Wo früher Lottospieler aufs finanzielle Glück hofften, will der neue Besitzer ein Nachbarschaftszentrum etablieren.

Aus etwas Kleinem lässt sich weit Größeres schaffen: Vor neun Jahren hat Franz-Ferdinand Kress einen ehemaligen Kiosk an der Augustenstraße 127 im Stuttgarter Westen gekauft. Früher befand sich darin vorne ein kleiner Verkaufsbereich, dahinter ein noch kleineres Büro, dazwischen ein Gang, ein WC und eine kleine Küchenzeile. Alles zusammen misst 47 Quadratmeter.

 

Menschen im Viertel zusammenbringen

Nur zum Vergleich: Im Jahr 2020 betrug die durchschnittliche Pro-Kopf-Wohnfläche in Deutschland 47,4 Quadratmeter. Allerdings wollte Kress den Kiosk weder zu einer Wohnung umbauen noch in seiner ursprünglichen Version als Kiosk weiterbetreiben. Nein, er verfolgt nun schon länger mit der Nutzung der Räume im Stuttgarter Westen keinerlei monetäre Interessen, sondern ein völlig anderes Konzept. Er will dort in erster Linie die Menschen aus dem Viertel zusammenbringen. Seine Grundidee war und ist: „Mit dem Kiosk möchte ich eine Plattform schaffen für echte Begegnung ohne Kommerz“, sagt Kress. Der 57-Jährige aus Stuttgart-West ist Berater und Interimsmanager für ganzheitliche und nachhaltige Unternehmensentwicklung. Er berät Unternehmen, Start-ups und Organisationen, wie sie ihr Tun und ihre Produktion im gesellschaftlich-ökologischen Sinne ausrichten können. Kress nennt sich selbst einen „zertifizierten Bruttonationalglück-Praktizierenden“. Das Bruttonationalglück geht anders als Bruttonationaleinkommen davon aus, dass eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft nur in einer sozial gerechteren Weltordnung und im Zusammenwirken von Kultur, Spiritualität, Umweltschutz und materieller Zufriedenheit gelingen kann.

Der ehemalige Kiosk als Kulturtreff

Folgerichtig nennt Kress sein ehrenamtliches Kiosk-Projekt auch „Glück im Quartier“. So hat er nach und nach den Kiosk zum Kiez- und Kulturtreff umgebaut und umfunktioniert. Die eigentliche Idee hatte er während einer der ersten Lockdown-Phasen der Pandemie: Auf dem Balkon seiner Dachwohnung organisierte er damals ein DJ-Konzert. „Das kam so gut an, die Leute winkten mir zu und fragten später, ob ich so etwas nicht wiederholen könnte.“ Da kam Kress die Idee, seinen für Firmenworkshops und Unternehmensberatungen genutzten ehemaligen Kiosk auch für soziale Aktivitäten frei Haus zur Verfügung zu stellen.

61 Veranstaltungen in vier Jahren

Ein früherer Zeitschriftenladen als Nachbarschaftstreff? Kann das funktionieren? Ein ehemaliges „Büdchen“ als Ort für Konzerte, Flohmärkte, Lesungen, Vernissagen, Benefizaktionen oder Tanz-Tee-Nachmittage? Die bisherige Bilanz kann sich durchaus sehen lassen: 61 Veranstaltungen fanden in den vergangenen vier Jahren im Kiosk von Franz-Ferdinand Kress statt. Zu Pandemiezeiten musste natürlich das meiste online laufen. Auch als Treffpunkt für den wöchentlichen Feierabend-Chill-Out im Viertel hat sich der Kiosk längst bewährt. Jeden Freitagabend trifft sich, wer Lust hat, vor dem Kiosk. Man trinkt gemeinsam etwas, plaudert und tauscht sich aus. Doch Kress bastelt bereits an einem erweiterten Konzept: „Ich möchte die Räumlichkeiten unentgeltlich der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen“, berichtete er jüngst in der Sitzung des Bezirksbeirates West. Initiativen, Vereine, Organisationen oder die Stadt – Kress ist da sehr offen. Wer einen Raum brauche, könne ihn ansprechen, sagt er. „Alles, was das wertschätzende soziale Miteinander fördert, ist mir hier herzlich willkommen“, sagt der Sozialunternehmer.

