Die Großstadt zwischen Wald und Reben muss in der City mehr Bäume pflanzen und pflegen, findet Lokalchef Jan Sellner.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Vor lauter Bäumen sieht man den Stuttgarter Schlossplatz nicht mehr – das war einmal. Bis vor etwa 40 Jahren. Alte Fotografien zeugen davon. Deshalb war der Schlossplatz aber kein Idyll; er wirkte vielmehr wie eine seltsame Insel. Autos und Straßenbahnen flossen an zwei Seiten vorbei – durch die Königstraße und über die Planie. Heute fließen dort vor allem Fußgängerströme, und der Schlossplatz besitzt seit dem Umbau anlässlich der Bundesgartenschau 1977 einen ausgeprägt freundlichen und einladenden Platzcharakter – unterm Strich eine Verbesserung gegenüber früheren Zeiten.

 

Wie man sich überhaupt davor hüten sollte, die Vergangenheit Stuttgarts pauschal zu verklären oder zu vergrünen, wozu die neu aufgekeimte Diskussion über zusätzliche Bäume leicht verleitet. So stehen in der Innenstadt heute mehr Bäume als etwa in den sechziger Jahren. Die Stadt beziffert die Zahl der Bäume auf öffentlichen Flächen im Stadtgebiet auf rund 100 000. Zusammen mit den Grünanlagen, den privaten Gärten, den städtischen Weinbergen und dem umliegenden Wald entsteht der Eindruck einer an vielen Stellen grün gewirkten Stadt – und das ist in dem Fall nicht politisch gemeint. Besucher, die aus Australien oder Indien kommen, staunen jedenfalls über das „grüne Stuttgart‘. Es kommt eben immer auch auf die Perspektive an.

Markt kann auch unter Bäumen stattfinden

Trotzdem braucht diese Stadt mehr (Fassaden-)Grün und mehr Bäume. Vermutlich auch mehr als die von Oberbürgermeister Fritz Kuhn jetzt in seinem Klimaschutzpaket vorgeschlagenen 1000 neuen Gehölze. Gebraucht werden sie vor allem in der Innenstadt. Angefangen beim Marktplatz, der – anders als der Schlossplatz – außer an Markt- und Festtagen eben nicht freundlich und einladend ist.

Nächstes Jahr soll der Platz umgestaltet werden. Zusätzliches Grün ist dort entgegen des Ratschlags der Stadtklimatologen bisher nicht vorgesehen. Erst jetzt, unter dem Eindruck der jüngsten Hitzewelle und einer engagierten öffentlichen Debatte, dämmert es den Verantwortlichen an der Stadtspitze und im Gemeinderat, dass diese Planung korrigiert werden muss. Das positive Beispiel des benachbarten Karlsplatzes zeigt: ein Markt kann auch unter Bäumen stattfinden, auch wenn’s dort ein Flohmarkt ist.

Ein Beispiel für fehlende Aufmerksamkeit

Bäume in der Stadt sind kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit, wie zusätzliche Trinkgelegenheiten und Wasserflächen auch. Das erfordert allerdings nicht nur einmalige Anstrengungen, sondern nachhaltige Pflege. Bäume müssen ausreichend gewässert und Brunnen instandgehalten werden. Auch da gibt es in Stuttgart Optimierungsbedarf. Das Beispiel der 100-jährigen Blutbuche am Stadtpalais, die am Donnerstag gefällt werden musste, steht als Beispiel für mangelnde Aufmerksamkeit. Aus der Stadtverwaltung muss ja nicht gleich eine Stadtverwaldung werden, wie ein Leser vorgeschlagen hat. Neben den vielen Baumaßnahmen benötigt Stuttgart allerdings dringend mehr Baum-Maßnahmen.

jan.sellner@stzn.de