Das Stadtmedienzentrum Stuttgart wirbt bei Schulen mit seinem Knowhow. Doch manche Lehrer winken ab. Sie wollen Kreide, keine elektronische Tafel. Nur ein Bruchteil der Stuttgarter Schulen ist für Multimedia im Unterricht ausgestattet, und viele Lehrer haben damit keine Erfahrung.

Stuttgart - Eigentlich ist es eine praktische Sache: ein Mausklick, und schon können die Schüler im Unterricht ein Youtube-Filmchen sehen. Oder, besser noch: mit etwas mehr Aufwand ein eigenes Video herstellen. Die Sache hat allerdings einige Haken. Das Hauptproblem: nur ein Bruchteil der Stuttgarter Schulen sei dafür ausgestattet, und viele Lehrer hätten mit dieser Form der Wissensvermittlung keine Erfahrung. Das stellt Johannes Gienger fest. Er engagiert sich dafür, dass sich das ändert. Denn er ist nicht nur Gymnasiallehrer am Schickhardt-Gymnasium, wo Lehrer und Schüler mit einer Tabletklasse modellhafte Erfahrungen machen. Sondern er leitet auch das Stadtmedienzentrum (SMZ) an der Rotenbergstraße im Stuttgarter Osten.

 

Der Mann gibt sich kämpferisch: „Mein Verdacht ist: es fehlt an der Einsicht, dass wir im technologischen Bereich mithalten müssen – nicht nur, aber auch im Schulbereich.“ Kurz vor dem Ende der Sommerferien ist der Medienpädagoge, der eigentlich Geschichtslehrer ist, von Schule zu Schule unterwegs gewesen, um die frisch gedruckten Broschüren des Stadtmedienzentrums an den Mann und an die Frau zu bringen – persönlich. „Da ergibt sich häufig ein Gespräch mit dem Schulleiter“, berichtet Gienger – und in der Folge eine Einladung in die Lehrerkonferenz, wo Gienger dann dafür wirbt, stärker mit Medien zu arbeiten. Natürlich kann er bei dieser Gelegenheit auch gleich pädagogisch begründen, was der ganze Aufwand bringt – aus eigener Erfahrung. „Medien einzusetzen, das ist das intensivste Lernen“, davon ist er überzeugt.

Und dafür müsse man als Lehrer nicht unbedingt ein Technik-Crack sein. Vor Jahren habe er am Kepler-Gymnasium in Weil der Stadt eine Medien-AG gegründet. Der dabei entstandene Film über die industrielle Revolution sei für einige Schüler eine Initialzündung gewesen, persönlich und beruflich. Daraus sei sogar eine eigene Firma entstanden. Und einer dieser früheren AG-Teilnehmer sei inzwischen Wortchef beim SWR-Radiosender Das Ding. Seit April beschäftigt das Stadtmedienzentrum einen Masterabsolventen der Hochschule der Medien. Den können sich Schulen zur Unterstützung solcher Projekte nun in die Klassenzimmer holen. Der Mann sei bereits jetzt stark gefragt, sagt Gienger

Heikle Punkte müssen geklärt werden

„Auf solchen Spielwiesen müssen wir die Talente abholen. Aber das machen wir nicht systematisch“, bedauert der Lehrer. Das betreffe auch die Prävention. Trotz solcher Angebote und der für die meisten Schüler selbstverständlichen Nutzung von Smartphones und Co. hält Gienger den Nachwuchs für „nicht ausreichend vorbereitet für die Medienwelt“. Wieder und wieder fordert der Pädagoge: „Es muss einfach ein Fach Medienbildung geben.“ Denn wenn man Schüler einen Film oder eine Website machen lasse, ergebe sich mancher heikle Punkt automatisch. Etwa durch die Frage: „Darf ich dieses Foto nehmen oder nicht?“

Natürlich gebe es manche Schulen, die systematisch nach Präventionsveranstaltungen fragten, während andere davon noch nie etwas gehört hätten, berichtet Gienger. Er räumt aber auch ein: „Wenn alle das abgreifen würden, würde das System nicht mehr ausreichen.“ Das SMZ biete allerdings noch vieles andere: „Wir haben immer noch eine große Nachfrage nach haptischen Medien“, berichtet Gienger. Gemeint seien DVDs mit Bildern und Arbeitsblättern. Allein im vergangenen Jahr habe das SMZ Stuttgart mehr als 43 000 Verleihvorgänge verzeichnet, allerdings mit Karlsruhe zusammen.

Mehr Aufwand für Lehrer

Trotz dieser großen Zahl gehe der haptische Verleih jedes Jahr um zehn bis 15 Prozent zurück – „dafür nimmt der Downloadbereich an den Schulen zu“. 2013 seien von dem Server für die schulische Arbeit mit Medien (Sesam) mehr als 137 000 mal digitale Medien heruntergeladen worden auf die Festplatten der Schulen. Der Vorteil: so könne das Material im Unterricht auch verlässlich abgerufen werden. „Wir kaufen regelmäßig neue Materialien ein, beziehungsweise Kreis-Onlinelizenzen“, berichtet Gienger. 80 000 Medien seien es derzeit. Ein guter Fundus sei da. Aber: „Die Politik hat die Medienentwicklung verschlafen“, meint der SMZ-Leiter, „Das gilt für die Lehreraus- und Fortbildung und für die Ausstattung der Schulen.“ Noch immer seien diese weit davon entfernt, in jedem Klassenzimmer eine elektronische Tafel zu haben. „Mein Verdacht ist auch: es fehlt an der Einsicht, dass wir im technologischen Bereich mithalten müssen.“

In 35 von 160 Schulen sind fast alle Klassenzimmer vernetzt

Karin Korn, die Leiterin des städtischen Schulverwaltungsamts, räumt ein: „Wir haben kein strukturiertes Programm für die Vollvernetzung von Schulen.“ Grundsätzlich vernetze man die Schulen bei Neubau- oder Sanierungsmaßnahmen. „Unser Sanierungsprogramm läuft ja noch bis 2020.“ Dann müsse man ein strukturiertes Programm für Schulen aufstellen, die noch nicht versorgt seien. Korn sagt auch: „Es ist auch ein Abwägungsprozess, was man finanzieren kann und was Priorität hat – es geht nicht alles auf einmal.“ Dennoch seien bisher in 35 von 160 Schulen nahezu alle Klassenzimmer vernetzt. Und: „Alle weiterführenden Schulen haben ein oder mehrere interaktive Mediensysteme – aber eben noch nicht in vollem Umfang.“ Und die Grundschulen? „Da haben wir noch kein Medienkonzept“, so Korn. Es gebe eine Arbeitsgruppe des Städtetags, aber man warte noch auf Vorgaben des Landes.

Doch auch Gienger räumt ein, manchmal fehle es an der Bereitschaft der Lehrer. Allerdings hätten diese für die Arbeit mit Medien zusätzlichen Aufwand, bekämen jedoch keine einzige Stunde Nachlass. Eine Lehrerin habe erklärt, „Ich brauche keine elektronische Tafel, ich brauche nur ein Stück Kreide“, berichtet Gienger - „dummer Zufall, dass diese Lehrerin ausgerechnet an eine Schule ohne Kreide kam“.