Der Stadtbezirk wünscht sich eine Partnerschaft mit einem Stadtteil Istanbuls. Die Stadt fördert solche Verbindungen, lässt aber offen, wie sie bezahlt werden sollen.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Manchen schreckt die schiere Größe. In Kadiköy, einem Stadtteil Istanbuls, leben rund 700 000 Menschen, mehr mithin als in ganz Stuttgart. Im Bezirk Mitte der Landeshauptstadt leben, Stand 31. Dezember des vorvergangenen Jahres, 21 230 Menschen. Die nackten Zahlen „bereiten mir ein bisschen Sorge“, sagt Christian Wulf. „Ich weiß nicht, ob wir dafür die Mittel haben.“ Wulf sitzt für die FDP im Bezirksbeirat Mitte. „So schön die Sache ist, aber Herr Wulf hat recht“, meint der Grüne Martin Mezger. Ungeachtet dessen fiel der Beschluss einstimmig, dass Stuttgarts Stadtmitte eine offizielle Partnerschaft mit Kadiköy anstreben soll.

 

Oben auf der Liste der Argumente für diese Entscheidung steht eine Merkwürdigkeit. Mehr als 21 000 Stuttgarter haben einen türkischen Pass. Damit sind sie die mit Abstand größte Ausländergruppe. Selbstverständlich ist die Zahl der Einwanderer und Einwandererkinder aus der Türkei noch drastisch höher. Allein bei einem Rundgang durch die Tübinger Straße „war es unglaublich, was wir an türkischen Mitbürgern und Gewerbetreibenden kennengelernt haben“, sagt die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle. Für türkisch geführte Betriebe gibt es gar ein eigenes Branchenverzeichnis. Ungeachtet dessen unterhält Stuttgart Partnerschaften mit zehn Städten auf vier Kontinenten – aber keine in der Türkei. Weil der Gemeinderat die Zahl der Partnerstädte nicht erhöhen will, wird sich daran auf absehbare Zeit nichts ändern.

„Man hat immer das finanzielle Problem“

Daran stören sich nicht nur die Bezirksbeiräte der Stadtmitte. Schon seit 2009 streben die Zwillingsbezirke Birkach und Plieningen eine Partnerschaft mit Gaziemir an, einem Stadtteil von Izmir. Es gab Besuche und Gegenbesuche. Offiziell ist die Verbindung aber noch nicht. Was vor allem heißt: Es gibt keine Unterstützung aus der Stadtkasse. „Aber man braucht das Geld faktisch“, sagt Edgar Hemmerich, der gemeinsame Bezirksvorsteher für beide Bezirke, dem die Partnerschaft ein persönliches Anliegen ist. Vor allem, „wenn die türkischen Freunde zu Gast sind, hat man immer das finanzielle Problem“, sagt Hemmerich. Bisher hat er die Kosten mit der Hilfe von Sponsoren, Spendern und aus der Bezirksbeiratskasse gedeckt.

In der Stadtmitte ist die treibende Kraft für die Partnerschaft die CDU, namentlich der Bezirksbeirat Ersin Ugursal, der sich in jeder Art um die deutsch-türkische Verständigung bemüht. Sein jüngstes Projekt war, Türkeistämmigen in Seminaren das deutsche Wahlrecht näher zu bringen. Die Christdemokraten waren schon vor zwei Jahren in Istanbul, um Kontakte zu knüpfen. „Kadiköy ist ein sehr moderner Stadtteil mit einem hohen Bildungsniveau und tollem Kulturangebot“, sagt der CDU-Beirat Michael Scharpf. „Aus unserer Sicht ist er für eine Partnerschaft sehr geeignet.“

Der Größenunterschied spielt keine entscheidende Rolle

Zumindest spricht nichts gegen ihn, sagt Frederic Stephan, der im Rathaus für die Städtepartnerschaften zuständig ist. Der Größenunterschied spiele keine entscheidende Rolle. Zu den Partnerstädten Stuttgarts zählt die 12,5-Millionen-Metropole Mumbai , die größte Stadt Indiens, genauso wie Menzel Bourguiba in Tunesien mit seinen 65 000 Einwohnern. „Wichtiger als die Größe ist ein schlüssiges Konzept“, sagt Stephan. „Bevor es das nicht gibt, wird auch nichts unterschrieben“. Um ein solches Konzept zu erarbeiten und zu verwirklichen, soll nach dem Willen des Bezirksbeirats Mitte eigens ein Verein gegründet werden. Grundsätzlich sind Partnerschaften der Stuttgarter Bezirke an oberster Stelle in der Stadtverwaltung erwünscht, beim Verwaltungsbürgermeister Werner Wölfle. Allerdings stellt sich nicht nur für Hemmerich die Wirtshausfrage: Wer zahlt?

Erwünscht oder nicht – die finanzielle Unterstützung aus der Stadtkasse ist auch für offizielle Partnerschaften nicht üppig. Die pflegen beispielsweise Cannstatt oder Zuffenhausen. Dafür bekommen die Bezirke jährlich rund 5000 Euro, einen Betrag mithin, der bestenfalls die Kosten einer einzigen Delegationsreise deckt.