadtplanungsamtes, gab es dazu einen Entwurf, 2014 ging aus einem städtebaulichen Wettbewerb das Berliner Büro A24 als Sieger hervor, dessen Konzept nun umgesetzt werden soll. Es sieht ganz unterschiedliche Nutzungen auf der zwischen den Teilorten, nahe der B 29 gelegenen Grünfläche vor, die von Kreisstraßen und den Siedlungsgebieten von Endersbach und Beutelsbach in die Zange genommen wird: Gemeinschaftsgärten, Spiel- und Sportplätze, eine Streuobst- sowie eine Grill- und Picknickwiese. Zudem soll das Ufer des Schweizerbachs, eines kleinen Zuflusses der Rems, stellenweise zugänglich gemacht werden und in der Parkmitte ein Bürgerforum in Form einer Laube als Veranstaltungsort entstehen.

Noch ist von all dem wenig zu sehen. Eine öde Grünfläche ist das Gebiet, wie eine Ortsbegehung mit der Stadtplanungsamtsleiterin zeigt, dennoch nicht. Schrebergärten und Felder wechseln sich ab. Im westlichen Bereich hat ein Kreis von Ehrenamtlichen um die Weinstädterin Eva Strehl schon vor einigen Jahren einen Kräutergarten angelegt. Der Garten der Sinne ist für alle offen, und es gibt regelmäßig Veranstaltungen und Führungen. Eine Frau pflegt ehrenamtlich einen Rosengarten.

Bürger dürfen mitgestalten

All das muss für die Grüne Mitte nicht weichen, sondern soll im Gegenteil in das Projekt aufgenommen und teils ausgebaut werden. „Das ist kein Top-down-, sondern mehr ein Bottom-up-Prozess“, sagt Amrit Schliesing. „Wir bauen keinen Hochglanzpark.“ Die Grüne Mitte solle ein Bürgerpark sein, an dessen Gestaltung sich alle Weinstädter beteiligen könnten. „Wir stellen uns vor, dass es ein zwangloses Miteinander dort ist.“

Mit diesem Ansatz, die Bürger an der Umsetzung des Projekts zu beteiligen, es Stück für Stück mit ihnen weiterzuentwickeln, ist es der Weinstädter Stadtverwaltung gelungen, eine Kommission des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) davon zu überzeugen, die Grüne Mitte für ihr Forschungsprogramm Green urban Labs auszuwählen. Die 150 000 Euro an Zuschuss seien eine „Initialzündung“ , sagt Amrit Schliesing. Damit könne eine umfangreiche Bürgerbeteiligung ermöglicht werden.

Denn Kreativität ist in der finanziell klammen Stadt im Remstal nicht nur gestalterisch gefragt. Nach der ersten Ausbaustufe, in die Weinstadt eine halbe Million Euro investiert, hofft man auf einen Kostenzuschuss in Höhe von 75 Prozent aus dem Bundesprogramm Nationale Projekte des Städtebaus, um das Sechs-Millionen-Euro-Projekt vollends umsetzen zu können.

Doch was genau macht das Weinstädter Projekt für das Forschungsprogramm so interessant? „Es ist ein spannender Ansatz, über eine Grünfläche eine städtische Mitte zu kreieren“, sagt Gregor Langenbrinck, der geschäftsführende Gesellschafter von Urbanizers. Das Berliner Büro für städtische Konzepte ist vom BBSR beauftragt worden, das Weinstädter Vorhaben zu begleiten. Bei einer Besichtigung vor Ort habe er mit den Augen eines Stadtentwicklers sehr schnell erkennen können, welches Potenzial die Fläche für die städtische Struktur der zusammengewürfelten Kommune habe, berichtet Langenbrinck: „Wir sehen darin auf jeden Fall eine Chance für Weinstadt. Denn jeder Teilort hat zwar um die Kirche herum seinen Nukleuspunkt, aber es gibt nichts Verbindendes.“

Bestehende Strukturen sollen aufgenommen werden

Reizvoll finde er vor allem, dass man auf bereits bestehende Elemente, wie etwa den Kräutergarten, aufsetze. Zudem biete das Gebiet eine „spannende Mischung“ durch landwirtschaftlich genutzte Teilflächen, erklärt der Stadtentwickler: „Es gibt eine Verzahnung unterschiedlicher Themen, welche die Stadt beschäftigen.“ Interessant sei auch die Möglichkeit, die Bevölkerung zu verflechten. So hätten etwa die Bewohner der am Westrand des Geländes gelegenen Hochhaussiedlung die Gelegenheit, in den Gemeinschaftsgärten das zu entwickeln, was sie in der eigenen Wohngegend nicht finden.

Gibt es auch etwas an den Plänen, das er verbessern würde? „Ehrlich gesagt nicht“, antwortet Gregor Langenbrinck. Allenfalls „in Nuancen“ könne es das eine oder andere geben. „Das sieht man aber erst, wenn der Prozess in Gang kommt. Aber im Moment sage ich: Das ist ein guter Ansatz“, meint der Stadtforscher, dem kein vergleichbares Projekt in Deutschland bekannt ist und der über die Grüne Mitte in Weinstadt zunehmend ins Schwärmen gerät: „Im Hintergrund die Stadt und nach vorne hin der Landschaft, den Weinbergen zugewandt: Das ist außergewöhnlich.“

Eine Idee wird Wirklichkeit

Gartenschau
Die Grüne Mitte ist eines der Projekte, mit denen sich Weinstadt bei der Interkommunalen Gartenschau, die 2019 im Remstal stattfindet, präsentieren will. Die Idee, die fünf Teilorte auf diese Weise zu verbinden, ist nicht neu. Sie entstand in der ersten Zeit der aus der Gemeindereform Anfang der 1970er Jahre hervorgegangenen Stadt. Bewusst wurde die auch geografisch gesehen etwa in der Mitte der Teilorte gelegene Fläche freigehalten.

Urbanizers
Das Berliner Büro für städtische Konzepte hat das Weinstädter Projekt im Auftrag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) bewertet und wird es im Rahmen des Forschungsprogramms Green urban Labs weiterhin begleiten.


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