Disneyland war noch nie so nah. Stuttgart leuchtet und funkelt zu Weihnachten in Rekordstärke – von den Glanzlichtern der City bis zum Christmas Garden der Wilhelma. Wir haben Stadtpromis gefragt: Ist’s klasse oder kitschig?

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Wenn die Tage kürzer werden, wenn immer früher am Abend uns Finsternis umhüllt, wenn wir schnellen Schrittes Weihnachten entgegenhetzen, dann, ja, dann erwärmt sich die Menschenseele gern am Licht.

 

Der Advent ist die Zeit des Lichts, aus christlicher Sicht die Zeit der Hoffnung. Das Dunkle kann bedrohlich wirken. Das Dunkle erinnert an die Härten des Lebens. Doch nun breitet sich mit den Glanzlichtern in der City und dem Christmas Garden in der Wilhelma ein Zauber des Lichts aus, wie er zu Sentimentalitäten neigende Menschen hier noch nie beglückt hat. Zu Tieren sind Lichterketten verknüpft, werden zu Autos oder Musicalfiguren geformt, blinken und blenden als Riesenrad oder Grabkapelle, glitzern und glänzen von Säulen. Heutzutage will der Mensch sich nicht nur an Erleuchtung erfreuen, sondern alles auch in den sozialen Netzwerken posten. Halb Stuttgart und die halbe Schweiz werden bis zum Fest und darüber hinaus die Lichtblicke vom Schlossplatz mit dem Handy fotografieren, der zuvor im Schatten des Weihnachtsmarktes ein schwarzes Loch war.

17 bis 19 Euro zahlt man für den Christmas Garden

Selbst die Jubiläumssäule erstrahlt und lässt dank eines Bank-Sponsors Glitzer regnen, sobald jemand für die „Herzenssache“ gespendet hat. Göttin Concordia on the top steht jedoch im Dunkeln. Man sieht nicht, ob sie beleidigt ist darüber, dass sie keinen Spot der Lichtershow abbekommt.

Christian Doll, einer der Veranstalter des Christmas Gardens in der Wilhelma, ärgert sich nicht, sagt er zumindest, über die Leuchtkonkurrenz in der City. Bei ihm zahlt man 17 bis 19 Euro Eintritt, auf dem Schlossplatz nix. „In der Wilhelma ist alles noch viel schöner, besinnlicher, ruhiger, romantischer“, findet er. Die Besuchszahlen seien nach wie vor sehr gut.

Jazz-Open-Chef Jürgen Schlensog, der im nächsten Sommer mit Sting und Bob Dylan erneut Superstars auf den Schlossplatz bringt, mag das große Leuchten: „Zu X-mas darf es ruhig ein wenig kitschig sein, und Stuttgart verträgt weitere Glanzlichter.“ Mit einem Paukenschlag hat er, pünktlich zum Geschenkekauf vorm Fest, Highlights der Jazz Open 2019 verkündet. Das Festivalgelände will er trotz Sting und Dylan nicht erweitern: „Wir bespielen den Platz in bekannter Größe, da ist weniger eher mehr.“

„Erwachsene tauchen wie Kinder in Märchenwelten ein“

Stuttgart leuchtet. Über das „Erlebnis für die Sinne“ freut sich Ferdinand B. Eppli, Juniorchef des Auktionshauses Eppli: „Der stationäre Handel kann nur durch besondere Erlebnisse gegen den Online-Handel bestehen.“ Reisebloggerin Antje Gerstenecker findet es toll, „wenn man als Erwachsener mal wieder Kind sein und in eine Märchenwelt eintauchen darf“.

Autor Patrick Mikolaji vom „Unnützen Stuttgartwissen“ fragt sich, warum er kürzlich das vorweihnachtliche Disneyland in Paris besucht hat: „Daheim blinkt’s ja auch so schön.“ Sängerin Jenny Marsala sagt: „Stuttgart sollte sein Licht nicht unter einen Scheffel stellen, sondern auf einen Leuchter.“ Maria Sachsen von Altenburg vom Kinderglückswerk schwärmt: „Die Stadt ist so erlebnisreich und romantisch!“

Auch Varietéchef Timo Steinhauer
ist Fan der Glanzlichter: „Die ohnehin fantastische Atmosphäre auf dem Schlossplatz wird damit noch erheblich gesteigert. Die Umsetzung ist keineswegs kitschig. Stuttgart kann das!“ Alexander „Sandy“ Frank von Ginstr lobt: „Ein schönes Bekenntnis zur Stadt und zu unseren Wahrzeichen.“

Kritisch äußert sich Georg Barinov vom jungen Kollektiv Kunscht: „Für meinen Geschmack geht’s zu sehr Richtung Weihnachtskitsch.“ Designerin Birgit Unterweger findet die Installationen „perfekt gemacht“, doch sie seien „zu gefällig“. Die Künstlerin fragt: „Warum sind’s auf dem Schlossplatz immer die üblichen Motive?“

Ökostrom lässt die Installationen leuchten

Es sind Motive, deren Auftraggeber mitzahlen. Eine Million Euro für drei Jahre lässt sich der Gemeinderat das Lichtspektakel mit acht Skulpturen und 110 beleuchteten Bäumen der Königstraße kosten. Ohne Sponsoren, die werben, ginge das kaum.

Ganz wichtig ist OB Fritz Kuhn, dass alles klimafreundlich ist. In der Rede zur Eröffnung des Weihnachtsmarktes erklärte er, dass Ökostrom die Installationen leuchten lässt. Was da den Rüssel nach oben reckt, ist ein Ökoelefant, also ein Ökofant.

Wenn es Nacht wird in Stuttgart, kommt nun viel ans Licht. Zum Christfest dürfen die Stimmungsvollen schwelgen. Sie spüren, dass Kitsch in Wahrheit eines ist: Liebe.