Ihren Plan für ein erweitertes Stadtzentrum hinter dem Hauptbahnhof präsentieren derzeit zwei Stuttgarter Büros für Stadt- und Landschaftsplanung den Gremien der Stadt. Im Bezirksbeirat Mitte herrscht Aufbruchstimmung – doch es gibt auch deutliche Kritik.

Im Bereich hinter dem Hauptbahnhof, dort, wo derzeit noch Züge rollen, soll ein erweitertes Stadtzentrum entstehen. Dazu präsentieren das Büro für Architektur und Stadtentwicklung asp (Stuttgart/Berlin) und das Büro Koeber Landschaftsarchitektur (Stuttgart) den verschiedenen Gremien der Stadt nun ihren überarbeiteten Siegerentwurf zu einem internationalen, offenen Wettbewerb der Stadt. Von einem „Rahmenplan“ ist die Rede, weil der Plan angesichts seiner gewaltigen räumlichen, zeitlichen und inhaltlichen Dimensionen gar nicht mehr leisten kann, als den Rahmen für die schrittweise Erfüllung sich über die Jahre verändernder Erfordernisse zu umreißen. Wer sich ein Bild machen möchte, sollte sich also zunächst die Dimensionen anschauen.

 

Drei Gebiete mit insgesamt 85 Hektar Fläche

„Wir sprechen von drei Gebieten mit insgesamt 85 Hektar und damit im Grunde von drei Rahmenplänen, sagt Markus Weismann, geschäftsführender Gesellschafter von asp. Da ist zunächst das neue „Europaquartier“, das sich vom Tiefbahnhof bis zur Wolframstraße als Erweiterung des bestehenden Europaviertels erstreckt, dann die „Maker City“, ein durch Kultur- und Geschäftsbetrieb geprägter Stadtteil, der zwischen Wagenhallen und Mittnachtstraße liegt, sich von da aus aber noch weiter Richtung Nordbahnhof zieht. Und schließlich das „Rosensteinquartier“, das sich im Bereich der heutigen Gleisharfe ab Höhe Stöckach bis zum Rosensteinpark ausdehnt. Dazu kommt noch der „Gleisbogenpark“ auf dem Bahndamm der heutigen Gäubahn, der das traditionelle Eisenbahnerviertel „Auf der Prag“ umschließt und auch noch eine lang gezogene Wasserfläche zwischen Rosensteinquartier und unteren Anlagen.

„Alles soll sich an sich ändernde Erfordernisse anpassbar sein. Die Stadtviertel sollen auch noch in ein- oder zweihundert Jahren funktionieren“, erklärt Cem Arat, ebenfalls geschäftsführender Gesellschafter von asp. Im Gleisbereich, also auf gut zwei Dritteln des Plangebiets, kann ohnehin frühestens ab 2030 gebaut werden. „Mit Glück“, sagt Arat. „Die Bahn muss ja zuerst die Gleisanlagen zurückbauen. Teile der Maker City inklusive der darin enthaltenen Interimsoper sollen aber schon zur IBA‘27 fertig sein“, so der Stadtentwickler. Gerade bei der Oper allerdings zeichnet sich bereits eine Verzögerung ab. Das Ziel 2027 ist sportlich.

Dichter bebaut als der Stuttgarter Westen

Die Stadt verlangt maximalen Wohnraum und so kalkulieren die Stadtentwickler mit einer Geschossflächenzahl (GFZ) von drei und mehr. Das Areal wird damit dichter bebaut sein als der Stuttgarter Westen. Ziel ist daher die „Schwammstadt“: Minimale Bodenversiegelung für Versickerung und Verdunstung. „Gerade ein hochverdichteter Stadtteil verlangt integrale Planung“, sagt Jochen Köber, geschäftsführender Gesellschafter von Koeber Landschaftsarchitektur. „Früher bedeutete Stadtplanung, am Ende zu schauen, ob irgendwo noch Platz für einen kleinen Park ist. Wir planen einen integral. Das Ergebnis ist eine blaugrüne Infrastruktur, durchdrungen von Bepflanzung und Wasserflächen“, so der Landschaftsplaner.

