Auf dem Flugfeld wohnen inzwischen 2700 Menschen, 2000 Arbeitsplätze gibt es in dem neuen Stadtviertel von Böblingen und Sindelfingen. Der Architekt und einstige Bauplaner Chasid Winograd freut sich über „ein gelungenes Quartier“, doch er macht auch ein paar kritische Anmerkungen.

Böblingen/Sindelfingen - Chasid Winograd hat das noch alles miterlebt: Die leer stehenden Hangars der US-amerikanischen Streitkräfte, das verlassene Empfangsgebäude auf dem ehemaligen Landesflughafen Böblingen-Stuttgart, wie er einst hieß, die in einem früheren Flughafengebäude untergebrachte Möbelhalle des Deutschen Roten Kreuzes, in der Gebrauchtes angeboten wurde – und das Biotop im Westen des 80 Hektar großen Geländes, in dem auch Kiebitze brüteten. Inzwischen hat sich das Flugfeld, wie es heute genannt wird, zu einem veritablen neuen Stadtquartier von Böblingen und Sindelfingen gemausert. Mit Wohn- und Geschäftsgebäuden, die bis zu 47 Meter hoch sind.

 

Winograd, der bis zu seiner Rente im Jahr 2002 Architekt und Geschäftsführer des einstigen Planungsverbands Ehemaliges Flughafengelände war, merkt dazu kritisch an: „Es fehlen die Zwischenräume als Übergänge zwischen Gebautem und dem freien Raum. Zum Beispiel am Da-Vinci-Platz.“ Der vormals auch als Bauamtsleiter der Stadt Böblingen tätige Winograd, der darüber hinaus auch als Geschäftsführer der Böblinger Gartenschau gearbeitet hat, stellt aber auch fest: „Das Quartier ist attraktiv, hat eine tolle Lage.“

In manche Innenhöfe fällt je nach Tageszeit kaum Sonne

Dass das neue Viertel attraktiv sei, sehe man daran, dass alles sehr schnell gewachsen sei. Offenbar tun sich die Wohnungsbaugesellschaften mit ihren Angeboten leicht. Die Nachfrage nach Wohnungen im Ballungsraum ist so groß, dass der Bedarf kaum gedeckt werden kann. Binnen weniger Jahre sind 2700 Menschen auf das Flugfeld gezogen. „Ich hätte mir gewünscht, dass nicht so dicht gebaut wird“, sagt Winograd. An den Wohngebäuden sind meist nur wenig Grünflächen, in manche Innenhöfe fällt je nach Tages- und Jahreszeit kaum ein Sonnenstrahl. „Die Dichte auf einem Gelände wie diesem muss aber zwangsläufig umgesetzt werden angesichts der hohen Erwerbskosten, der sehr aufwendigen Geländesanierung und der Erschließungskosten“, erklärt Winograd. Ihm sind die Häuser dennoch mitunter zu „hart und kantig“.

Arkaden, meint der Architekt, hätten manchen Gebäuden gutgetan und überdies eine bessere Aufenthaltsqualität geschaffen. Auch am Da-Vinci-Platz, wo es ein Café gibt. Besonders einladend ist es dort nicht. Die Stühle des Cafés stehen direkt an der Fassade: „Von italienischen Städten hätte man sich architektonisch einiges abschauen können“, verweist Winograd auf mögliche Inspirationsquellen. Auch manche Eingangsbereiche der Wohngebäude lassen für den Fachmann zu wünschen übrig. Sie erscheinen „geduckt“ angesichts der Stockwerke. Aber er weiß auch: ein großzügigeres Entree erhöhe zwar nicht die Baukosten, verringere jedoch die verkäufliche oder vermietbare Fläche.

Ein Festplatz unweit der Motorworld

„Der städtebauliche Rahmenplan aus dem Jahr 2002 gibt das aber her“, sagt Winograd. Das Konzept diene nach wie vor bis auf wenige Veränderungen im Detail als Grundlage. Eine besondere Qualität verliehen dem Quartier die grüne Mitte mit dem Langen See, der sich über rund 900 Meter erstreckt, sowie die großzügigen Uferbereiche mit Spielplätzen und einem Festplatz unweit des Oldtimerzentrums Motorworld. Zudem sei auch die Böblinger Innenstadt durch die Unterführung am Bahn- und Busbahnhof wesentlich aufgewertet worden. „Wobei vieles noch nicht fertig ist. Aber in einigen Jahren wird sich alles, was noch roh aussieht, positiv verändern“, meint Winograd. Und wenn einmal die Bäume, die überall die Straßen säumen, höher seien, ergebe sich ein anderes Bild. Apropos Natur: Für die Kiebitze wurde in den Krebsbachauen in Gärtringen-Rohrau ein neues Refugium geschaffen.

Mit der guten Konjunkturlage war zuletzt auch die Gewerbeansiedlung erfolgreich. In diesem Jahr werden drei weitere Büro- und Geschäftshäuser fertig, im nächsten Jahr wird noch ein Hotel eröffnet. Laut dem Zweckverband Flugfeld gibt es zurzeit bereits 2000 Arbeitsplätze in dem Quartier. Von den 41 Hektar, die auf dem 80 Hektar großen Flugfeld bebaut werden sollen, seien rund 70 Prozent verkauft, einschließlich des Grundstücks, auf dem der Klinikverbund Südwest ein Großklinikum errichten möchte. Trotz seiner kritischen Anmerkungen, die sich jedoch eher auf Details beschränken, stellt Winograd fest: „Es ist eine große Leistung von allen Beteiligten, innerhalb von rund 15 Jahren aus einer belasteten, unzugänglichen Brache ein gelungenes Quartier zu machen, das sich eines großen Zuspruchs erfreut.“