Bei der Finissage der Ausstellung an der Schorndorfer Stadtkirche gibt es ein vehementes Plädoyer für eine regelmäßige Fortsetzung der ungewöhnlichen Aktion.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Schorndorf - Mit einer ungewöhnlichen Finissage ist am Freitagabend ein ebenso ungewöhnliches wie aufsehenerregendes Kunstprojekt an der Schorndorfer Stadtkirche zu Ende gegangen. Geht es nach den Empfehlungen eines renommierten Theologieprofessors ist die Aktion indes nur der Auftakt zu einer neu begründeten Tradition.

 

Verführung zum Innehalten

Acht Monate lang haben 13 Künstlerbeiträge an der Fassade der Schorndorfer Stadtkirche Wirkung entfaltet. „Die Kirche hat etwas erlebt, was sie bisher noch nie erfahren hat“, sagte die Pfarrerin Dorothee Eisrich bei der Finissage. Die Kunstwerke, die anlässlich des Reformationsjubiläums in den seit knapp fünf Jahrhunderten leer stehenden Nischen des Gotteshauses platziert worden waren, hätten zahllose Passanten nicht nur dazu verführt, stehen zu bleiben, aufzuschauen und sich zu wundern, sie hätten auch Anlass gegeben, über grundsätzliche Dinge nachzudenken oder sich die banal anmutende Frage zu stellen: „Wer ist für uns ein Heiliger?“. Sicherlich seien die Skulpturen nicht jedermanns Sache gewesen, aber sie hätten die Gelegenheit geboten, aus erstarrten Denkmustern auszubrechen und christliche Botschaften in die heutige Zeit zu versetzen.

Auch die Finissage, in der die Pfarrerin ihr durchweg positives Fazit zu der achtmonatigen Aktion zog und der Initiatorin und Projektleiterin Ursula Quast sowie zahlreichen Helfern dankte, passte in das neu entstandene Bild: Eberhard Budziat und Stephan Kirsch entlockten ihren Posaunen Klänge, die in der ehrwürdigen Kirche zuvor wohl nie erschallt waren, und Gabriele Sponner interpretierte das Motto des Reformationsjubiläums „...da ist Freiheit“ auf liebenswert-schrille Art in einer Clowns-Performance.

Hybridräume der Transzendenz

Der Marburger Theologieprofessor und Kinderbuchautor Thomas Erne attestierte der Aktion in seinem Vortrag „Auf der Schwelle – Kirche und Kunst begegnen sich“ nicht nur, einen gelungenen neuen Zugang zu Kirche und Religion geschaffen zu haben. Er plädierte auch dafür, diese „Hybridräume der Transzendenz“ zu erhalten. Sein Vorschlag: „Wiederholen Sie diese Aktion alle fünf Jahre und kaufen Sie jeweils eines der Objekte.“ Auf diese Weise könnten die Urenkel der Initiatoren das Projekt in einer Art Generationenvertrag nach 70 Jahren abschließen.

Als erste Investition würde er persönlich die Idee jener Performance einkaufen, die bei der Eröffnung der Ausstellung wohl für das meiste Aufsehen und die kontroversesten Reaktionen gesorgt hatte: Der Stuttgarter Bildhauer und Aktionskünstlers Thomas Putze hatte sich selbst unbekleidet in eine der Nischen gestellt. Putze habe vorgeführt, was heilig zu sein bedeute, sagt Thomas Erne – nämlich, dass man nicht wegen irgendwelcher Verdienste als solcher auf eine Statue gehoben werde, sondern erst Gott einen Menschen zu dem mache, was er ist. Diese Nische, so Erne, könnte dann alle fünf Jahre von einem anderen Schorndorfer Bürger besetzt werden – ob unbekleidet oder nicht, sei natürlich dahin gestellt.

Ein aufsehenerregendes Projekt im Gotteshaus

Kirche
Mit dem Bau der spätgotischen Schorndorfer Stadtkirche ist im Jahr 1477 begonnen worden, das Gotteshaus wurde durch Ablässe finanziert. Seit 1534, kurz nach der Reformation, ist sie evangelisch, zahlreiche katholische Heiligenbilder wurden entfernt. Nur fünf der einst mehr als zwanzig gotischen Skulpturen an der Außenfassade überlebten den nachreformatorischen Bildersturm.

Kunst
Fünf Jahrhunderte später wurde das Thema in einem künstlerischen Wettbewerb aufgegriffen. Im Mittelpunkt der Ausschreibung stand, verschiedene Aspekte des Themas Glaube und Reformation zu beleuchten und dazu unterschiedliche Darstellungsformen zu verwenden. Fast 100 Arbeiten von 64 verschiedenen Künstlern wurden eingereicht, 13 Werke wurden letztlich von einer Jury ausgewählt.

Hingucker
Am 1. April wurde die Ausstellung eröffnet. Für viel Aufsehen sorgte die Performance des Stuttgarter Bildhauers und Aktionskünstlers Thomas Putze. Der hatte sich selbst nur mit Steinstaub gepudert etwa eine halbe Stunde lang hüllenlos in einer Nische präsentiert, bis er in ein Laken gehüllt wurde. Die übrigen Skulpturen wurden mehr als sieben Monate lang an der Stadtkirche gezeigt.