Minimale Bodenversiegelung bedeute aber auch: keine Tiefgaragen. Ohnehin soll die neue Stadt nahezu autofrei sein. Als Kern kleiner nachbarschaftlicher Einheiten mit eigener Identität dient jeweils ein hybrides Hub (Englisch für „Nabe“), das neben Quartiersgarage auch Packstation, Kita, Bürgerbüro, Energiezentrale und Kulturort sein kann – damit also weitaus mehr, als bloßer Speicher für ruhenden Verkehr. Es ist ein an Sharing Mobility angepasster, infrastruktureller Knotenpunkt, der Mobilität dezentral organisiert, Menschen direkt an ihren Zielort bringt und ihnen zugleich Begegnung ermögliche. Durchgangsverkehr ist nicht vorgesehen.

Positive Grundstimmung

Der Bezirksbeirat Mitte ist sehr angetan. „Aus der autogerechten Stadt wird eine Stadt für alle“, äußert sich anerkennend Veronika Kienzle, Bezirksvorsteherin Mitte (Grüne). Im Bezirksbeirat ist die Grundstimmung positiv. Von einer „einzigartigen Chance für Stuttgart“ ist die Rede und von einem „Versprechen an die Stadtgesellschaft“. Doch in einigen Punkten gibt es auch Kritik, ja, Ernüchterung. „Dass im Plan nur noch 4500 bis 5800 Wohneinheiten vorgesehen sind, empfinde ich als enttäuschend. Früher waren 7500 Wohneinheiten vorgesehen“, sagt CDU-Bezirksbeirat Klaus Wenk. Er bezieht sich dabei auf den Plan des Büros Pesch Partner Architekten Stadtplaner aus dem Jahr 2008. „Und falls der Ergänzungsbahnhof kommt, wären es noch einmal 1000 Wohneinheiten weniger“, ergänzt FDP-Beirat Cornelius Hummel. Wenk drückt es rustikaler aus: „Wenn der Ergänzungsbahnhof kommt, kann man den schönen Plan in die Tonne kloppen.“ Tatsächlich bestätigte ein Gutachten dem von Verkehrsminister Winfried Hermann präferierten, unterirdischen S-Bahn- und Regionalbahnhof die Machbarkeit.

Cem Arat erklärt, man habe, was Dichte und Gebäudehöhe anbelangt, alles ausgereizt. Zudem habe man eine gemischte Nutzung gewollt. „Die neuen Viertel sind eben keine reinen Wohnviertel. Sie beinhalteten auch Einzelhandel, Gastronomie, dazu kulturelle, soziale und behördliche Einrichtungen. Außerdem sind acht Schulen nebst Campi und Sportanlagen sowie 24 Kitas vorgesehen“, so Arat. Die Stadtentwickler haben eine Vielzahl von Aspekten mitgedacht. Was allerdings der Bau eines unterirdischen Ergänzungsbahnhofs für das Projekt bedeuten würde, kann oder will dann doch keiner der Planer vorhersagen.

Steigung von bis zu 17 Prozent.

Kritisiert wird auch, dass die Bahndämme und -terrassen nicht geschliffen werden, das landschaftliche Gefälle nicht nivelliert werden soll. Damit bleiben Böschungen mit einer Steigung von bis zu 17 Prozent. „Das ist alles andere als barrierefrei. Parkflächen und Wohngebiete sind kaum verbunden“, kritisiert Klaus Wenk. Hierzu erklärt Cem Arat: „Dazu müssten wir Unmengen an Erdreich bewegen. Das wäre alles andere als nachhaltig. Zudem sei eine Kontaminierung des Erdreichs gerade im Bereich der Gleisanlagen nicht auszuschließen.“ Doch es gibt auch noch gesetzliche Einschränkungen. „Gerade die Böschungen beherbergen geschützte, thermophile Tierarten wie etwa Eidechsen. Hier greift der Artenschutz“, sagt Jochen Köber. Geplant ist derzeit, mittels längs zum Gefälle angelegter Rampen einen ausreichend sanften Übergang zwischen Grünflächen und Wohnquartieren zu schaffen. Im Bezirksbeirat bleibt man skeptisch.

Wie geht es nun weiter? Michael Hausiel, Leiter der Abteilung „Städtebauliche Planung Rosenstein“ bei der Stadt Stuttgart, der die interdisziplinäre Zusammenarbeit der verschiedenen Arbeitsgruppen und Ämter innerhalb der Stadtverwaltung koordiniert, sagt: „Es folgen noch weitere Präsentationen in verschiedenen Gremien. Im Herbst soll die finale Fassung des Rahmenplans als Beschlussvorlage vorliegen. Ende des Jahres soll im Gemeinderat abgestimmt werden.“