Ess ich oder ess ich nicht? Dass Esslingen beim Thema Essen viel mehr produziert als saure Gurken und mildes Weinkraut, zeigt die neue Schau im Stadtmuseum.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Esslingen - Weniger ist mehr. Der minimalistische Ansatz der neuen Ausstellung im Esslinger Stadtmuseum

 

könnte fast schon einem Ernährungsleitfaden entnommen sein. Weniger isst mehr? Auffällig auf einer wandgroßen Weltkarte in der Schau über Esskultur ist, dass die am wenigsten bevölkerten Staaten die wenigsten Hungernden aufweisen. Die Kuratorin Julia Opitz hat mit der Schau „In Aller Munde“ Schlaglichter zum Thema Esskultur gesetzt, die zu einer eigenen Beschäftigung mit der Ernährung einladen.

Ein richtiges Prunkstück ist dort zu sehen: ein Becher der Weingärtnerzunft, dem heiligen Urban gewidmet, zusammen mit einer Art Weihekette, an der die ziselierten Gerätschaften des Winzerhandwerks hängen. Es ist wohl die letzte Reminiszenz ans katholische Esslingen, wo man den St. Urban anrief für eine gute Ernte. Die ganze Ausstellung pendelt zwischen dem Thema Hunger und Überfluss und der Kasteiung durch selbst gewählte Essvorschriften im Dienste einer moralisch für gut gehaltenen Sache, wie Religionen oder Wissenschaften.

Literweise floss der Saccharin-Sekt

Mit einem farbenfrohen Druck zeigten die Bürgerinnen und Bürger ihre Freude 1818, als der ersten Erntewagen durch das Esslinger Stadttor fuhr. Zuvor hatte es katastrophale Missernten gegeben, verursacht durch den Ausbruch des Vulkans Tambora. Ein Teller von 1915 ist zu sehen, der den Verzehr von Kommissbrot schmackhaft machen soll. Da war der Steckrübenwinter 1917 noch zwei Jahre weg, als die Menschen vom Hunger geschwächt in einer Grippe-Epidemie starben wie die Fliegen. Und gleich darauf kamen die Roaring Twenties, wo literweise der Saccharinsekt floss und auch Kessler-Sekt manchen Abend in Wallung brachte, natürlich im Sektkühler der Metallfirma Quist. Der Zweite Weltkrieg kam und wieder hungerten die Menschen. Man sieht ein Care-Paket und einen Becher der Schulspeisung. In den 60er-Jahren schwappte die Fresswelle über das Land. Als man sich mit Käseigeln und Wurstsalat mästete und nicht wusste, was man sich noch auf den Tisch stellen sollte, wie etwa ein Erdnussspender ebenfalls aus dem Hause Quist.

Zwischen den Hungerjahren und den Fresswellen hoben auch immer die Wissenschaftler und Philosophen ihre Zeigefinger, um die Menschen zum rechten Essen anzuleiten. Denn maßhalten sollte man immer, um seinen Körper entweder nach wilhelministischer Vorgabe zu stählen, oder nach Yoga-Idealen zu entschlacken. Ein Buch des Begründers des Vegetarismus liegt in der Schau aus, denn auch schon anno 1860 wurde geglaubt, dass die richtige Ernährung der Schlüssel sei, um alle Probleme der jeweiligen Epoche zu lösen.

Zu sehen ist auch eine Dose von Hengstenberg

Maßhalten tun die Ärzte noch heute, aber in ganz konkretem Sinn. Zu sehen ist ein Maßband, das in der Entwicklungshilfe eingesetzt wird. Je enger es sich um den Arm von Kindern legen lässt, desto unterernährter ist das Kind. Erschreckend, wie dünn die Ärmchen sein müssen, um das Maßband in den roten Bereich zu bringen. Es sind viele Aspekte der Esskultur, die Julia Opitz beleuchtet und mit vielen sehenswerten Stücken untermalt hat. Ausgestellt ist zum Beispiel auch die erste Sauerkraut-Dose von Hengstenberg und der erste Porzellantiegel mit Liebigs Fleischextrakt.

Die Ausstellungen im Überblick

Stadtmuseum: Die Ausstellung „In aller Munde. Aspekte unserer Esskultur“ geht vom 18. März bis zum 14. Oktober. Die Schau im Stadtmuseum im Gelben Haus am Esslinger Hafenmarkt ist geöffnet dienstags bis samstags von 14 bis 18 Uhr und sonn- und feiertags von 11 bis 18 Uhr. Montags ist geschlossen.

Weltkrieg: Vom 9. November bis zum 3. März 2019 zieht das Stadtmuseum ein Fazit des Ersten Weltkrieges. Unter dem Titel „ Heimatfront und Zeitenwende“ zeigt das Stadtmuseum, wie sich der Krieg an der Heimatfront entwickelt hat, die Not sich steigerte, solange bis die Situation unbeherrschbar wurde.

Navigation: Wo es langgeht, zeigen das Museum im Schwörhaus am Kessler-Platz 12 und das Schreibermuseum im Salemer Pfleghof, Geiselbachstraße, vom 6. Mai bis zum 7. Oktober. In der Ausstellung „Von hier nach dort?“ geht es um Navigation und räumliches Empfinden bei Menschen und Tieren.