Der 101. Stadtspaziergang der Stiftung Geißstraße und der Stuttgarter Zeitung steht ganz im Zeichen der Klimaerwärmung.

Stuttgart - Wolfgang Heckel steht vor der U-Bahn-Haltestelle „Ruhbank“ und zeigt mit dem Finger in die Baumwipfel. „Von hier ist es gut zu erkennen“, sagt der Revierförster, der für den Silberwald zuständig ist. Das Waldgebiet erstreckt sich oberhalb des Tiefenbachs zwischen Sillenbuch und Fernsehturm. Hier abgestorbene Äste, dort eine lichte Esche, dahinter eine Fichte, die dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen ist. Seit weit mehr als 30 Jahren ist Heckel für den Silberwald und den Frauenkopf zuständig. Aber was der Förster heute an Schadbildern im Wald zu Gesicht bekommt, habe „ganz andere Dimensionen als früher“.

 

Der 101. Stadtspaziergang der Stiftung Geißstraße und der Stuttgarter Zeitung hat es in sich. Zum ersten Mal steht mit dem Thema „Der Stuttgarter Stadtwald“ auch die Klimakrise auf der Agenda der Veranstaltungsreihe. Und Michael Kienzle bringt es gleich zu Anfang auf den Punkt: „Dem Wald geht es wirklich schlecht“, sagt der Vorstand der Stiftung. 40 interessierte Teilnehmer haben sich am Samstagvormittag dem Spaziergang angeschlossen, der von der U-Bahn-Haltestelle „Ruhbank“ durch den Silberwald hinunter zur „Stelle“ führt. Und was sie an diesem Morgen erfahren, gibt Anlass zu größter Sorge.

Vielfältige Plagen für den Wald

Heckel zählt auf, was der Wald in den vergangenen Jahrzehnten über sich ergehen lassen musste: 1990 der erste schwere Sturm, 1999 Orkan Lothar, das Ulmensterben, das Eschentriebsterben, das Dürrejahr 2003, die von dem sich der Wald bis heute nicht erholt habe, die Hitze im vergangenen Jahr. „Mit Temperaturen über 35 Grad kommt die Buche nicht mehr klar“, erklärt Heckel. Er führt die Spaziergänger zu einem gefällten Baum, der unter Sonnenbrand litt. Die Buchen leiden enorm unter Hitzestress, dabei sei sie die hier natürlich vorkommende Hauptbaumart. An den so geschwächten Bäumen hat auch der Borkenkäfer leichtes Spiel.

Berthold Reichle, Leiter des Hauses des Waldes in Degerloch, vergleicht das Ökosystem Wald mit einem Spinnennetz: An sich sei es stabil. „Aber wird an zu vielen Enden gezogen, reißt es.“ Eine vitale Fichte, auch so eine von der Trockenheit besonders betroffene Baumart, könne dem Buchdrucker noch widerstehen. Eine durch Hitze geschwächte fällt ihm zum Opfer. „Das Forstamt Stuttgart hat die Fichte bereits aufgegeben“, sagt Heckel. Nur noch sechs Prozent des Waldes bestehe aus Fichten – die hier freilich ursprünglich gar nicht vorkommt. Weshalb der private Waldbesitzer Wolf-Dieter Laiblin, der am Stadtspaziergang teilnimmt, kommentiert: „Die Natur merzt die Fichte wieder aus.“

Gesunder Wald wichtig für Stadtklima

Ob Fichte, Buche oder Eiche, für das Stadtklima ist ein gesunder Wald von entscheidender Bedeutung. Ohne ihn würde der Stadtkessel im Sommer noch heißer werden: „Die Warmluft aus der Innenstadt wird in der Nacht im Wald abgekühlt“ erklärt der Revierförster den Zuhörern. Unter den Bedingungen des Klimawandels brauche es deshalb mehr Baumarten, die mit der Wärme besser zurechtkommen. Ein davon ist die Eiche, die in Stuttgart inzwischen die Hauptart stellt. „Aber der Eiche muss immer geholfen werden“, sagt Heckel. Weil sich die Buche in ihrem angestammten Habitat tendenziell durchsetzt, müsse der Wald durchforstet werden. „Durchforsten wir nicht, entmischt sich der Wald von alleine.“

Das Problem: Auf Druck von Teilen der Öffentlichkeit, die die Bewirtschaftung des Stadtwaldes zunehmend kritisch sieht, hat die Stadt die Durchforstung praktisch eingestellt, erklärt Forstamtsleiter Volker Schirner. Dabei betont auch Robert Hoening von der Bürgerinitiative Zukunft Stuttgarter Wald mit Blick auf die Anpassung des Waldes an den Klimawandel: „Das Beste ist, das Risiko zu streuen.“ Soll heißen: Ein Wald mit vielen verschiedenen Baumarten minimiert das Risiko eines Totalausfalls einer einzelnen Baumart.

Verkehrssicherung ist große Herausforderung

Doch nicht allein die Frage, wie der Wald auf eine wärmere Zukunft vorbereitet werden kann, treibt die Forstbehörde um. Eine der größten Herausforderungen, die sich im Stadtforst stellt, sei die Verkehrssicherung. Denn die Forstverwaltung ist entlang der Straßen für Schäden verantwortlich, die durch herabfallende Äste oder gar umstürzende Bäume entstehen. „Da kommt eine riesige Welle auf die Stadt zu“, prognostiziert Heckel. Längst stehe deshalb bei der Arbeit im städtischen Forst die Verkehrssicherung an erster Stelle. „Der ganze Wald“, resümiert Heckel an diesem Samstagmorgen „ist in einer Krise.“