Bezirksbeirat lobt das Engagement fürs soziale Miteinander

Die Mitglieder des kommunalpolitischen Gremiums waren sehr beeindruckt, was Kress an bürgerschaftlichem Engagement leistet. Und was er noch alles auf die Beine zu stellen gedenkt. Es soll im einstigen Kiosk nun Yoga-Kurse geben, ein kleines Repair-Café ist in Planung. Außerdem sind kostenlose Nachhilfe-Angebote in Mathe, Chemie und Technik sowie Digitalkurse für Senioren in Vorbereitung. Generationenübergreifende Treffen sollen zudem stattfinden. „Außerdem will der litauische Chor und der litauische Literaturkreis sich hier treffen“, sagt Kress. Weitere Anfragen gibt es bereits.

Genehmigung einer Außenfläche gestaltet sich schwierig

Eines fehlt Franz-Ferdinand Kress zum „Glück im Quartier“ noch. Das wäre die Genehmigung einer kleineren Außenfläche. Denn der Innenraum wird langsam knapp für so viele Aktivitäten. Er denkt dabei an eine kleine Freifläche für Tische und Stühle vor dem Haus an der Augustenstraße. Anders als bei einem Parklet stellt sich der Betreiber des ehrenamtlichen Projektes ein kleineres Rechteck ohne feste Sitzgelegenheiten vor: „Was uns nichts bringt, ist eine unflexible Sitzfläche“, betont Kress. Die zu klärende Frage ist aber, wo genau diese Fläche vor dem Haus genehmigungsrechtlich konform ausgewiesen werden kann. Platziert man sie an den Straßenrand, würden dadurch anderthalb bis zwei Parkplätze vor dem Haus Augustenstraße 127 wegfallen. Doch die Straßenverkehrsbehörde sieht eine „Parkraumreduzierung“ kritisch: Das Gebiet liege im Parkraummanagementgebiet W5 und dort sei eine solche Nutzung „absolut unverträglich“. Auch die CDU im Bezirksbeirat S-West wäre nicht bereit, weitere Stellplätze zu opfern: „Wir begrüßen ihr Engagement absolut“, lobte Sprecher Marcel Wolf die Initiative, „aber wir wollen nicht, dass dort Parkplätze wegfallen“. Für Bündnis 90/Die Grünen brach Bezirksbeirat Sebastian Karl eine Lanze für das Non-Profit-Vorhaben: „Es ist bemerkenswert, dass hier Räume kostenlos für Verfügung gestellt werden.“ Karl betonte, er könne sich vorstellen, dass es eine Außenfläche geben sollte.

Bezirksbeirat unterstützt das Projekt

Allerdings erteilte der Bezirksbeirat einem Alternativ-Vorschlag von Kress eine Absage. Er hatte als Variante seines Antrages vorgeschlagen, einen Streifen des Gehweges vor dem Haus „für eine Außenfläche ohne Parkraumverlust“ zu opfern. Doch eine Verengung der Bürgersteigbreite auf 1,20 Meter vor dem sozialen Treff wollte das Gremium nicht akzeptieren. Zwei Meter Gehwegbreite sei erforderlich, betonte auch Bezirksvorsteher Bernhard Mellert. Am Ende sprach sich das Gremium dafür aus, dem Antrag auf eine „multifunktionale Außenfläche“ zuzustimmen – aber nur, wenn die ursprüngliche Gehwegbreite von zwei Metern beibehalten wird. Kress will bei einem Vor-Ort-Termin die Details des weiteren Vorgehens erörtern und mit den Verantwortlichen abstimmen, wie eine Lösung aussehen könnte.