Die Bezirksvorsteherin in Degerloch hat Politiker und Behindertenverbände zu einem Stadtspaziergang zur Inklusion im Bezirk eingeladen. Gemeinsam wollten sie die Grenzen der Barrierefreiheit an der Epplestraße entdecken – um Lösungen zu finden.

Degerloch - Maria Seidler läuft mit ihrem Blindenstock die Epplestraße entlang in Degerloch. Sie hat nur ein Sehvermögen von fünf Prozent und ist daher auf die Hilfe des Stocks angewiesen. Auf dem Gehweg warten viele Hindernisse auf sie: zahlreiche aufgestellte Schilder oder Stühle vor dem Bäcker. „Die Liste ist lang– hier ist es zu eng und die Frage ist, ob man etwas gegen die Aufsteller tun kann“, sagt Seidler, Vorsitzende des Bezirks Stuttgart vom Blinden- und Sehbehindertenverband Württemberg.

 

Um auf alltägliche Probleme wie diese im Stadtbezirk Degerloch aufmerksam zu werden, hat die Bezirksvorsteherin Brigitte Kunath-Scheffold am Dienstagabend zu einem gemeinsamen Stadtspaziergang und anschließender Diskussionsrunde mit dem Schwerpunkt gesellschaftliche Integration eingeladen. „Wir wollen Barrieren und Grenzen überwinden“, hat Brigitte Kunath-Scheffold vor Beginn des Spaziergangs betont. „Aber dazu müssen wir sie erst einmal kennenlernen.“

Fehlender Überweg verhinder Zugänglichkeit

Dafür wurden der Bürgermeister für Soziales und gesellschaftliche Integration, Werner Wölfle, der Bürgermeister für Städtebau und Umwelt, Peter Pätzold, und der Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Walter Tattermusch, eingeladen. Darüber hinaus nahmen auch zahlreiche Vertreter der Stuttgarter Behindertenverbände daran teil. Unter anderem auch Maria Seidler und Winfried Specht aus der Bezirksgruppe Stuttgart des Blinden- und Sehbehindertenverbands Württemberg.

Der Stadtspaziergang stand zum ersten Mal unter dem Schwerpunkt der Integration. Ziel sei es, einen Fokus auf das Thema Inklusion im Alltag zu legen, sagte Kunath-Scheffold. „Inklusion bedeutet nicht nur im Schulalltag, sondern auch im täglichen Miteinander, damit umzugehen“, erklärte die Bezirksvorsteherin. Die Route des Spaziergangs führte entlang der mit Läden besiedelten Epplestraße. Sie ist eine viel von Autofahrern und Fußgängern genutzte Straße. „Die fehlende Fußgängerhilfe widerspricht komplett dem Thema Zugänglichkeit“, sagte Bürgermeister Werner Wölfle. „Man sieht so etwas aber nur, wenn man mal selbst mitläuft.“ Auf mittlerer Höhe der Epplestraße fehlt demnach ein Fußgängerüberweg an der Kreuzung zur Löwenstraße. Fußgänger haben keine Möglichkeit, die Straße dort angemessen zu überqueren. Die einzige Möglichkeit bietet derzeit die Ampel nahe der Station Degerloch. „Es ist einfach nicht adäquat für eine Straße, an der Läden sind“, sagte Pätzold.

Epplestraße mit anderen Augen sehen

Der Gehweg der Epplestraße stand am Dienstagabend auf beiden Seiten voller Fahrräder und Motorroller. „Die Leute stellen ihre Sachen hier alle ab nach dem Motto: Sieht man doch“, sagte Walter Tattermusch. Aber nicht nur die Fahrzeuge wurden beim Spaziergang als ein Problem für Sehbehinderte und Rollstuhlfahrer identifiziert. Vor allem die Postkarten-Aufsteller und Werbetafeln der Läden verkleinern die nutzbare Breite des Gehwegs. „Wir haben Richtlinien wo man sie aufstellen darf“, sagt Wölfle. „Aber leider kontrolliert das niemand.“ Laut Richtlinien ist eine restliche Breite von zwei Metern für den Gehweg unabdingbar. Damit Sehbehinderte den Bürgersteig von der Straße unterscheiden können, bräuchte es an den abgesenkten Stellen zudem eine Höhe von drei Zentimetern, erklärt Winfried Specht vom Sehbehindertenverband. Auch für Degerlocher im Rollstuhl ist das eine optimale Höhe, weil drei Zentimeter für diese Behinderten noch zu überwinden sind. Zurzeit entsprechen aber nur wenige der Degerlocher Gehwege diesem Idealmaß.

„Dieser Anlass hat dazu geführt, dass man die Straße, die man immer läuft, mal mit anderen Augen sieht“, sagte Walter Tattermusch. Bürgermeister Wölfle hofft, dass die Vorschläge in die Tat umgesetzt werden können und sich so alle Beteiligten zur Eröffnung eines Zebrastreifens wiedersehen.