Der Breuninger-Mitinhaber Willem van Agtmael zeigt, wie sich Stuttgart durch neue Einkaufszentren verändern wird. Das Zentrum wird wachsen - vom Gerber bis zum Milaneo auf dem Stuttgart-21-Gelände.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Auf den ersten Blick hat das Kaufhaus Breuninger mit Disneyland nichts gemeinsam. Doch Willem van Agtmael zieht einen Vergleich: „Bei Disney geht es immer um den Magical Moment – bei uns auch“, sagt der Miteigentümer von Breuninger, der bis im vergangenen Jahr geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens war. „Diese Momente muss der Kunde haben“, sagt van Agtmael. Denn nur wenn das Einkaufen ein Erlebnis sei, komme der Kunde wieder.

 

Das erzählt der Miteigentümer nicht, um Werbung für das Haus Breuninger zu machen. Sondern um zu erklären, wie sich der Handel in der Stadt in den kommenden Jahren auszurichten hat. Das ist das Thema des Stadtspaziergangs „Handel im Wandel“ am Samstag, veranstaltet von der Stiftung Geißstraße und der Stuttgarter Zeitung. Willem van Agtmael geht auf zwei wesentliche Entwicklungen ein, die seines Erachtens die Einkaufswelt in Stuttgart in den nächsten Jahren prägen werden. Zum einen sind das die neuen Einkaufs- und Vertriebswege über das Internet, für die der Kunde das Haus nicht verlässt. „Ich musste mich der Geschwindigkeit des Wandels anpassen“, bekennt der Handelsmann.

Die neue Achse verläuft vom Milaneo bis zum Gerber

Zum anderen beschreibt er die neuen Achsen, die in der Stadt entstehen. Diese sieht van Agtmael im Zentrum der Stadt wachsen, weil sich am einen Ende der Linie, die von der Königstraße aus weitergezogen werden kann, das Gerber im gleichnamigen Viertel auftun wird, am anderen das Milaneo auf dem Stuttgart-21-Gelände.

Am E-Commerce müsse teilnehmen, wer in der Handelswelt bestehen wolle. „Das stationäre Geschäft wird einen immer geringeren Anteil haben“, prophezeit van Agtmael. „Wir haben dafür tolle Leute – da stellt sich ein 25-Jähriger hin und erklärt einem die Welt“, sagt der Miteigentümer über junge Kollegen. Er selbst, so erzählt er nebenbei, war sogar noch jünger, als er nach Stuttgart und zum 1881 gegründeten Kaufhaus Breuninger gekommen sei, gerade mal 24 Jahre alt. In den gut 40 Jahren seines Berufslebens hat er im Jahr 1973 erlebt, wie mitten in der Wirtschaftskrise sein damaliger Chef Heinz Breuninger beschloss, auf die grüne Wiese zu gehen, „weil die Innenstädte verstopft waren.“ Das Breuningerland in Ludwigsburg wurde eröffnet. „Auch 1980 haben wir in der Krise ein Haus eröffnet, in Sindelfingen.“

Dorotheenquartier: Breuningers Reaktion auf den Stadtumbau

Van Agtmaels Analyse der Stadtentwicklung rückt zudem in den Blick, dass demnächst eine gewaltige Veränderung der Einkaufswelten ansteht, wenn Milaneo und Gerber auf den Markt drängen. Der Blick gen Bahnhof, als sich andeutete, dass dort künftig ein neues großes Einkaufszentrum im Zuge des Baus von Stuttgart 21 entstehen soll, ließ die Breuninger-Führung handeln. Als klar war, dass im Norden ein starker Gegenpol zur Innenstadt entstehen würde, begann Breuninger mit den Plänen für das Dorotheenquartier zwischen dem bestehenden Haus am Marktplatz und dem Karlsplatz – anfangs noch Da-Vinci-Projekt genannt.

„Wir wären irgendwann eine Oase am Marktplatz geworden, wenn wir nicht reagiert hätten“, habe er sich gedacht, und angefangen, sich um den Kauf der angrenzenden Gebäude des Innenministeriums zu bemühen. Als das eines Tages ging, kam die Diskussion um das Hotel Silber auf, in dem einst die Gestapo-Zentrale der Nationalsozialisten untergebracht gewesen sei. Ihm gefalle der neue Plan, der den Erhalt des Hotels ermögliche, zwar besser als die ursprüngliche Variante für das urbane Quartier mit Läden, Büros und Wohnungen. „Was mich gestört hat, war , dass es 50 Jahre lang niemanden interessiert hat, und kaum wollen wir bauen, gibt es Widerstand“, erzählt Willem van Agtmael.

Das Hotel Silber ist in die Neubaupläne integriert

An dieser Stelle bekommt er Widerspruch aus den Reihen der Stadtspaziergänger: „Das stimmt nicht, es gab in der Vergangenheit zahlreiche Vorstöße für das Hotel“, sagt Eberhard Kögel von der Initiative, die das Gebäude letztlich gerettet hat. Einer Meinung sind der Breuninger-Chef und der Kritiker auch an diesem Samstag nicht, denn van Agtmael glaubt, dass künftige Generationen es als Fehler sehen werden, dass das Hotel als ehemalige Schaltzentrale des Bösen stehen bleibt. Doch zumindest kommen die beiden Antipoden beim Spaziergang miteinander ins Gespräch.

Die Königstraße darf bei einem Rundgang zum Thema Handel in der Stadt natürlich nicht fehlen. Van Agtmael blickt von seiner Lieblingsecke, zwischen Altem Schloss, Alter Kanzlei und Stiftskirche über den Schlossplatz auf die Einkaufsmeile. Es dürfe nicht in allen Städten nur noch die gleichen Ketten geben. Wie bei den Gebäuden, wo mit Königsbau und Kunstmuseum alt neben neu stehe, komme es auf die Mischung an, nur dann sei eine Stadt lebendig. Einen Abstecher zu Feinkost Böhm – „den muss es genauso geben wie den Discounter, Luxus und Günstiges wird gebraucht“ – nutzt der Fachmann, um zu demonstrieren, wie groß der Unterschied zwischen einer 1 A und 1 B-Lage sein kann. „Schauen sie in die Kronprinzstraße: da ist kaum Frequenz im Gegensatz zur Königstraße.“

Wo kauft der Niederländer in Stuttgart Tulpen?

Mit zwei persönlichen und privaten Geheimtipps beendet der Niederländer seinen Rundgang: Er verrät, wo seine Frau und er alle Blumen kaufen. Natürlich beim Holländer, der täglich außer montags seinen Stand in der Kronprinzenstraße aufschlägt. Und die besten Spaghetti Vongole der Welt gibt es laut Willem van Agtmael im Incontro in der Langen Straße.