Schmuckstücke oder Schandflecke – wir stellen Beispiele moderner Stadtgestaltung, die Köpfe und Ideen dahinter vor. Eine Einführung.

Regio Desk: Achim Wörner (wö)

Stuttgart - Wer mit Hans Sommer ins Gespräch kommt, den befällt eines mit Sicherheit nicht: Langeweile. Im Gegenteil, der Aufsichtsratschef des Projektentwicklungsunternehmens Drees und Sommer, eben 75 Jahre alt geworden, sprüht wie eh und je. Sein Thema: die Stadt der Zukunft, genauer die Idee von der „blue city“, die er sich auf die Fahnen geschrieben hat. Konkret geht es um einen ganzheitlichen Ansatz zur Entwicklung von Wachstumsregionen, die heute aus Sommers Sicht zu kurzfristig denken und zu vieles dem Zufall überlassen. „Es wird meist nur reagiert, nicht agiert“, konstatiert er und fordert die Kommunen auf, den Blick weiter nach vorne zu richten. „Wir brauchen auch den Mut, uns vorzustellen, was 2030 oder 2040 sein wird.“

 

Dabei ist eines speziell auch in der Region Stuttgart festzustellen: Die Baukräne sind längst zu einem Wahrzeichen geworden. Denn nicht nur Stuttgart wird durch den Bau des neuen Hauptbahnhofs und andere große Projekte partiell neu gestaltet – auch in vielen anderen der insgesamt 179 Städte und Gemeinden im Ballungsraum erhalten ganze Quartiere ein neues Gesicht. Grund genug, für unsere Zeitung ausgewählte, in ihrer Art ganz unterschiedliche Beispiele der Stadtentwicklung vorzustellen – von der Revitalisierung altehrwürdiger Industriebrachen wie in Kornwestheim über den Bau ganz neuer Stadteingänge wie in Esslingen oder Versuche, die Innenstädte vom überbordenden Verkehr zu befreien wie aktuell in Ludwigsburg oder Rudersberg.

Seilbahnen für den Personentransport

Spannende und innovative Ansätze finden sich darunter. Ginge es nach Hans Sommer, müssten die Überlegungen für die Stadt der Zukunft freilich stärker vernetzt, viel genereller und noch visionärer angelegt sein. Denn perspektivisch stehen aus seiner Sicht vor allem die großen Städte vor großen Herausforderungen. Da die Menschen zunehmend in die Metropolen drängen, braucht es entsprechenden Wohnraum und muss die Mobilität sichergestellt werden. Schon unter den heutigen Bedingungen sind Begrenzungen zu erkennen: Es fehlt in der Region an Unterkünften, an bezahlbaren zumal, die Straßen sind notorisch verstopft, und der Stuttgarter Feinstaubalarm ist – soviel zeichnet sich inzwischen ab – auf Dauer keine Lösung.

Sommers Konzept von der „blue city“ verfolgt einen integrativen Ansatz und unternimmt den Versuch, in puncto Stadtentwicklung nicht nur einen Lebensbereich zu beleuchten, sondern verschiedene Aspekte im Blick zu haben: Klima, Energie und Gesellschaft, Digitalisierung, Wirtschaftlichkeit, Infrastruktur und Mobilität. „Wichtig ist, Dinge zu denken, die undenkbar erscheinen“, lautet sein Credo, detaillierte Vorstellungen nicht scheuend. Seilbahnen hält er für ein ideales Transportmittel in einer Stadt wie Stuttgart. „Warum nicht“, sagt Sommer, „da im kolumbianischen Medellín zurzeit schon die sechste Seilbahn für den Personentransport gebaut wird.“ Und an Hochhäusern, davon ist er überzeugt, wird kein Weg vorbeiführen, wenn in den Städten mehr Wohnraum geschaffen werden soll. Frage nur: wie sich die Mobilität darum herum gestaltet.

Neue Wohnformen erproben

Die Idee von der „blue city“ passt jedenfalls so recht zu den Überlegungen von Land, Verband Region und Stadt für eine Internationale Bauausstellung 2027 (Iba) in Stuttgart und der Region – für einen „Ausnahmezustand auf Zeit“, wie es heißt. Nach wichtigen Vorarbeiten soll 2017 das Jahr der Weichenstellung werden. „Dabei geht es nicht nur um ein paar Ökohäuser“, sagt der regionale Wirtschaftsförderer Walter Rogg, der jüngst die „wagemutige Idee“ formulierte, am Ende der Iba könnte eine „Charta von Stuttgart über den Städtebau des 21. Jahrhunderts in polyzentrischen Regionen“ stehen. Es müsse groß gedacht und geplant werden, mit dem Anspruch, Lösungsansätze zu finden, die weltweit einmalig seien, so die Forderung von Markus Müller, Präsident der Architektenkammer Stuttgart. Und Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn sieht die Iba als „eine einzigartige Chance, neue, ambitionierte Wohnformen mit gesellschaftlichen Fragstellungen zu verbinden“.

100 Jahre nach dem Bau der Weißenhofsiedlung soll die Iba 2027 nach dem Willen der Initiatoren „aufs Neue die gesellschaftliche Debatte über die Zukunftsfähigkeit urbaner Lebensweisen führen.“ Zumindest punktuell und im Kleinen geschieht das heute schon in Kommunen der Region, wie unsere Serie zeigen wird.