Ein Hamburger Büro entwirft das neue Bietigheimer Quartier: Wohnraum für 1500 Menschen und Platz für Gewerbe soll auf dem Firmengelände von DLW entstehen. Ein wegweisendes Vorhaben, findet das Architekturbüro gmp, das den Wettbewerb gewonnen hat

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Bietigheim-Bissingen - Für mich als Hamburger ist Bietigheim ja nur einen Sprung von Stuttgart weg“, schäkert Dirk Heller, Architekt bei Gerkan, Marg und Partner (gmp). Das Büro aus der Hansestadt ist jetzt zum Gewinner des städtebaulichen Wettbewerbs für das DLW-Areal in Bietigheim-Bissingen gekürt worden.

 

Den Blick nach Stuttgart hat Heller nicht nur, weil er selbst einst in der Schwabenmetropole studierte und arbeitete, die Region also wie seine Westentasche kennt. Warum sollten nicht beispielsweise Studenten aus Stuttgart künftig auf dem Areal des Bodenbelagherstellers wohnen? Wohnungen, in denen man – so Heller – „keine normalen Familien unterbringen kann, die aber für Studenten, Auszubildende oder Pendler interessant sein könnten“, wird es perspektivisch auf dem Gelände auf jeden Fall geben.

Zwischen Bahn und Bundesstraße

Denn einer der Knackpunkte bei der Entwicklung des Geländes ist seine Lage zwischen Bahn und Bundesstraße 27. gmp Architekten hat die Herausforderungen, die das Gebiet an die Planer stellt, am überzeugendsten gemeistert, befand das Preisgericht jetzt. Die Studenten und Pendler könnten sich zum Beispiel in Wohn-Sonderformen niederlassen, die das Büro entlang der Bahnlinie ansiedeln will: mehrstöckige Gebäude-Riegel mit Kleinapartments, die nur zum Quartier hin ausgerichtet sind und zu den Bahnschienen hin als Schallschutzmauer fungieren. Auch zur Bundesstraße 27 hin sollen hochgeschossige Bauten den Innenbereich abschirmen. Im Zentrum des Quartiers kämen dann die Familien zu ihrem Recht.

Grundsätzlich sollen Gebäude für Gewerbe und Dienstleistungen als konventioneller Geschossbau, Punkthäuser für loft-artiges Atelierwohnen und blockartige Strukturen für den regulären Wohnungsbau mit begrünten Innenhöfen miteinander kombiniert werden. Die Nutzungen Wohnen und Arbeiten sollen sich die Waage halten. Um das Thema Parken nicht ausschließlich in Tiefgaragen zu verlegen, sollen an den Rändern zwei oberirdische Parkhäuser entstehen. Das macht das Bauen und später auch das Mieten oder Erwerben der Wohnungen günstiger, „außerdem lassen sich die Parkhäuser irgendwann leichter wieder abreißen“, so Dirk Heller. Der Individualverkehr soll in dem Gebiet ohnehin restriktiv behandelt werden.

Die Neugierde auf das Quartier ist groß

Nach Schätzung des Ersten Baubürgermeisters Joachim Kölz könnten, wenn das frühere Bietigheimer Traditionsunternehmen abgewickelt sein wird, rund 1500 Menschen im DLW-Areal ein Zuhause finden. Entwickelt wird es unter dem Namen „Bogenviertel“. Die Neugierde auf das Gebiet ist groß: Etliche potenzielle gewerbliche Nutzer hätten schon angeklopft, sagt Kölz. Auch das Interesse an Wohnungen sei groß, wenn auch noch nicht quantifizierbar. „Wir haben ja noch nicht einmal das Bebauungsplanverfahren eingeleitet.“

Die Erinnerung an DLW soll nicht sterben

Damit die Erinnerung an die Firma nicht ganz verschwindet, will die Stadt das DLW-Verwaltungsgebäude erhalten. „Das ist zwar planerisch vielleicht nicht ganz ideal, aber ich halte das Gebäude für ein industriegeschichtliches Denkmal, auch wenn es nicht unter Denkmalschutz steht. Wer daran Hand anlegt, kriegt es mit mir zu tun“, sagt der Bietigheimer Oberbürgermeister Jürgen Kessing (SPD). Der im Norden des Geländes gelegene Trakt soll in die Entwicklung integriert werden, was Architekt Dirk Heller auch gut zu bewerkstelligen hält. Sinnvollerweise werde das Gebiet sogar von dort aus entwickelt, „da haben wir eine gewachsene Situation, die nicht die Anmutung des Unfertigen hat“.

Wegweisende Ideen

Aufgaben wie diejenige in Bietigheim-Bissingen werden Architekten künftig noch stärker beschäftigen. „Firmen und große Produktionsanlagen aus dem 19. und 20. Jahrhundert, die keine Entwicklungspotenziale haben, gibt es viele“, sagt Heller. Wenn dort eine Mischung aus neuen Formen des Wohnens, Gewerbe und Start-Ups entstünden und zudem alte Firmenbauten in eine Neuplanung integriert würden, habe das, wie beim DLW-Gelände, etwas Wegweisendes.

Die Stadt will auf der IBA punkten

Diesen Anspruch hat die Stadt Bietigheim-Bissingen auch selbst. Sie hat die Internationale Bauausstellung 2027 (IBA) in Stuttgart im Blick, die 100 Jahre, nachdem in der Weißenhofsiedlung das damals radikale „Wohnprogramm für den modernen Großstadtmenschen“ vorstellte, neue Antworten auf die Frage finden will, wie Leben, Wohnen und Arbeiten im digitalen und globalen Zeitalter aussehen soll.

Bietigheim-Bissingen will auf dem DLW-Areal den Begriff „Werksiedlung“ für das 21. Jahrhundert neu buchstabieren und knüpft dabei an die Geschichte des Standortes an – auch früher arbeiteten und wohnten die DLW-Beschäftigten in unmittelbarem räumlichen Zusammenhang. Die Stadt möchte das Bogenviertel als IBA-Beitrag ins Rennen schicken. Lästerliche Zungen an der Enz munkeln, die Stadt sei mit der Planung für das Quartier sogar schon weiter als die IBA-Macher mit den Planungen für die Bauausstellung.